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A mad. Louise, raugräffin zu Pfaltz, a Hannover.
Versaille den 12 Augusti 1706.
Hertzliebe Louisse, ob ich zwar ein brieff von 18 seydten ahn
ma tante geschrieben, will ich doch auff Ewer wertes schreiben
vom 3 dießes monts, so ich gestern entpfangen, andtworten undt
hernach noch 3 frantzosche brieffe schreiben. Es ist, gott lob,
nicht war, daß es so gar übel mitt ma tante, die fraw abdißin
von Maubuisson, ist. Ich schickte I. L. gestern den brieff von
unßer lieben churfürstin. Mein valet de pied fandt I. L. in ihrem
gartten. Sie seindt beßer, alß sie wahren, wie ich letzt dort war.
I. L. haben ein groß alter; den seyder dem April seindt sie in ihr
85 jahr getretten. Sie sehen noch ohne brill, haben daß gehör
gutte undt den verstandt auch; aber wen der mont im abnehmen
ist, haben sie mühe, zu reden, undt stameln sehr, auch mühe, zu
gehen; den ein schenckel ist schwach; aber sie eßen woll, schlaffen
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woll undt sein lustig; hoffe also, ob gott will, daß es noch so
baldt nicht zu einem endt kommen wirdt. Wer alter undt viel
frischer ist, alß I. L., daß ist der gutte ehrliche monsieur de Polier.
Wen er die augbrawen schwärtzen wolte, würde er sein, wie vor
50 jahren. Er ist woll, geht so strack, alß nie, hatt seine zähn
noch, list ohne brill undt ist, wie Ihr ihn all Ewer leben gesehen
habt, geht doch jetzt in sein 87 jahr; wen man ihn sicht, kan man
kein scheü vor dem großen alter haben. In dießer zeit ist der
durchlauff nicht ungesundt, wen kein rohte rur drauß wirdt. Nichts
macht übeller außsehen, alß der durchlauff. Ma tante hatt, gott
seye danck, eine gutte natur. Morgen werde ich expres nach
Paris, mitt dem monsieur Schultes die stoffen vor der printzes
brautkleyder zu wehlen. Adieu, liebe Louise! Seydt versichert, daß
ich Eüch allezeit lieb behalte!