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A mad. Louise, raugraffin zu Pfaltz, a Ghör.
Marly den 9 November 1709.
Hertzliebe Louise, gestern abendts, wie ich wider von
St-Germain kamme, habe ich zwey von Eweren lieben schreiben in ein
paquet entpfangen, worauff ich hiemitt andtworten werde. Ma tante,
unßere liebe churfürstin, hatt mir schon in ihrem letzten schreiben,
so ich vor dem gesterigen entpfangen, die beschreibung von dem
schönnen palast zu der Ghör gethan. Es ist mir aber leydt, daß
das wetter nicht so sanfft dort ist, alß hir; den wen daß were,
konten I. L. braff im waldt spatziren. Ich weiß woll, waß advenüen
sein. In Franckreich ist kein eintzig landthauß, so nicht avenuen
hatt; da kan man ja auch woll in spatziren. Wie ich mir dießen
ort einbilde, solte er ahngenehmer im Mayen sein, alß im herbst.
Hir im landt hatt es nur gereifft undt gar nicht eiß gefrohren; wir
haben aber kalte winde gehabt, wovon jederman husten undt
schnupen bekommen. Ist es möglich, daß Ihr, liebe Louisse, nie keine
parforce-jagt gesehen habt? Ich habe gewiß mehr alß taußendt
hirsch fangen sehen, habe auch manchen braffen fall im jagen
gethan. In 26 mahl, daß ich gefallen bin, habe ich mich nur ein
eintzig mahl wehe gethan, undt dazu rente ich damahl nicht, ich
fundt aber einen stein unter den ellenbogen, der mir den arm
verenckte.
[1] Bey allen andern fällen ist mir nicht der geringste
schaden widerfahren; daß hatt mich so gehertzt renen machen. Deß
churfürsten pferdt müßen gutte schenckel haben, den in den hügeln
auff undt ab zu renen, fälldt man gar leicht. Solte daß wetter
zu der Ghör werden, wie wir es seyder 9 tagen hir haben, glaube
ich nicht, daß ma tante wirdt halten können, nicht in dem waldt
zu spatziren. Wie kan der churfürst leyden, daß madame Sasdot
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über Eüch sitzt?
[2] Vergist er den, daß Ihr geschwister-kindt mitt
ihm seydt, eine reichsgräffin? Undt madame Sastot ist ja nur
eine simple dame undt gar keine gräffin. Wen sie den
hoffmeisterinen solchen rang geben wolten, solten sie auch alle lautter
reichsgräffinen zu hoffmeisterinen nehmen, so were nichts dagegen
zu sagen. Der churfürst thut sich selber unrecht, wen er solche
poßen ahnfengt. Solche pillen seindt hart zu verthawen, wünsche,
daß Eüch dergleichen nicht offt kommen möge. Gestern sahe ich
einen herrn, den ich lengst gern gesehen hette, weillen ich so gar
viel von ihm gehört hatte, nehmblich Churbayren. I. L. seindt
gantz incognito hir, wollen weder vissitten geben noch entpfangen.
Er jammert mich recht, den er sicht betrübt auß. Ob I. L. zwar
incognito sein, so hatt ihn doch unßer könig neben sich in den
rollwagen gesetzt, wie er I. L. den garten gewießen. Ich bin recht
fro, zu vernehmen, daß unßere liebe churfürstin so gesundt ist.
Gott der allmächtige erhalte I. L. lange jahren dabey! Wir haben
heütte morgen gar eine schönne, aber gar kurtze jagt gehabt, der
hirsch hatt nur
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4 stundt gewehrt. Man hatt ihn ins waßer
gefangen, er hatt gejamert, wie ihn die hundt erseüfft haben. Die
posten gehen bitter unrichtig, aber alle sontagspost werdet Ihr
gewiß ein schreiben von mir zu erwartten haben. Es ist nun schon
ein zeit lang, daß ich, gott lob, nichts gar betrübtes gehört habe,
also wider guttes muhts. Ich will nicht andtworten auff den todt,
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den daß macht Eüch zu viel ahn trawerige sachen gedencken, habe
also weyder nichts auff Ewer zweytes schreiben zu sagen, liebe
Louisse, alß daß wir in einer halben stundt in die mussiq gehen,
welches alte leyern sein, den man singt nur die alten operaen von
Lully;
[4] es geschicht mir offt, drüber einzuschlaffen. Adieu! Ich
ambrassire Eüch von hertzen, liebe Louisse, undt behalte Eüch
allezeit von hertzen lieb.