Seitenbanner

Brief vom 16. September 1714

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


663.


[444]
Fontainebleau den 16 September 1714.
Hertzallerliebe Louise, vergangenen donnerstag bin ich mitt Ewerem lieben schreiben von 1 dießes monts erfreüet worden, habe aber nicht eher, alß heütte, drauff antwortten können, denselbigen tag fuhr ich mitt dem könig auff die hirschjagt. Wir fuhren umb 1 auff die jagt undt kammen erst umb halb 7 wider; den man hatt 2 hirsch nach einander gefangen. Der tag war aber nicht glücklich; den bey ein dutzendt leütte von qualité undt vom hoff machten alle burtzelbaum. Es hatt sich doch nur einer wehe gethan, einer von den jagtedelleütten, so auff den kopff gefahlen, hatt aber auch 2 fall gethan. Madame la duchesse ist auch in großer gefahr geweßen. Der könig undt ich, so alß den könig folge, waren einen ein wenig gähen berg nauff gefahren; madame la duchesse wolte mir folgen, allein sie hatte ahn ihrer calesche junge pferdt, so auß dem ahtem undt gar müht wahren, undt sie wahren 4 in der calesch, madame la duchesse, die marechalle de Villar, madame la [445] marquise de la Valliere undt mademoiselle de Tourbes, daß machte die calesch viel schwerer, alß die meine. Wie sie ahn die helft vom berg, konten die pferdt nicht weytter fort, die calesche rutsch[t]e geschwindt zurück, die pferdt könten sie nicht erhalten; der kutscher sagte, er wolte wagen, die calesch ahn einen baum zu stoßen, sonsten müsten sie alle den halß brechen. Daß glückte, den auff der andern seytten fandt sich eine große wurtzel von einem alten baum, der erhilt die calesch. Der marechale de Villar undt madame de la Valliere übernahm der schrecken so sehr, daß sie wie ohnmächtig wurden, musten absteygen undt man schmirte sie mitt ungrisch waßer undt gab ihnen l’eau des Carmes[1] ein. Ich bin nichts davon gewahr worden, aber sie haben mirs selber verzehlt. Vorgestern muste ich doppelt ahn mein dochter schreiben; den es war ein courir von hertzog von Lotteringen hir. Gestern hab ich Eüch nicht geschrieben, weillen sontags die post nicht nach Strasburg gehet; also were es unnöhtig geweßen. Ich habe auch in acht genohmen, daß nach Strasburg die montagspost ahm geschwinsten gehet; drumb habe ich Eüch nicht eher, alß heütte, geschrieben. Liebe Louisse, macht Eüch nie kein scrupul, mir zu schreiben! den alle Ewere brieffe seindt mir lieb undt ahnge[ne]hm. Ihr segt[2] ja auch woll, daß ich Eüch fleyßig antworte. Es ist eine wunderliche sache, daß die Wilhelme[3] nicht begreiffen will, wie severe der könig hir auff der religion ist, da sie doch nur zu viel exempel davon hatt. Es ist woll wahr, daß sie mirs selber geschrieben; aber weillen ich ihr nicht andtwortten darff, solte sie daher nicht judiciren, wie die sach beschaffen ist. Es ist ärger, alß mans sagen kan, undt sie thut ihrer mutter groß unrecht, zu glauben, daß sie hartt gegen ihr ist. Die arme fraw thut mehr, alß sie kan, undt sie wirdts sehen, muß sich aber noch gedulten; den die sach zu precipitiren, thet gar kein gutt.[4] Ich glaube nicht, daß die junge Rotzeheusserin es vor ein groß regal wirdt halten, in eine frantzösche predig zu gehen. Die fraw von Mosbach, geweßene Lopes de Villanova,[5] habe ich eine harangue gemacht, die ihr nicht gefahlen. Ich habe ihr gesagt: Umb Eüch zu erweißen, daß ich eine gutte [446] Christin bin, so habe ich Eüch woll entpfangen, ahn meine taffel genohmen, mitt einem wordt woll tracktirt. Aber weytter begehrt nichts von mir! den es muß doch ein unterschiedt sein unter die, so woll undt nicht woll gethan haben: drumb fordert, mir nichts weytter! Aber da hatt sie sich nicht mitt begnügen laßen, sondern sie hatt mir noch 3 große bettelbrieff geschrieben, aber keine antwort bekommen. Sie ist, gott lob, wider weg. Ich hette sie woll mein leben nicht gekendt, solche abscheüliche verenderung sicht man nirgendts; man kendt sie nur ahn der stim undt ahn lachen. Sie sagt, ein geistlicher, so ihr feindt geweßen, hette einen balbirer bestochen, der ihr versprochen hatte, ihr waß zu geben vor die kinderblatternnarben. Der hette sie so zugericht undt daß sie schir dran gestorben were; aber wie sie es selber verzehlt, lautt es nicht, alß wens nicht die kinderblattern geweßen wehren, sondern waß ärgers; undt wen daß were, so hette man woll recht, übel von ihr zu reden, undt Ihr habt gar woll gethan, nicht mitt ihr zu baden; den es were gar nicht rahtsam geweßen. Ahnstatt gesundtheit mitt ihr hette man in dem baadt woll eine schlimme kranckheit