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Brief vom 19. Januar 1709

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Amalie Elisabeth zu Pfalz


404.


[071]

A mad. Amelie Elisabeth, raugräffin zu Pfaltz, a Heydelberg.

Versaille den 19 Januari 1709.
Hertzliebe Amelise, ich habe vorgestern Ewer liebes schreiben vom 5 dießes monts zu recht entpfangen undt andtworte auff [072] meinem bestimbten tag. Es ist mir von hertzen leydt, daß Louise wider in so einem übelen standt mitt ihren augen ist. Ich bitte Eüch, ambrassirt sie von meinetwegen undt sagt ihr doch, wie leydt es mir ist, sie noch incommodit zu wißen! Wen wünschen waß helffen könte, würde sie baldt wider woll sein; den ich wünsche ihr eine perfecte gesundtheit von grundt meiner seelen. Ihr machte in Ewerm brieff, liebe Amelisse, wie die coquetten, die allezeit vor heßlich schelten, waß sie ahm hübschten haben, damitt man sich[1] loben mag. So macht ihrs auch, wen Ihr sagt, das Ihr besorgt, ich werde Ewerer schreiben baldt übertrüßig werden; den Ihr wist gar woll, daß dießes nicht geschicht, den erstlich so schreibt Ihr gar woll undt zum andern so habe ich Eüch zu lieb darzu, umb nicht allzeit fro zu sein, wen ich etwaß von Eüch undt Louisse höre, undt wen es auch nur were, vom vatterlandt zu hören undt mich in der muttersprach zu exerziren, will geschweyen den, wen alle obgedachten ursachen sich beysamen finden, so würde ich fro sein, Ewere schreiben zu entpfangen. Also habt hirüber gar keinen scrupel mehr! Es ist gewiß, daß der gutte ehrliche monsieur de Polier zu verwundern ist; er ist nun in dießem mont 89 jahr alt worden undt raisonirt noch so woll, alß er vor 40 jahren gethan. Seine gottsforcht fengt nicht spat ahn; es ist woll schon 40 jahr, daß er so gotsforchtig ist, undt hatt allezeit gar woll gelebt undt alß ein gutter Christ. Ich glaube nicht, daß unßer herr gott von den Christen erfordert, ahn nichts, alß geistliche sachen, zu gedencken; den sonsten hette er unß nicht die liebe deß negsten so sehr befohlen; den weillen unß der almächtige in dieße weldt gesetzt hatt zu seiner ehr undt deß negsten nutz, ist es nohtig, alles zu hören, umb dadurch vor beydes ahnlaß zu bekommen, also daß, wer von nichts, alß geistlichen sachen, hören wolte, were es nur eine unnohtige bigotterie. Monsieur Polier ist nicht bey hoff, er ist in der einsambkeit zu Paris, geht nur auß, umb in die predig bey den schwedischen envoyes zu gehen, undt wen ich nach Paris gehe, kompt er zu mir; er schreibt mir aber alle tag undt allezeit etwaß gottsförchtiges.
Den desein, Tortosse[2] wieder zu nehmen, soll kein Spanier, sondern der graff von Starenberg erdacht haben; den seine art, [073] den krieg zu führen, ist allezeit mitt lautter finessen, gehen aber nicht allemahl ahn. Die spanische zeittungen können wir hir nicht falsch haben, den sie kommen von meines sohns armée. Ewere zeitungen, so Ihr mir geschickt, haben nur einen falschen article, nehmblich den aller letzten, wo er sagt, daß brouillerien in der famille royale sein. Daß ist gantz undt gar nicht war, es ist nicht die geringste brouillerie unter ihnen. Mitt dem prince de Conti ist man noch zwischen forcht undt hoffnung. Man hört hir nichts, alß über die kalte klagen; bey menschen gedachtnuß kan man sich nicht erinern, einen solchen winter erlebt zu haben. Alle morgen seyder 14 tag hört man von leütte sprechen, so man todt gefunden; feldthüner findt man erfroren im feldt. Alle specktacle haben aufgehört so woll, alß alle processen; die pressidenten undt raht können nicht mehr in cammern gehen vor kalte, suma, man hatt sein leben nichts dergleichen erlebt. Ich bitte Eüch, liebe Amelise, schreibt mir doch, obs zu Heydelberg auch so unleydtlich kalt ist wie hir! Es hatt hir just die nacht ahngefangen, da Ihr mir den tag geschrieben hattet, nehmblich den 5ten. Zu Wolffenbüttel soll nun eine große universitet sein, der Czaar solle seinen sohn hinschicken; der solle eine teütsche fürstin heürahten, wie mir hertzog Anthon Ulrich selber geschrieben hatt. Es ist woll war, daß alles in der welt endert, aber seydt versichert, liebe Amelise, daß ich nie vor Eüch noch Louise endern werde, sondern Eüch allezeit von hertzen lieb behalten!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 19. Januar 1709 von Elisabeth Charlotte an Amalie Elisabeth zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 71–73
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0404.html
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