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A mad. Louise, raugraffin zu Pfaltz, a Heydelberg.
Marly den 11 May 1709.
Her[tz]allerliebe Louisse, vorgestern habe ich Ewer liebes
schreiben vom 3 April zu recht entpfangen, also zimblich frisch
überkommen. Mein gott, wie jammert mich Amelise, allezeit in einem
so ellenden standt zu [sein]! Gott gebe nur, daß es ein gutt endt
nehmen möge undt sie völlig geneßen möge! Ich gestehe aber,
daß mir recht bang vor sie ist, den man erstickt so leicht. Gott
der allmachtige wolle Amelisse gnädig davor bewahren undt sie
wider zur volkommenen gesundtheit verhelffen! Wünsche es von
grundt meiner seelen. Man kan sich schir nicht über Amelise
beßer sein erfrewen, weillen es, wen man meint, daß es ahm besten
ist, wider umbschlecht. Ewere schrecken seindt leicht zu
begreiffen, liebe Louise, undt ich beklage Eüch woll von hertzen drüber
undt es ist leicht zu glauben, daß, wen man gleich nicht
schreckhafft ist, daß man doch woll erschrecken kan, wen man eine liebe
schwester in einem solchen standt sicht, wie Ihr Amelise schon
etlich mahl gesehen habt. Daß beste doch ist, daß man in dem
standt lang lebt. Deß königs leibdockter hir ist in den selben
standt schon lange jahren undt ist doch ein alter man, er felt vor
schmertzen in die gichter, alß wen er die schwer-noht hett. Ey,
liebe Louise, glaubt doch nie, daß Ewere schreiben mich
importuniren können! Den daß kan nicht sein undt wen Ihr mir gleich
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alle tag schreiben soltet. Ja, wen Ihr meint, daß Ihr die eintzige
seydt, so ihn 4 mauern steckt, ohne jemandts zu sehen, so betriegt
Ihr Eüch sehr. Lenor, so jetzt da hinder mir sitzt undt mir den
rucken kratzt undt alle jahr 6 mont hir ist, konte Eüch woll sagen,
waß vor ein stilles undt, die rechte warheit zu sagen, langweilliges
leben wir hir führen. Solche zeiten, alß nun sein, habe ich zeit
meines lebens nicht erlebt. Solte mein sohn dieß jahr nach
Spanien gehen, konte man dem generalmajor von Effern woll einen
wechsel zukommen laßen; aber ist noch ungewiß, ob mein sohn hin
wirdt oder nicht. Pistollen seindt nun thewere war; bey dießer
hungersnoht hatt ein jeder daß seine gar hoch von nöhten, weiß
also nicht, wie man dießen graffen helffen könte. Alles ist gar
wunderlich nun. Gott gebe baldt einen frieden! Es ist in der
gantzen Christenheit hoch von nohten. Ihr werdet nun schon
erfahren haben, wie betrübt mademoiselle de Malausse nun ist, ihren
oncle, den mylord Feversham, verlohren zu haben. Von hir kan
ich gantz undt gar nichts neües sagen, muß derowegen schließen,
ambrassire Eüch undt Amelise von hertzen undt versichere, daß ich
Eüch allezeit lieb behalte.