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Brief vom 28. Dezember 1701

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


150.


[262]

A mad. Louise, raugräffin zu Pfaltz, a Franckfort.

Versaille den 28 December 1701.
Hertzliebe Louisse, vor etlichen tagen habe ich Ewern lieben brieff vom 17 dießes monts zu recht entpfangen. Ich bins nicht geweßen, so schir im bett verbrent were; ich leße nie im bett, gehe nur zu bett, umb zu schlaffen. Der duchesse de Bourgogne ist es auch nicht begegnet, sondern madame d’Orleans, meines sohns gemahlin. In Franckreich heist man mich nicht Madame la duchesse d’Orleans, sondern nur gantz kurtz Madame undt in den acten undt affairen Madame, duchesse d’Orleans, aber nicht la duchesse d’Orleans, die Teütschen aber, die dießen unterschiedt nicht wißen, nehmen offt eins vors ander. Ich bin, gott seye danck, in volkommener gesundtheit. Es geschicht selten, daß ein heüraht so woll sortirt wirdt, alß der vom fürsten von Naßaw Siegen undt die princessin Francisca von Heßen Homburg. Dießer fürst muß endtwetter eine ungemächlichkeit haben, so nicht zum heürahten tauglich ist, oder ein Phenix sein; den ich glaube nicht, daß ein junger mansmensch in der welt sein kan, ohne inclination vor desbauche zu haben, es seye vor mäner oder weiber, aber etliche seindt schamhafftiger, alß andere, undt können ihr spiel beßer verbergen, alß andere, seindt auch offt die gefährlichsten undt bey welchen die laster ahm lengsten kleben bleiben. Die fürstin von Nassaw, so hir zu Paris geweßen, habe ich nicht zu sehen bekommen. Man hatt woll von dießer fürstin gesagt, daß sie gar große vivacitet hette; man hatt ihr sonsten nichts übels nachgesagt, contrarie, sie [263] hatt jederman hir gar woll gefahlen, aber ihr herr hatt ahn niemandts gefahlen. Daß macht ihn vielleicht jetzt so wunderlich; den die warheit zu sagen, so hatt man ihn, wie man mir verzehlt, hir zimblich verracht; er hatt mich schir drüber gejammert. Wer einmahl unglücklich geboren ist, wirdt selten glücklich; so geht es dießem fürsten auch. War dießes fürsten stieffmutter den keine gräffin oder fürstin, daß dießer fürst seine halbbrüder nur vor edelleütte will passiren machen? Wen er dieße herrn, seine brüder, selbst alß printzen tractirt, wirdt er gar gewiß seinen proces verliehren; den daß zeüget von sich selbsten gegen ihm. Seydt Ihr klein, liebe Louisse? Ich meinte, Ihr werdet gar groß. Alle, so Eüch sehen, finden, daß Ihr ahn Carllutz s. gleicht; so würde ich Eüch nicht heßlich finden. Es bekompt einem recht woll, waß man einem in der jugendt vorwirfft, daß man nicht hübsch ist; den daß macht, daß man sein parthie baldt nimbt undt nichts mehr darnach fragt; so ist es mir auch gangen. Ich sehe, liebe Louisse, daß Ihr greülich in der moralitet begriffen seydt; Ihr köntet nicht mehr morallisiren, alß Ihr thut, wen Ihr auch gleich in der einsambkeit undt von allen freüden entfernt leben soltet, wie ich thue. Ich höre alle tage: Heütte ist ein neü opera, morgen wirdt eine neüe commedie sein. Diß jahr, welches noch nie geschehen, hatt man 6 neüe comedien undt 3 neüe operaen. Ich glaube, der teüffel thuts mitt fleiß, umb mich in meiner einsambkeit ungedultig zu machen, aber ich bin der sach zu gewont, umb recht ungedultig zu werden. Wir haben jetzt wenig neües hir; zum wenigsten, ist waß neües, so weiß ich es nicht. Weillen diß der letzte brieff in dießem jahr ist, so ich Eüch schreibe, so kan ich nicht laßen, Eüch, liebe Louisse, ein glückseeliges neües jahr mitt gesundtheit undt allem vergnügen zu wünschen undt waß Ewer eygen hertz wünscht undt begehrt, undt ich werde Eüch nicht weniger lieb im 1702ten jahr haben, alß jetzt. Behalt mich auch lieb!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 28. Dezember 1701 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 1 (1867), S. 262–263
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d01b0150.html
Änderungsstand:
Tintenfass