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Versaille den 17 Juni 1702.
Hertzliebe Louisse, es wirdt mir ohnmöglich fallen, heütte auff
alle Ewere liebe brieffe zu antworten, so ich in meiner wehrenden
kranckheit entpfangen undt noch seyderdem; den ich bin zwar
gesundt, aber noch unerhört matt. Seyder meiner aderlaß kan ich
mich nicht erhollen; wen ich nur ein par hundert schridt gehe,
muß ich mich gleich setzen undt bin matt undt müde; wen ich 4
oder 5 bogen schreib, werde ich auch matt, werde also nur auff
Ewer letzten lieben brieff andtwortten von 8 dießes monts, aber
hinfort fleißig schreiben. Meine kranckheit ist kurtz geweßen, ich
habe aber viel dabey gelitten. Daß 3tagige fieber ist hir sehr a la
mode. Monsieur le Dauphin hatt auch 3 acces gehabt undt ist
dabey geblieben; er hatt sich durch daß quinquina courirt. Noch
viel andere personnen mehr habens auch bekommen, alß
mademoiselle de Lislebonne, monsieur de Duras undt noch andere mehr,
deren nahmen Ihr nicht kent. Die duchesse de Bourgogne hats
auch, aber nur ein acces gehabt, undt madame la duchesse
d’Orleans zwey, wie mans in den gazetten gesetzt hatt, undt Ihr habt
gar recht gedacht. Es gerewet mich recht, die complaisance
gehabt zu haben, ader zu laßen; den die 23 acces vom fieber, so ich
vergangen jahr gehabt habe, haben mich nicht so sehr abgematt,
alß dieße aderlaß dieß jahr. Ich kan nicht wider zu kräfften
kommen. Gott weiß, wens wider kommen wirdt, undt mein leben hatt
mir nichts mehr gerewet, alß die complaisance vor dem docktor
gehabt zu haben. Mitt schaden wirdt man weiß; man wirdt mich
woll nicht mehr ertapen. Weillen ich kein fieber mehr habe,
habe ich daß meledy-Kendt-pulver nicht mehr von nöhten. Der
hunger ist mir gar nicht nach dem fieber kommen, eße weniger
alß niemandts in Franckreich undt werde durch zu viel eßen nie
kranck werden. Konte ich mein miltz so woll vor melancolie
bewahren, alß mein magen von zu viellen speyßen, würde ich gesunder
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sein, alß ich bin. Vor alle gutte wünsche dancke ich Eüch von
hertzen. Man sagt, der schnupen seye gar gesundt. Ich wünsche,
daß Ihr es verspüren möget, liebe Louisse! Die Frantzoßen haben
mich, weillen sie bey Eüch wahren, auß politesse gelobt, umb Eüch
einen gefahlen dran zu thun, weillen Ihr mich lieb habt; der leütte
hir im landt ihrer liebe aber habe ich mich nichts sonders zu
berühmen. Ich schicke Eüch zwar ein schreiben von Lenor, allein
hinfüro werde ich fleißig auff Ewere schreiben andtwortten undt
nicht nöhtig haben, daß jemandes anderst vor mich schreibt. Gutte
nacht, liebe Louisse! Seydt versichert, daß ich Eüch allezeit recht
lieb habe!