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Brief vom 30. Mai 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


709.


[568]
Marly, donnerstag, den 30 May [1715].
Hertzallerliebe Louisse, ich fange ahn, auff Ewer letztes liebes schreiben vom 23/12 May zu antwortten; den wen ich ordinari auff den rechten tag wardt[1], kommen mir so viel verhindernußen, daß ich nicht die helfft sagen kan. Wir seindt dießer nachmittags[2] lang in der kirch geweßen, weillen es heütte himmelsfahrtstag ist. Mein gott, wie gehen die zeitten vorbey! Vor 52 jahren war ich den himmelfahrtstag zu Clef auff meiner rückreiß in die liebe Pfaltz; aber ahn dieße glückliche zeitten will ich nicht mehr gedencken. Last unß auff Ewer liebes schreiben kommen! Es muß eine verhengnuß undt destinée sein, daß Ihr, liebe Louisse, allezeit 2 von meinen schreiben auff einmahl entpfangen müst Es ist [eine] heßliche sach mitt der see, drumb halt ich nichts von inseln. Seydt versichert, liebe Louisse, daß, wen es mir möglich ist, fehle ich nicht, Eüch lange brieffe zu schreiben! Aber daß mögt Ihr mir woll keinen danck wißen, den ich thue es gar gern. Ach, liebe Louisse, ich habe ja schir niemandts mehr, alß Eüch, so sich in gantz Teütschlandt vor mich interessirt; alles ist mir ja leyder abgestorben. Wen ichs betracht, finde ich mich offt, alß wen ich vom himmel gefahlen were. Ich bin Eüch sehr verobligirt, zu wünschen, daß alles nach meinem wunsch gehen möge; aber, liebe Louisse, daß kan vor außländer undt frembten hir nie geschehen. Ihr habt groß recht, nicht hirauff zu raisoniren wollen; muß nur daß noch sagen, daß man sich hir vor eine ehre helt, keine verwanten zu lieben; die es thun, sagt man, seindt bürgerlich. Daß ist gar gewiß, daß man alle unßere brieff, meine undt Ewere, list; aber ich frage nichts darnach, wer seinen geraden weg fort[geht], hatt nichts zu [569] fürchten.[3] Es were eine naredey, alles zu sagen, waß einem im hirnkasten herumbfahrt; daß ist nur gutt teste a teste. Ich bin alß recht ungedultig geworden, wen man mir verzehlt, wie duchesse de Malbouroug ihre [königin] tractirt hatt undt, auff gutt Teütsch zu sagen, wie sie ihr übers maul gefahren ist; were also in meinem sin kein schadt geweßen, wen sie in jene welt gezogen were. Ich bin fro, daß der herr von Degenfelt wider woll ist. Wirdt er mitt Eüch wider nach hauß, oder wirdt er in Englandt bleiben? Wen man waß fühlt, so wie der agstein daß stroh nach sich zicht, so quittirt man die verwanten leicht. Die londische lufft soll gar schlim sein; könig Wilhelm hatt sie nie vertragen können; ich konte sie auch nicht leyden, den ich kan den geruch von kohlen nicht vertragen. Es ist mir leydt, daß die princes von Wallis noch nicht gantz woll ist. Gott gebe, daß es mitt einem jungen printzen endige[n] möge! Madame de Portsmuht, so lang Monsieur s. gelebt hatt, ist gar offt von unßere geselschafft zu St Clou geweßen; ich kene sie gar woll, sie ist ein recht gutt mensch ohne tracasserie; in dem fall halt ich viel von ihr; sie kompt auch nie nach hoff, ohne zu mir zu kommen.[4] Soltet Ihr sie wider sehen, so grüst sie von meinetwegen undt sagt ihr, daß ich Eüch geschrieben habe, daß ich viel von ihr halte! Baron Reden hette woll wartten konnen, biß Ihr selber ihm Ewere commission auffgetragen hettet, ohne sie ohngeheißen abzulegen. Ich glaube, daß es nicht wollfeiller zu Paris zu leben ist, alß in Londen; wundert mich also, daß madame de Porstmuth drüber klagt. Der konig Jörgen fengt seine reflection spät ahn, Eüch ein lossement zu geben wollen, da Ihr nun baldt wider in der rückreiße begriffen seydt. Wen ein könig ein lossement gibt, so meublirt er es ja auch. Nun will ich auch eine pausse machen biß auff morgen umb 10 oder halb 11, da ich hoffe, dießen brieff gantz vollig außzuschreiben. Nun aber werde ich nauff zu madame d’Orleans, welche noch nicht woll ist. Gestern wolten I. L. herunder kommen; wie sie aber auff die 3 Staffel von der stiege kam, wurde sie ohnmachtig, sicht bitter übel auß undt ist erschrecklich mager geworden, nimbt taglich ab. Mir gefelt ihr kranckheit gantz undt gar nicht; ich sehe, daß die docktoren gar nicht wißen, waß es ist. Adieu, liebe Louisse! Ich ambrassire [570] Eüch von hertzen undt wünsche Eüch eine gutte nacht undt daß Ihr morgen frölich erwachen möget.
Freytag, den 31 May, umb 10 uhr morgendts.
