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Brief vom 4. Februar 1706

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Amalie Elisabeth zu Pfalz


292.


[439]

A mad. Amelie Elisabeth, raugräffin zu Pfaltz, a Hannover.

Versaille den 4 Februari 1706.
Hertzliebe Amelise, Ihr habt gar recht errahten, daß kalte wetter, der frost undt schnee, so nun regieren, laßen sich sehr ahn meinem verstaugten bein undt knie fühlen; glaube nicht, daß ich vor dem frühling couriren weredt.[1] Ich dachte nicht, daß wildtbratt ungesundt were; ich meinte, zahm schweinen fleisch were schlimmer. War es pirlen, daß Eüch so lang gewehrt hatt, oder ein durchlauff? Ich glaube, in der kalte zu gehen, wen man nur warm gekleydt ist, ist nicht ungesundt; den man entpfindt die kält weniger, wen man starck gehet, alß wen man still sitzt. Man hatt exempel, daß leütte in kutzschen erfrohren sein. Ma tante schreibt mir, sie habe ein wenig husten undt schnupen, aber daß haben alle menschen jetzt. Ich bin Ewere meinung in alles, waß Ihr von der redoutte sagt; die comedie ist auch mehr mein sach. Man kan über ein mergen gar woll weinen; den alle tendre sentiementen attandriren die gutte gemüther. Wen ihnen dergleichen sentiementen zu ohren kommen, stelt man sich in selben platz undt denckt, wie einen in solchen fall zu muhte; finde also nicht, daß es [440] lacherlich ist, die weinen zu sehen, so sich auff ein so tendre objet, alß eine mutter ist, so ihre dochter opffern wirdt sehen, zu attandriren. Daß hatt nichts ridiculles undt ich bin versichert, daß deß noble Venitianers pfaff, so durch ein solch specktacle ist touchirt worden, kein böß gemüht hatt; also kan man ihm dieße schwachheit durch ein gutt motif entschuldigen; den Iphigénie ist ein gar touchant stück, hatt mich offt weinen gemacht, undt wen ich in die commedien mich nicht attendrirte undt touchirt fünde, würde ich keine lust davon haben. Adieu, liebe Amelise! Hiemitt ist Ewer lieber brieff vollig beantwortet; habe noch 4 große brieff zu schreiben vor dem nachteßen, werde Eüch also vor dießmahl nichts mehr sagen, alß wie daß ich Eüch allezeit recht lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 4. Februar 1706 von Elisabeth Charlotte an Amalie Elisabeth zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 1 (1867), S. 439–440
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d01b0292.html
Änderungsstand:
Tintenfass