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Brief vom 6. September 1714

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


662.


[439]
Fontainebleau den 6 September 1714.
Hertzallerliebe Louisse, unßer commerce richt sich nun gantz woll ein, gott lob! Den vergangen montag habe ich Ewer liebes schreiben vom 25 Augusti zu recht entpfangen, worauff ich, wilß gott, heütte vollig andtwortten werde. Ich kan Eüch nicht außsprechen, liebe Louisse, wie sehr es mich in ruhen setzt, darauß zu ersehen, daß Ihr mein paquet, so ich monsieur de Wersebé vor ma tante s. geben hatte, in Ewern händen ist; den auß alles, waß Ihr darinen geleßen, segt Ihr woll, daß ich ursach hatte, in rechten sorgen zu sein, daß mein paquet in andere händen hir kommen mögte. Gott sey danck, daß es nicht geschehen! Ihr habt gar woll gethan, daß paquet ahn mein adresse aufzumachen; den Ihr kontet woll gedencken, waß es war. Unßer herrgott muß Eüchs im sin geben haben; den es were ein recht unglück vor mich geweßen, wen daß paquet in der ministre händen gerahten were, wie Ihr, liebe Louise, nachdem Ihr es geleßen, woll leicht werdet judiciren können. Ich weiß mirs woll danck, so offt vorgebawet zu haben, daß man daß paquet nicht auff die post thun solte; bin nun gantz ruhig, war es aber nicht vorher, wie Ihr noch auß meinem letztem schreiben werdet ersehen haben. Ihr habt auch gar woll gethan, nicht viel über daß paquet, so Ihr geleßen, zu raisoniren; den alle brieffe, so sich ahn mir adressiren, werden auffgemacht undt geleßen, ehe ich sie entpfange.[1] In dießer [welt] wirdt man gebohrn, umb zu leyden; ist es nicht auff eine manier, so ist es auff die ander. Daß beste, wie mich deücht, ist, seinen gerahten weg fort zu gehen undt sich in gottes schutz befehlen undt, wirdt man ahngefochten, sich auff best zu wehren, wie Ihr secht, daß ich gethan. Seydt in keinen sorgen vor mich! Ich bin zu alt, umb mich waß weiß zu machen laßen. Ich glaube nicht, daß man mich mehr plagen wirdt; den ich habe gar trucken gesagt, daß man mich [440] mitt frieden laßen solle, daß man doch nichts mitt mir außrichten würde; auch seyder dem hatt man mich nur gebetten, nicht davon zu reden, welches ich leicht accordire; den ich gebe mich gar vor keinen apostel auß. So baldt ich wider zu Versaille sein werde, werde ich thun, waß der könig von Englandt begehrt, undt alle die brieffe von unßer lieben churfürstin s. verbrenen, wo etwaß vom hauß drinen stehet.[2] Die alte zoht, die hertzogin von Zell,[3] breydt zu Paris ein geschrey auß, so mich piquirt hatt, nehmblich daß der churfürst von Braunsweig, seyder er könig ist, sie mitt aller gewalt hatt haben wollen, umb sie mitt sich nach Englandt zu führen, daß sie aber einen so großen widerwillen gegen ihrem könig hatt, daß sie ihm sagen laßen, sie wolle lieber all ihr leben im schloß Allen[4] zubringen, alß wider alß seine gemahlin zu wohnen. Daß gibt ein ridicul, so mich verdrist. Ich kan nicht glauben, daß es war ist, glaube eher daß contraire, nehmblich daß sie sich offrirt undt man sie nicht hatt ahnnehmen wollen.[5] Ich bitte Eüch, liebe Louisse, informirt [Euch], waß dran ist undt ob ich recht errahten habe! Bißher habe ich mich nicht resolviren können, einen eintzigen brieff von ma tante s. zu brinen, alß die, welche sie mir expresse befohlen zu brenen. Freyllich habe ich ma tante kinder lieb; sie seindt mir ja nahe genung dazu, zum andern [441] aber so war ich ja I. L. s. so ergeben, daß sie nichts lieb haben konten, so mir nicht auch gleich lieb war. Unßer neüer könig hatt daß, er ist trucken undt mißtreüisch;[6] undt wen man bey sich selber verspürt, daß man nie keine ursach hatt geben, daß mißtrawen zu erwecken, so vertriest es einem doch ein wenig. Es geht mir wie den kindern, so sagen: J’aime papa et maman. So geht mirs auch; ich liebe unßern churfürsten, so könig worden; unßer könig in Englandt hir undt die königin, seine fraw mutter, seindt