Gutte[n] morgen, liebe Louisse! Nun hoffe ich, gantz undt gar auff Ewer liebes schreiben in der kühle zu antwortten. Daß wetter ist sehr geendert seyder gestern; den es war recht schwul warm undt nun regnets; es hatt doch kein wetter geben, wie ich gemeint. Ich habe einen rechten wettervogel ahn meinen knien undt füßen, war gestern gar übel dran; ich spatzirte undt that nur 3 oder 4 tour in dem parterre vor meiner kammer, muste aber hernach wider herrein; den die knie undt füße thaten mir gar zu wehe, ich konte es nicht lenger außstehen. Ich glaube, daß anderstwo ein wetter geweßen undt daß der regen, so herkommen, nur ein rest davon ist. Ich mogte wißen, war[5] vor ein commantaire die herren, so unßere brieff so sehr examiniren, über waß ich hir sage, machen werde[n]. Ich hoffe, sie werden es vor ein chiffre passiren machen undt sagen, daß wir unter dem regen undt wetter waß anderst verstehen. Nun komme ich auff Ewer liebes schreiben, wo ich gestern abendts geblieben war, nehmblich ahn dem lossement. Hette könig Jörgen eher dran gedacht, wolte ich es loben; er denckt vielleicht nach dem frantzöschen Sprichwort: Il veaut mieüx tard que jamais. Ich dancke Eüch gar sehr vor dießes königs contrefait in kupfferstück. Mein gott, wie ist dießer herr verendert! Er gleicht sich selber gantz undt gar nicht mehr; augen, mundt, naß, alles ist geendert biß auff die form vom gesicht. Vor dießem undt wie I. M. hir wahren, hatten sie daß gesicht undt die naß bey weittem nicht so lang; sie machen ihn den mundt gantz englisch halten, so gezogen undt gepfetzt, so war er vor dießem nicht. Man konte auch woll wißen, wie er den mundt hatte, wen er zu war; den er sprach gar wenig hir, man muste ihn die wörtter außpreßen. Wen man in dießem kupfferstück die stirn ein wenig mehr bedeckt, finde ich etwaß im obergesicht, daß sein herr vatter [und] oncle s. waß gleicht, daß er vor dießem gar nicht that. In ein woch secks werde[t] Ihr gar ein gleich kupfferstück von mir bekommen, so itzunder gestochen wirdt[6]; ich seye alßden lebendig oder todt, so werdt Ihrs [571] bekommen, den ich werde befehlen, daß mans Eüch in allem fall schicken solle. Daß werdt Ihr in ein kupfferstück-buch thun können, oder Ewere garderobe mitt ziehren ahnstatt eines großen callenders. Liebe Louisse, ich habe nie begreiffen können, waß der printzessinen auffgesetz[7] bedeüht[8], noch waß es ist. Ist es eine mütze, ist es duch, taffet, oder waß mags sein? Es sicht eben auß, alß wen 3 gefaltene servietten über einander legen. Ich habe mein leben nicht dergleichen gesehen. Man muß kein gutt contrefait von printz undt printzes von Wallis haben, daß ihr kupfferstück nicht gleichen. Es ist mir leydt, den ich hette sie gern auch gehabt, will die gantze famille in ein kupfferstück-buch kleben, den ich habe oncle s. gar gleich. Ich habe hertzlich über den sternseher lachen müßen, so den jüngsten tag außrechnen undt calculiren will. Der muß die bibel nicht geleßen haben, da unßer herr Christus vom jüngsten tag spricht undt versichert, daß sein himmlischer vatter allein dieße zeit weiß undt daß die engel im himmel dieße zeit, noch stundt nicht wißen undt daß sie kommen wirdt, wie ein dieb in der nacht.[9] Daß ist artig, daß er gelehrter sein will, alß die engel im himmel, aber sein calcul wirdt doch curieux sein. Meines vettern, deß erbprintz von Hessen-Cassel, beylager ist nun volzogen. Ich hoffe, daß der herr von Degenfelt, so bey ihm ist, Eüch eine beschreibung davon thun wirdt. Es solle gar prachtig hergangen sein. Schickt er Eüch ein[e] beschreibung, bitte ich Eüch sehr, liebe Louisse, mir eine copie davon zu schicken. Mich deücht, unßer gutter könig in Schweden[10] thete beßer, einen guten frieden zu machen, alß ewig krieg zu führen. Vorgestern habe ich einen brieff vom gutten alten monsieur Harling[11] von Hannover bekommen; der schreibt mir, daß der könig in Schweden ein landt in contribution gesetzt hatte, umb brandtgelt zu ziehen, undt ordre dabey ertheilt, so baldt daß gelt gezogen würde sein, alles zu brenen. Daß müßen I. M. in der Turckey gelehrnt haben; er ist lang genung drin gestocken, umb waß von ihnen zu lehrnen. Hirmitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwortet. Wir haben gantz undt gar nichts neües hir. Morgen werden wir wider nach Versaille, aber nur 11 tag dort bleiben, [572] hernach wider her. Wo ich auch sein mag, da werdet Ihr eine person haben, so Eüch von hertzen lieb hatt undt all mein leben haben wirdt.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 30. Mai 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 568–572
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0709.html
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