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Versaille den 18 Juni 1705.
Hertzliebe Amelise, Ihr thut gar woll, mir fleysig zu schreiben.
Es ist nicht allezeit nöhtig, waß neües noch artiges zu sagen; wen
es kompt, ist es desto beßer; aber wen ich nur weiß, daß Ihr
gesundt seydt undt wie Ihr lebt, bin ich schon zufrieden. Man hatt
mich nie gefiltzt, in der kirch zu schlaffen; habe mirs also so
starck ahngewont, daß ich es nicht wider abgewehnen kan. Wen
man morgendts predig, schlaffe ich nicht, aber nachmittags kan ich
es ohnmöglich laßen. In den commedien schlaff ich nie, aber gar
offt im opera. Ich glaube, daß der teüffel wenig dran denckt, ob
ich in der kirch schlaff oder nicht; den schlaffen ist eine indifferente
sach, welche keine sünde, sondern nur eine menschliche
schwachheit ist. Wir sehen wenig prediger, so die kunst haben, unßere
passionen zu demffen; seindt sie starck, so werden sie unßer
meister; seindt sie schwach, werden wir meister. Aber die herrn
predicanten thun nichts davon, noch darzu, sie seindt menschen eben
wie wir undt haben genung mitt sich selber zu thun. Wen Ihr
predigen wolt, versprech
[1] ich Eüch versprechen, in Ewer predig
nicht zu schlaffen, undt weillen Ihr ein lustige Christin seydt, so
hoffte ich, Ihr wurdtet auch den himmelsweg mitt geigen
behencken. Dießes gebett ist nicht schlim, von einen frolligen geist
enthalten zu sein. Man sicht in dießem landt so viel lustige alß
trawerige boßhafftig, also darauff gar nicht zu bawen ist. Unßer
herrgott gibt daß temperament, umb lustig undt trawerig zu sein, aber
hernach so thut die zeit undt daß alter auch viel dazu. Ich bin
viel lustiger geweßen, wie ich jung war, alß nun. Nun bin ich
schir alles müht. Wen die fraw Kilmanseck ihrer mutter köch
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hatt, werdt Ihr woll bey ihr eßen; den sie sollen gutt sein. Grüst
sie von meinetwegen! Es hatt ein mont lang hir ahn einem stück
gefrohren undt seyder 3 tag regnets continuirlich.
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