Seitenbanner

Brief vom 10. Juli 1699

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Amalie Elisabeth zu Pfalz


89.


[158]

A mad. Amelie Elisabeth, raugraffin zu Pfaltz, a Franckfort.

St Clou den 10 Julli 1699.
Hertzliebe Amelisse, vorgestern habe ich Ewern lieben brieff vom 20/30 Juni zu recht entpfangen; würde gestern gleich drauff geantwortet haben, wen ich nicht ein klein reißgen 7 frantzöscher meillen von hir gethan hette nach Maubisson, ma tante, die fraw abtißin, dorten zu besuchen, welche ich, gott seye danck, in volkommener gesundtheit gefunden habe. I. L. gleichen sehr I. G. unßerm herrn vattern s., bin also recht gern bey ihnen undt were es nicht so weit von hir, ginge ich öffter hin. Sie sprechen noch gutt teütsch, können perfect teütsch, frantzösch, englisch undt holländisch. Ich habe lachen müßen, daß Ihr Louisse ihren tag habt verseümen laßen undt hernach den Ewerigen nicht sediren wollen; bin Eüch darvor verobligirt, liebe Amelisse! den daß erweist mir, wie lieb Ihr mich habt. Es ist kein wunder, daß ich das Frantzösche corecter weiß nach 28 jahren, daß ich in Franckreich bin, alß Ihr, die nie in Franckreich geweßen. Im Teütschen habe ich Eüch aber in keinem eintzigen brieff fehlen sehen. Ihr tröst mich sehr, liebe Amelisse, mir zu sagen, das ich mein Teütsch noch nicht vergeßen habe undt noch corect schreibe; den in wehrendem krieg habe ich wenig teütsch gesprochen, würde also gar kein wunder sein, wen ich etliche frassen vergeßen hette. Zu meiner zeit war es schon der brauch, daß man frantzösche wörter mitt den teütschen mischte; thue es auch etlichmahl, den man muß woll hirinen den brauch folgen; allein waß mich verdrießen kan, ist, wen es auß affectation geschicht. Diß wort könt ich auch ohnmöglich anderst auff teütsch sagen, glaube auch nicht, daß ein ander wort auff teütsch dazu ist. Ich gestehe auch gern, das mir alle complimenten bludtszuwider sein; ich kan sie nicht außstehen. Alle, die meine gutte [freunde] sein, denen verbiette ich die complimenten, also wen Lenor mir in ihre lange brieffe complimenten schreiben wolte, würde ich braff zürnen; es ist hir der brauch auch gar [159] nicht, in frantzöschen brieffen macht man keine complimenten nicht. Herr Obrecht ist gar ein ehrlicher verständiger man; Ihr thut woll, ihm Ewere sach zu recommandiren. Monsieur sagte mir letztmahlen, der könig wolle sich der sach nun gar ernstlich annehmen; wie es abgehen wirdt, wirdt die zeit lehren. Die gutten Pfältzer seindt böße visionomisten, daß sie den monseigneur vor aufrichtig teütsch ahngesehen haben. Freündtlich undt höfflich ist er woll, wen er will, allein nicht exact genung in waß er verspricht undt unterschreibt; den es ist den armen Heydelberger undt Manheimern übel nach seinem überschreiben gangen, aber nicht, ohne daß ich ihm meine meinung dichte drüber gesagt habe. Ich muß lachen, daß Ihr monssigneur le Dauphin vor monseigneur le Dauphin geschrieben habt; wir haben auch offt über die gutte ehrliche undt liebe madame la Dauphine s. gelacht undt sie geplagt; den sie sagte auch immer monsigneur. Monseigneur ist seyder 11 jahren sehr verendert von gesicht; wie er jünger war, gliche er der königin, seiner fraw mutter, undt da mochte er nicht der churfürstin zu Pfaltz, sondern der ersten churfürstin von Bayren geglichen haben; den die gliche perfect ahn unßere königin; aber ahn die churfürstin zu Pfaltz habe ich nicht gehört, daß er jemahlen geglichen hatt. Es könnte doch woll sein; den sie seindt einander verwandt undt ander geschwisterkindt mitt einander; den die großhertzogin ist leiblich geschwisterkindt vom könig, so ja ihre fraw mutter ist. Mein gott, wie müst Ihr, liebe Amelisse, verendert sein, wofern Ihr nun I. G. dem churfürsten, unßerm herrn vattern, gleicht! den wie ich Eüch gesehen, war kein eintzig liniament in Ewerm gantzen gesicht, so dazu die geringste aparentz hatte. Caroline s. aber gliche I. G. viel. Sie hatt allezeit verstandt gehabt, wundert mich also nicht, daß sie es biß in ihren todt gehabt hatt. Man kan sagen wie in der commedie von Jodelet: Si nous estions artissans de nous mesme, on ne veroit par tout que des beautés extremes. Weillen es aber nicht bey unß stehet, müßen wir woll sein, wie unß gott der allmächtige geschaffen hatt, undt unß weitter nicht drumb bekümern. Ich gestehe, daß ich nicht