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Brief vom 18. Juni 1705

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Amalie Elisabeth zu Pfalz


255.


[402]
Versaille den 18 Juni 1705.
Hertzliebe Amelise, Ihr thut gar woll, mir fleysig zu schreiben. Es ist nicht allezeit nöhtig, waß neües noch artiges zu sagen; wen es kompt, ist es desto beßer; aber wen ich nur weiß, daß Ihr gesundt seydt undt wie Ihr lebt, bin ich schon zufrieden. Man hatt mich nie gefiltzt, in der kirch zu schlaffen; habe mirs also so starck ahngewont, daß ich es nicht wider abgewehnen kan. Wen man morgendts predig, schlaffe ich nicht, aber nachmittags kan ich es ohnmöglich laßen. In den commedien schlaff ich nie, aber gar offt im opera. Ich glaube, daß der teüffel wenig dran denckt, ob ich in der kirch schlaff oder nicht; den schlaffen ist eine indifferente sach, welche keine sünde, sondern nur eine menschliche schwachheit ist. Wir sehen wenig prediger, so die kunst haben, unßere passionen zu demffen; seindt sie starck, so werden sie unßer meister; seindt sie schwach, werden wir meister. Aber die herrn predicanten thun nichts davon, noch darzu, sie seindt menschen eben wie wir undt haben genung mitt sich selber zu thun. Wen Ihr predigen wolt, versprech[1] ich Eüch versprechen, in Ewer predig nicht zu schlaffen, undt weillen Ihr ein lustige Christin seydt, so hoffte ich, Ihr wurdtet auch den himmelsweg mitt geigen behencken. Dießes gebett ist nicht schlim, von einen frolligen geist enthalten zu sein. Man sicht in dießem landt so viel lustige alß trawerige boßhafftig, also darauff gar nicht zu bawen ist. Unßer herrgott gibt daß temperament, umb lustig undt trawerig zu sein, aber hernach so thut die zeit undt daß alter auch viel dazu. Ich bin viel lustiger geweßen, wie ich jung war, alß nun. Nun bin ich schir alles müht. Wen die fraw Kilmanseck ihrer mutter köch [403] hatt, werdt Ihr woll bey ihr eßen; den sie sollen gutt sein. Grüst sie von meinetwegen! Es hatt ein mont lang hir ahn einem stück gefrohren undt seyder 3 tag regnets continuirlich.[2]
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 18. Juni 1705 von Elisabeth Charlotte an Amalie Elisabeth zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 1 (1867), S. 402–403
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d01b0255.html
Änderungsstand:
Tintenfass