mir auch lieb. Ich wolte, daß unßer churfürst ein ander königreich hette undt unßer könig in Engellandt daß seine; den ich gestehe, daß ich den Engländern kein hahr trawe; fürchte alß, es wirdt unßern churfürsten, jetzt könig, ein unglück begegenen. Gott bewahre ihn gnädig davor! Solte der könig so absolutte in Engellandt regieren, alß unßer könig hir, würde ich nicht zweyfflen, daß recht undt gerechtigkeit dortten regieren würden. Allein man hatt nur gar zu viel exempel, wie daß die Engländer so gar ungerecht mitt ihren königen umbgangen sein; daß macht mich recht bang vor unßerm churfürsten. Aber mein eßen ist kommen; ich eße heütte viel früher, alß ordinari, wegen der jagt. Ordinari eß ich umb 1 uhr, nun aber umb halb 12, den umb 1 wirdt der könig auff die jagt.
Ich komme jetz eben vom eßen, habe noch eine halbe stundt zu schreiben, welche ich nicht verseümen werde. Es ist eher zu glauben, daß die Engländer mitt keinem könig in der weldt zufrieden sein können, alß daß sie mitt dem unßern zufrieden sein werden; den man muß die warheit sagen, es seindt wunderliche humoren. Ich entpfinde die inclination nicht vor sie, so ich ahn I. G. dem churfürsten, unßerm herrn vatter s., verspürt. Ihr könt mir nichts vom könig in Engellandt sagen, so ich nicht weiß; ich kene ihn ja von kindtheit ahn, sprecht also nicht zu frey. Habe ich ihn den nicht auch, nun er erwacksen, ein gantz jahr lang hir gesehen? Alle Ewere brieffe brene ich, so baldt sie beantwort sein.[7] Bitte, Ihr wolt doch der princesse von Walis,[8] so wir [442] printzes de Galle[s] heißen, sehr dancken von meinetwegen vor [443] I. L. ahndencken. So baldt ich dero schreiben werde entpfangen haben, werde ich andtwortten. Unter unß gerett, niemandts spricht woll von dem printz de Galle[s]; alle, so ihn gesehen, [sagen,] er hette alle die maniren ahn sich von den marquis ridiculle, so in Mollieres commedien stehen;[9] daß kompt auß den dolbreüssischen geblüht[10] her. Man helt ihn hir vor ein wenig geschoßen. In Engellandt solle er auch sehr verracht sein;[11] seine Offerten werden also nicht viel außrichten können. Nichts ist beßer vor sich selber, alß ein gutt gewißen undt ruhiger geist. Man hatt hir gar woll auffgenohmen, daß unßer churfürst gleich part gegeben von seiner proclamation, undt man heist in schon le roy George hir; also wunderts mich nicht, daß der envoyes sein compliment gemacht. Man erwart den churprintzen von Saxsen[12] alle tag, glaube, daß er heütte zu Paris ahnkompt.[13] Nach der jagt werde ich ferner von ihm reden undt sagen, wie sie abgangen; aber nun muß ich auffhören.
Donnerstag, den 6 September, umb halb 8 abendts.
Ich bin in dießem augenblick wider ahngethan. Es ist just 3 viertel, daß ich wider von der jagt kommen bin. Wir haben [444] 2 hirsch gejagt nach einander. Der erste hatt nur 3/4 stundt gewehrt undt ist gefangen worden, den zweytten hatt man 3 große stundten gejagt undt nicht gefangen. Man hatt mir auff der jagt gesagt, daß der churprintz von Saxsen gestern zu Paris ahnkommen ist. Wir werden ihn baldt hir haben. Von religion werde ich mein leben nicht mitt dießem herrn reden; ich glaube auch nicht, daß er [mitt] mir davon sprechen wirdt. Wir werden sehen, wen man unßer liebe churfürstin s. testament wirdt geöffnet sein[14], ob man mir den bewusten ring schicken wirdt.[15] Die fraw von Ratzamshaussen bittet Eüch gar sehr, ihrer dochter dießen hir beyliegenden brieff zu schicken. Wir haben gar nichts neües hir. Madame d’Orleans ist gestern ahnkommen. Dießes ist nun eine zimblich lange espistel, undt weillen es spat, muß ich wider meinen willen schließen undt vor dießmahl nichts mehr sagen, alß [daß] ich Eüch all mein leben von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 6. September 1714 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 439–444
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0662.html
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