lang von denen reden kan, deren todt mich betrübt hatt, ohne wider auff neüe trawerig zu werden. Gutte conversationen seindt gar waß rares hir. Es ist die mode nicht, zu conversiren, noch zu raisoniren, man lacht einem mitt auß undt daß spillen mag ich nicht leyden; drumb [160] bin ich lieber allein. Die fraw von Rathsamshaussen wirdt erst dießen abendt hir sein; den der hertzog von Lotheringen helt so viel von sie, daß er sie 3 wochen zu Nancie behalten undt nicht hatt weg wollen laßen; mein tochter hatt sie auch gar lieb. Ich dancke Eüch von hertzen, so viel gutte wünsche vor meine conservation zu thun, allein ich bin zu nichts nicht nutz in dießer welt, were also gar kein verlust, wen ich drauff gehen solte. Gutte wünsche halte ich vor kein compliment noch ceremonie, sondern vor freündtschafft, aber weillen ich niemandes dinnen kan, sehe ich nicht, womit ich jemandes trösten könte. Mitt halben wortten verstehen, daß lernt man hir über die maßen woll undt hirauff, deücht mir, bin ich gelehrt genung. Ich wünsche, daß Ihr undt Louisse Eüch woll im Schwalbacher brunen bey I. L. der fraw landtgräffin divertiren mögt. Aber wie Ihr undt Louisse mir von Ewerem humor sprecht, glaube ich nicht, daß Ihr, umb ein Hänsel außzusuchen undt sein Gredel zu werden, nach Schwalbach zicht. Schwalbach ist ein artiger undt glücklicher ort, wen man dort frey leben kan, ohne daß man dort übel findt, waß man thut. Solchen ort kan man hir in Franckreich nicht finden. Die frantzösche damens last über Ewere inocente lust lachen, wie sie wollen! Sie habe keine so warhaffte freüde nicht; man mag sie nur bey ihrem spiel von 24 stunden sehen, umb davon zu judiciren; wie verzweyffelt sie außsehen! eine weint die bittern threnen, die ander ist fewerrodt undt gehen ihr die augen im kopff, alß wen sie in die gichter fallen wolt, die 3te ist bleich wie der todt undt wie halb ohnmächtige undt mäner undt weiber sehen auß wie beßeßene, können niemandes bey noch umb sich leyden. Das seindt hießige freüden, aber warlich nicht die meinen; wolte lieber mitt gutten freünden im grünen graß bey einem brunen eßen, wie Ihr undt Louisse, die fraw von Degenfelt undt Schelm gethan habt. Diß landt hat noch über dem englischen, das alle desbauchirten mäner undt weiber politisch sein undt dem hoff gefahlen wollen, welches manche untrew undt verähterrey gibt, aber in welchen landt es auch sein mag, so muß man, wen man geheüraht ist, die jalousie auß dem hertzen banissiren; den daß kan nie kein gutt thun. Seine händt in unschuldt waschen gibt woll vor sich selber ein ruhig gewißen, allein es gibt kein ahngenehm comerse undt mitt einem ruhigen gewißen kan einem doch die zeit bitter lang [161] fallen undt manche sehr langweillige stunden haben. Ich bekümmere mich nicht über der welt weßen, aber es macht mich die welt genung verachten, umb wenig lust zu nehmen, in geselschafft zu sein. Man hört von nichts, alß tragiquen avanturen; baldt werden 5 weiber noch gericht werden, so ihre mäner umbs leben gebracht haben, noch etliche haben sich selber umbs leben gebracht; sonsten geschehen auch viel unglück. Ihr werdet vielleicht die contesse de Roye in Engellandt gesehen haben. Deßen elster sohn, der conte de Rouey, wolte zu Meudon vor etlichen tagen, wo er bey dem monseigneur war, eine kleine calesch führen, fürte aber so übel, daß er mitt dem fordersten raht ahn eine große wurtzel vom baum so gewaltig ahnstieß, daß er selber, so gantz geraht in dem kleinen wagen stundt, zwischen die pferde fiel, undt die leidtseyller wickelten sich dermaßen umb in herumb, daß, wie er wider auffstundt, zog er die pferdt so starck ahn sich, daß sie kurtz threheten undt ihn gegen einen baum wurffen. Daß bludt schoß ihm gleich auß der naßen. Man hatt ihn 4mahl zur ader gelaßen, er hatt aber das gedächtnuß verlohren undt weiß nicht, waß ihm widerfahren ist; man weiß noch nicht, ob er davon kommen wirdt. Daß ist alles, waß wir hir neües haben. Adieu, liebe Amelisse! Ambrassirt Louisse von meinetwegen undt seydt versichert, daß ich Eüch beyde sehr lieb habe!
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 10. Juli 1699 von Elisabeth Charlotte an Amalie Elisabeth zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 1 (1867), S. 158–161
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d01b0089.html
Änderungsstand:
Tintenfass