bekommen können. Waß Ihr von ihr schreibt, wirdt sie gar gewiß nicht erfahren. Ich zweyffle nicht, daß sie den teüffel von mir sagen wirdt, weillen sie so rach[g]irig ist undt ich ihr gar nichts geben hab, waß sie mir gefordert. Man weiß hir gar zu woll alles, waß sie mir in ihrer jugendt zu leydt gethan; also wen ich sie alß eine besundere freündin tractirt hette, würde man mich außgelacht haben. Aber mitt ihr eßen, ist ihr recht; den wen man einmahl hir hofffreüllen gewest, so kan man allezeit mitt unß eßen, ja mitt königinen selber, wen da sein. Waß hilffts aber? Sie ist damitt nicht zufrieden; aber ich frag wenig darnach, sie mag von mir sagen, waß sie will. Gutte minen hatt sie noch undt ist nicht übel geschaffen; aber daß gesicht ist abscheülich zugericht undt gar nicht kenbar mehr. Daß freüllen von Rotzenhaussen solte nach Engellandt gehen; den weillen I. M. der könig, wie in den teütschen zeittungen stehet, so Ihr mir geschickt habt, stehet, daß er in seinen titteln den nahmen von beschützer deß glaubens[6] führt, so muß er ja woll denen beystehen, so seine religion ahnnehmen undt die catholische verlaßen. Ich gestehe, daß mich dießer [447] tittel wunder genohmen. Daß muß ihm ahnkommen sein, seyder er könig ist; den mich deücht, wie er churfürst war, ließ er es woll bey dem negsten bewenden. Ma tante s. hatt mir alß geschrieben, sie dächte nicht ahn dießes königreich, glaube, die königin were vor ihrem bruder heimblich undt würde ihm endtlich daß königreich zuspiellen.[7] Ach, hetten I. L. s. noch gelebt, so wehren sie gewiß bey dießen rauen wetter auff der see gestorben; den so ein großes alter könte dergleichen fatigue nicht außstehen. Sie hatt mir auch einmahl geschrieben, sie wolle sich ahnstellen, alß wen sie viel nach der sach fragte; allein in der that frage sie kein haar darnach, wolle aber doch die ambitieusse agiren; daß hatt sie mir von wordt zu wordt geschrieben. Betteleyen seindt jetzt überall, wie ich sehe; den hir geht es auch ohne auffhören. Wie der erste Dauphin starb, kammen alle die, so er pensionen geben hatten[8], wolten, daß ichs ihnen geben solte. Ich sagte: Gern: macht, daß mir der könig die pensionen gibt, so monsieur [448] le Dauphin mondtlich gehabt hatt! so werde ich eüch jahrlich die pensionnen geben. So habe ich sie abgespeist undt fortgeschickt. 3000 livre sterling hetten Eüch doch nichts geschadt, wen Ihr sie hettet etliche jahr genießen können. Ich forchte, der könig in Engellandt wirdt mehr unruhe undt mühe haben in seinem königlichen standt, alß vergnügen, undt offt gedencken: Were ich noch churfürst undt zu Hannover![9] Die medaille von I. G. unß[er] herr vatter seelig habe ich. Es war auff die kirch von der festung gesetzt, wie mich deücht. Von meinem sohn undt dochter leben bin ich woll zufrieden, aber gar nicht von seiner dochter; die kan mich nicht leyden undt ich habe gar keine inclination vor sie. Unter unß gerett, sie hatt gar zu einen wunderlichen humor, ist auch bitter übel erzogen. Ich weiß nicht, woran ihre fraw mutter gedacht hatt, sie so blitz-übel zu erziehen. Ewer brieff war gar nicht schmutzig, liebe Louisse, sondern, wie ordinarie, woll geschrieben; Ihr schreibt wie ein secretarius. Wie kan man ohnmoglich[10] 22 brieff in einem tag beantwortten? Ich schäme mich, liebe Louisse, wen ich Ewere so schönne schriefft sehe undt gedencke, daß wir von Einem meyster gelehrnt haben undt daß Ihr so schön schreibt undt in[11] so heßlich.[12] Meine frantzosche schriefft aber ist gantz wie Caroline[13] ihre war; den ich erinere ich mich noch, daß ich etlichmahl ihre überschriefften auff meinen tisch habe liegen laßen, so haben mich viel personnen, so zu mir kammen, gefragt, warumb ich ahn mir selber schriebe, den die überschriefft war gantz meine handt; aber in Teütsch schriebe sie auch schönner, alß ich. Es ist aber auch einmahl zeit, daß ich dieße lange espistel ende, worinen viel fehler sein müßen; den ich [449] bin gar offt interumpirt worden, habe gemeint, ich würde ohnmöglich außschreiben können; kan ohnmoglich überleßen.[14] Aber Ihr seydt meinem gekritzel so gewohnt, daß Ihr woll errahten werdt, waß ich habe sagen wollen. Schließlich bitte ich Eüch, nur zu glauben, daß ich Eüch von hertzen lieb habe undt allezeit behalten werde, so lang ich lebe.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 16. September 1714 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 444–449
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0663.html
Änderungsstand:
Tintenfass