[439]
A mad. Amelie Elisabeth, raugräffin zu Pfaltz, a Hannover.
Versaille den 4 Februari 1706.
Hertzliebe Amelise, Ihr habt gar recht errahten, daß kalte
wetter, der frost undt schnee, so nun regieren, laßen sich sehr
ahn meinem verstaugten bein undt knie fühlen; glaube nicht, daß
ich vor dem frühling couriren weredt.
[1] Ich dachte nicht, daß
wildtbratt ungesundt were; ich meinte, zahm schweinen fleisch were
schlimmer. War es pirlen, daß Eüch so lang gewehrt hatt, oder
ein durchlauff? Ich glaube, in der kalte zu gehen, wen man nur
warm gekleydt ist, ist nicht ungesundt; den man entpfindt die kält
weniger, wen man starck gehet, alß wen man still sitzt. Man hatt
exempel, daß leütte in kutzschen erfrohren sein. Ma tante schreibt
mir, sie habe ein wenig husten undt schnupen, aber daß haben
alle menschen jetzt. Ich bin Ewere meinung in alles, waß Ihr von
der redoutte sagt; die comedie ist auch mehr mein sach. Man kan
über ein mergen gar woll weinen; den alle tendre sentiementen
attandriren die gutte gemüther. Wen ihnen dergleichen
sentiementen zu ohren kommen, stelt man sich in selben platz undt denckt,
wie einen in solchen fall zu muhte; finde also nicht, daß es
[440]
lacherlich ist, die weinen zu sehen, so sich auff ein so tendre objet, alß
eine mutter ist, so ihre dochter opffern wirdt sehen, zu
attandriren. Daß hatt nichts ridiculles undt ich bin versichert, daß deß
noble Venitianers pfaff, so durch ein solch specktacle ist touchirt
worden, kein böß gemüht hatt; also kan man ihm dieße schwachheit
durch ein gutt motif entschuldigen; den Iphigénie ist ein gar
touchant stück, hatt mich offt weinen gemacht, undt wen ich in die
commedien mich nicht attendrirte undt touchirt fünde, würde ich
keine lust davon haben. Adieu, liebe Amelise! Hiemitt ist Ewer
lieber brieff vollig beantwortet; habe noch 4 große brieff zu
schreiben vor dem nachteßen, werde Eüch also vor dießmahl nichts mehr
sagen, alß wie daß ich Eüch allezeit recht lieb behalte.