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A mad. Amelie Elisabeth, raugraffin zu Pfaltz, a Franckfort.
Versaille den 3 Julli 1702.
Hertzliebe Amelise, gestern habe ich durch ein schreiben von
ma tante, die fraw churfürstin von Braunsweig, wie auch durch
eines von Ewer schwester leyder erfahren, daß der arme Carl
Moritz gestorben, welches mir von hertzen leydt ist, undt beklage
Eüch von grundt meiner seelen; den ich mir leicht einbilden kan,
wie Eüch diß unglück zu hertzen gehen wirdt, Ewern lieben bruder
verlohren zu haben; undt ich hin versichert, daß Eüch dießes noch
ahn alle die andern erinern wirdt, so Ihr verlohren. Ich habe es
nicht so baldt gehört, so ist mir gleich mein bruder seelig undt
mein lieber Carllutz dabey eingefahlen, welche bey mir noch gar
nicht vergeßen sein. Gott der allmächtige, so allein in solchen
fällen trösten kan, wolle Eüch, lieb Amelis, auch trost verleyen
undt daß hertzenleydt mitt taußendt freüden ersetzen! Ich will aber
nichts mehr von dem unglück sagen, alß nur, wen er mich undt
Eüch geglaubt hette undt nicht so viel gedruncken, glaube ich, daß
er lenger gelebt hette. Jetzt komme ich auff Ewer schreiben vom
15 Juni, so ich vor ein tag oder 10 entpfangen habe. Hette ich
Eüch aber damahlen geschrieben, hette ich Eüch gar keine gutte
zeittung von meiner gesundtheit geben können; den ich habe 5
starcke acces vom fieber gehabt mitt einem gar starcken undt
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truckenen husten. Es finge doll ahn. Ich wuste schir nicht, waß ich
darvon dencken solte. Ich habe nichts gebraucht undt bin doch so
von mir selber wider courirt. Ich hatte die fraw von
Ratzsamshaussen gebetten, Eüch meinen zustandt zu berichten, welches sie,
wie ich glaube, gethan hatt. Daß kalte wetter hatt mir geschadt,
daß heyße wetter hatt mich wider zu recht gebracht. Daß zittern,
so Ewer armer bruder in den gliedern gehabt, kame gewiß von
viellem weindrincken. Ihr habt woll gethan, Eüch zu Ewerm
unglück zu bereitten; allein ich bin versichert, so bereydt Ihr auch
mogt geweßen sein, so wirdt es Eüch doch unerhört geschmertzt
haben; den welche resolution man auch nehmen mag, so kan ein
gutt gemühte solche unglück nicht mitt indifferentz ahnsehen, daß
geblüdt regt sich in unß undt lest sich fühlen. Die Lutzenburgin,
so Ihr gesehen, ist der madame des Alleure ihre schwester. Es ist
war, daß sie ein doll leben zu Strasburg geführt hatt undt also
kein wunder, daß sie die mansleütte cavallierement tractiren. Man
kompt mir alleweill sagen, daß meine kutschen kommen sein. Ich
werde ein wenig spatziren fahren; daß ist die eintzige artzeney, so
ich brauche, undt ich befinde mich gar woll darbey. Biß mitwog
werde ich nach Marly, alwo der hoff seyder vergangen mitwog ist.
Adieu, liebe Amelisse! Seydt versichert, daß ich Eüch allezeit von
hertzen lieb behalte!