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Marly den 16 April [1711].
Hertzliebe Louise, meine intention war, heütte gar exact auff
Ewer liebes vom 30 Mertz zu andtwortt[en], so ich letztmahl nicht
gekondt hatte, allein ich habe woll nicht erahten konnen daß
unglück, so seyder dem geschehen, nehmblich, daß monsieur le Dauphin
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dinstag nachts umb 11 sterben [werde], da man ihn gantz außer
gefahr gemeint. Daß fleckfieber hatt sich zu den kinderblattern
geschlagen undt den gutten herrn erstickt.
[2] Der könig ist selbe
nacht gleich her, hatt aber verbiehten laßen, daß wir selbe nacht
nicht her solten. Ich habe mich doch umb 12 wieder ahngethan,
umb zu Monseigneur kinder zu gehen, welche ich in einer
betrübtnuß gefunden, daß einen stein erbarmen mögt. Umb 3 uhr
morgendts bin ich schlaffen gangen, habe aber kein aug zugethan biß
umb 7, daß ich wider auffgestanden bin, umb her zu kommen, dem
konig daß leydt zu klagen. Der hatt mich woll in der seelen
touchirt, den er ist in der grosten betrübtnuß, daß ein mensch sein
[kann]; all ebenwoll ist er nicht gritlich, spricht mitt jederman
undt gibt ordre in alles undt man sicht eine soumission in gottes
willen, die nicht außzusprechen, trost sich mitt dem einigen, daß
Monseigneur beichtsvatter versichert, daß Monseigneur gewißen in
einem gar gutten standt war, daß er hoffen konte, daß er auff
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Ostern woll zum h. abendtmahl gangen, also seelig gestorben. Der
könig redt so christlich, daß es einem recht zu hertzen geht, undt
hatt mich gestern den gantzen tag flenen machen. Nachdem ich
den könig gesehen, bin ich wider nach Versaillen undt abendts her.
Ich habe heütte einen großen brieff ahn ma tante geschrieben, bin
nauf zur printzes de Conti (ihre stiege hatt 56 hohe staffeln), bin
zu madame la duchesse zu fuß durch den garten, habe hernach die
königin in Engellandt entpfangen. Ich bin müde wie ein hundt,
kan derowegen vor dießmahl ohnmoglich mehr sagen, alß daß, in
welchen standt ich auch sein mag, daß ich Eüch, liebe Louisse,
von hertzen lieb behalte.