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Brief vom 1. Juli 1714

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


653.


[403]
Marly den 1 Julli 1714.
Hertzallerliebe Louisse, vor etlichen tagen habe ich Ewer liebes schreiben vom 14 Juni zu recht entpfangen. Ich konte Eüch woll in echo andtwortten, den ich weiß warlich nicht, wie ich nicht vor schrecken undt betrübtnuß todt niedergefallen bin. Waß ich seyder dem alle tag leyde, ist nicht außzusprechen, wie Ihr schon auß meinem letztem schreiben, so ich Eüch vor 8 tagen geschrieben, werdet ersehen; aber ich weiß selber nicht recht, waß ich Eüch geschrieben habe, so sehr setzt mich diß abscheüliche unglück auß mir selber. Es ist woll daß gröste, so mir in dießer welt hette begegnen können. Dieße liebe churfürstin s. hatt mich durch dero gnädige schreiben auß manche betrübtnuß undt hertzenleydt gezogen, so ich hir im landt entpfunden, aber nun lebe ich ohne trost undt habe auch keinen nirgendts zu hoffen; also könt Ihr, liebe Louisse, leicht errachten, waß vor ein ellendes undt traweriges leben ich hinfüro biß ahn mein endt führen werde. Die threnen hören auff, aber der innerliche schmertzen undt trawerigkeit wirdt biß ahn mein endt wehren. Ich weiß selber nicht mehr, ob ich Eüch geschrieben habe, liebe Louisse, wie ich diß unglück erfahren undt wie man mirs durch meinem beichtsvatter hatt ahnkünden laßen. Es kamme mir ein zittern ahn, alß wen man in einem starcken fieber den frost hatt; ich wurde auch dabey bleich wie der todt, war woll eine viertelstundt ohne weinen, aber der ahtem fehlte mir, war, alß wen ich ersticken müste. Hernach kammen die threnen heüffig undt wehrten tag undt nacht, darnach wurde ich wider trucken undt erstickte, biß die threnen wider heüffig kammen, daß hatt so bißher gewehrt. Waß mich wunder nimbt, ist, wie ich so gesundt dabey bleibe, den ich bin gar nicht [krank]. Man hatt mich schon 2mahl auff die jagt führen wollen, ich habe mich aber nicht dazu resolviren können, den ich kan in nichts in der weldt lust nehmen. Ihr habt woll recht, zu sagen, daß mir dieße abscheüliche zeittung durch hertz undt seele gedrungen hatt. Ihr seydt so gottsförchtig, liebe Louisse, daß, wen mir gott der allmächtige trost undt erleichterung schicken solte, würde ich es Ewerm gebett zuschreiben. Ich hoffe, das man Eüch [404] meinen brieff von Hannover schicken [wird]. Weillen man ahn monsieur de Martine geschrieben, daß man Eüch einen expressen courier nachgeschickt, umb Eüch wider zu ruffen, meinte ich, daß Ihr wieder zu Hannover sein würdet; aber ich begreiffe nur gar zu woll, wie es Eüch ohnmöglich geweßen, wider umbzukehren, umb ein so hertzbrechendes unglück zu sehen, so Ihr schon so lang gefürcht. Ich habe woll gedacht, daß es Eüch würde gereüet haben, nicht lenger geblieben zu sein. Ich glaube, Ihr habt weg gemüst, weillen Ewer stunde noch nicht kommen war; den daß leydt undt schrecken würde Eüch ebenso plötzlich umb leben gebracht haben, alß unßere liebe churfürstin s. Aber man rufft mich, in die kirch zu gehen. Dießen nachmittag werde ich dießen brieff außschreiben, nur noch sagen, daß, wofern monsieur de Wersebé, wie ich nicht zweiffle, durch Franckfort ginge, bitte ich Eüch, ihm doch mein paquet vor ma tante abzufordern laßen, umb mitt zu thun, wie ich Eüch in meinem letzten brieff gebetten.
Sontag nachmittags, den 1 Julli, umb 5 abendts.
Ich bin gleich nach dem eßen greülich geplagt worden mitt allen meinen schuldenern,[1] denen ich alle mont waß gebe, biß sie gantz bezahlt werden, drumb fange ich so spat ahn, zu schreiben. Ihr solt Euch kein scrupel machen, Ewere reiße fortgefahren zu haben; den erstlich so kontet Ihr dieß unglück nicht vorsehen, weillen Ihr ma tante s. in gutter gesundtheit verlaßen hattet, undt zum andern so habt Ihr ja gott zu dancken, Eüch nicht dabey gefunden zu haben. Daß gehen hatt daß schleünige unglück nicht verursachen können, es muß ein schlagfluß geweßen sein, so unßer abscheülich unglück verursachet,[2] aber wie Ihr gar recht sagt, es war deß högsten will, die liebe churfürstin abzufordern. Die zu gott gehen, seindt nicht zu beklagen, aber woll die, so noch bleiben in dießer bößen unleydtlichen weldt. Ach gott, mir selber hatte ma tante offt geschrieben, biß[3] sie einen schleünigen todt vor den besten halte undt daß es eine schlegte sach seye, wen man im bett stirbt, den pfarer oder prister auff einer seydt hatt undt den docktor auff der andern seytten undt können doch nichts helffen; sie woll es so [405] machen, daß sie dieß spectacle nicht geben wolle, hatt leyder nur zu wahr gesagt. Mir hatt man nichts von Hannover bericht, aber eine dame, so ich nicht kene undt madame de Robethon[4] heist, so Ihr gewiß woll kenen werdt, hatt alles ahn monsieur de Martine geschrieben, sonsten wüste ich es nicht. Wen einmahl daß unglück ahnfengt, ist kein endt dran, daß versuchen wir beyde woll leyder. Aber dießes alles hatt ich nicht von nohten, umb die eytelkeit dießer weldt zu lehrnen, große höffe seindt die besten schullen dazu. Ach, liebe Louisse, wie weit bin ich von ma tante s. tugendten undt verstandt![5] Ach nein, in dieser welt ist I. L. s. nichts zu vergleichen. Mein gott, liebe Louisse, wie kan ich mich ohnmöglich[6] von dießem unglück wider erhollen? Ma tante war mein eintziger trost in allen widerwertigkeytten hir, sie machte mir mitt ihren lustigen brieffen alles leicht, waß mich auch ahm betrübsten gedaugt[7] hatt, sie hatt mir dadurch bißher daß leben erhalten. Zudem vor waß solle ich mich conserviren? Ich bin niemandts nichts nutz undt mir selber beschwehrlich. Dießen brieff werde ich bestellen, wie Ihr mirs ahnweist, undt in ein par tagen will ich Eüch einen schreiben, den will [ich] geradt nach Franckfort ahn den residenten Gulman adressiren. Kompt selbiger auch zu recht, so bitte ich Eüch, liebe Louisse, mir zu berichten, welcher von beyden ahm lengsten unterwegen geweßen, damitt ich mich darnach richten kan. Den ich pretendire, Eüch, liebe Louisse, fleißig [zu] schreiben; Ihr seydts allein, die mir noch von alles, waß mir nahe undt lieb ist, überig seydt in gantz Teütschlandt. Adieu, liebe Louisse! Ich weiß, [406] wie Ihr zu beklagen seydt, den ich bin gewiß, daß ich fühle, waß Ihr fühlet; aber in welchem standt ich auch sein mag, so werde ich doch, so lang mein ellendes leben wehren wirdt, allezeit dießelbe vor Eüch sein undt Eüch von hertzen lieb behalten.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 1. Juli 1714 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 403–406
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0653.html
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