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Versaille den 4 December 1710.
Hertzallerliebe Louise, ich habe heutte Ewern lieben brieff vom
22 November mitt ma tante ihrem gantz unverhoffter weiß
entpfangen, dancke Eüch, liebe Louise, daß Ihr so part in den
abscheulichen schrecken [genommen], so mein sohns fall mir
verursachet. Ich dencke nicht mehr dran, den mein sohn ist, gott lob,
vollig courirt undt tregt kein charpe mehr; bin Eüch sehr
verobligirt vor alle gutte wünsche, so Ihr ihm thut. Ich bin nun lähmer,
alß er, den mein verstauchter fuß thut mir noch sehr wehe undt
ich glaub, daß, je weniger man gehen kan, je mehr mögte man
gehen wollen, habe also eine rechte mortification, daß so gar schönne
frühlingswetter zu sehen, ohne spatziren zu gehen können. Ma
tante heist den parforcejagt-jagermeister nicht Polier, sondern
Beaulieu; daß seindt gar gemeine nahmen hir undt glaube, daß der adel
kurtz dort ist. Wie kompts, daß die damen daß dantzen
abgeschlagen haben mitt dem cronprintz undt churprintz? Der cronprintz
solle ein wenig fett sein. Wen daß ist, ist daß fallen gefahrlich,
den man felt schwer undt thut sich ehr wehe. Es ist ein recht
glück, daß er ohne fallen davon kommen ist. Hir sicht man alle
königliche printzen außgezogen, da macht man kein façon von. Mich
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wundert, daß keine von ma tante damen ihre schuldigkeit nicht
nachkommen sein. Mein gott, wie endern die zeitten! Daß finde
ich recht unhöfflich undt gegen ma tante respect, den es ist ja ihr
enckel; daß thete man hir doch nicht. Es ist kein wunder, daß
Ihr daußellich geweßen, so will
[1] nächte nicht geschlaffen zu haben.
Ich hoffe, daß Ihr es werdet wider eingebracht haben. Wir haben
gantz undt gar nichts neües hir. Alle woche haben wir 3 mahl
commedie, die überige tage seindt apartement;
[2] ich gehe aber
nicht nein, weillen ich nie spielle, undt die spieller sehen die leütte
gar ungern, so nur zusehen. Adieu, liebe Louisse! Ich ambrassire
Eüch von hertzen undt werde Eüch alle mein leben lieb behalten.