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A mad. Louise, raugraffin zu Pfaltz, zu der Ghör.[1]
Versaille den 29 October 1710.
Hertzallerliebe Louise, vergangenen sontag habe ich Ewern
lieben brieff vom 17 October zu recht erhalten. Ihr habt gar nicht
übel gethan, mir dießen tag nehmblich zu schreiben; den Ihr werdet
durch den meinen sehen, daß ich in sorgen war, so lange nichts
von Eüch bekommen zu haben, undt weillen Ihr mir die erste reiß,
so Ihr vergangen jahr zu Wolffenbüttel geweßen, geschrieben habt,
konte ich nicht rahten, daß Ihr es dieß jahr keine zeit würdet
haben. Ich hette vergangenen sontag gern auff Ewer schreiben
geantwortet, ich habe es aber ohnmöglich thun können; den außer
waß ich ahn ma tante geschrieben, habe ich noch 4 brieff nach
Luneville undt 3 nach Paris schreiben müßen. Ich hatte viel affairen
den tag gehabt; den den andern tag hatt sich mein neüer intendent
undt secretaire des commandement eingestelt, umb seinen aydt
abzulegen, habe derowegen alles dazu ordonniren müßen. Meine handt
ist lengst wider heyll, die pommade divine fehlt solche schmertzen
nie zu coregiren. Ich wolte lieber noch einmahl so wehe ahn der
lincken handt haben; den es ist mir unleydtlich, wen ich nicht
schreiben kan. Es freüdt mich recht, daß der
[2] erpprintz von
Wolffenbudel mein woll meinentes compliment so ahngenehm geweßen. Ich
müste ein kurtz gedächtnuß haben, wen ich mich seiner nicht
erinern solte. Ich glaube nicht, daß es über 3 jahren ist, daß ich
I. L. hir gesehen habe, aber wen diß auch nicht were undt er nur
hertzog Anthon Ulrichs sohn, würde ich mich doch vor I. L.
interessiren. Ma tante, unßere liebe churfürstin, hatt mir nur so
oben hin verzehlt, waß vorgangen, berufft sich auff ihres secretarius,
monsieur Gargants,
[3] relation, die ich noch nicht entpfangen habe.
Aber man rufft mich, morgen werde ich dießen brieff außschreiben.
Ich finde es vor ein recht glück, daß ma tante undt der gutte
hertzog noch lust in waß nehmen, den daß ist gar gesundt.
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Donnerstag abendts umb halb 9 abendts den 30 October.
Ich habe heütte so viel interuptionen bekomen, daß ich schir
gedacht, ich würde dießen brieff nicht außschreiben können. Ich
habe heütte morgen ein gnädig schreiben von ma tante entpfangen.
I. L. haben mir aber nicht die beschreibung geschickt, es muß noch
nicht fertig sein. Die junge leütte itziger leütte
[4] meinen, es seye
nichts artigers, alß faull zu sein undt sich gleich beschwehren, wen
man sie ein wenig gehen oder stehen macht. Daß war vor dießem
der brauch nicht; man hilte faulheit vor ein laster. Waß ich glaube,
daß, waß ma tante den husten undt schnupen verursachet, ist nicht
die vielle bewegung, sondern daß sie in der nacht herumb gefahrn
undt die illuminationen gesehen haben. Ma tante muß doch wider
woll sein, weillen sie nun zu der Ghör sein. Es seindt so schonne
exempel in den gazetten von leütten, so über hundert jahr gelebt,
daß ich zu meinem trost hoffen will, daß I. L. es auch so weitt
bringen werden. Wolffenbüttel, deücht mir, zieht alß daß lob nach
sich, daß alle leütte dort so hofflich undt ahngenehm sein. Mich
deücht, Ihr habt allezeit eher die freündtschafft von hohen, alß
niederigen personnen. Biß sontag wirdt es schon 14 tag, daß ich
die trawer vor die hertzogin von Modene ahngethan habe. Mich
wundert, daß Ihr die hertzogin von Modene nie gesehen habt. Habt
Ihr die keyßerin auch nicht gesehen? Ihr machts jetzt wie ich;
wen jemandts stirbt, so man lobt, bin ich alß froh, es nicht
gekandt zu haben. Die hertzogin von Modene jammert mich, allein
ich habe allezeit die keyßerin ahm liebsten gehabt. Hiemitt ist
Ewer liebes schreiben doch vollig beantwortet, bleibt mir also nur
überig, Eüch von hertzen zu ambrassiren undt meiner wahren
freündtschafft zu versichern.