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Brief vom 12. Juli 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


715.


[585]
Marly den 12 Julli 1715.
Hertzallerliebe Louise, ich habe Eüch 2 posten ohnmöglich schreiben können, alß vor 8 tagen undt vergangenen dinstag. Ich weiß nicht recht mehr, ob ich Eüch vor 8 tagen ein par wordt geschrieben hab oder nicht; den ich habe daß schlimbste gedachtnuß von der welt. Dem seye, wie ihm wolle, so bin ich doch versichert, daß ich Eüch letzt-vergangenen dinstag nicht geschrieben habe, noch habe schreiben [können. Ich muste] von hir weg, solte umb 11 zu Paris sein, aber ich kam erst umb halb 12 hin durch eine avanture, so mir schir den halß gekost hette undt den 5 damen, so mitt mir in meiner kutsch wahren, alß nehmblich meine dame d’honneur, die duchesse de Brancas, madame de Chasteautier,[1] meine dame d’atour, madame la marechalle de Clerembeau,[2] meine dame, die fraw von Rathsamshaussen undt madame Börstel. Wie wir eben in den cour kammen, rieffen die garden, man solte still halten. Es war auch eben zeit, den daß hinterste raht, wen wir noch zwey schritt gefahren wehren, were gantz abgefahlen; den kein [586] eintziger rayon vom raht (ich weiß nicht, wie man daß auff Teütscht heist[3], undt habe es mein leben nicht gewust) hilt mehr im zirkel, so ihn umbringt, undt were daß raht zerfahlen, weren wir über undt über gangen, den ich fahre allezeit den großen drab. Ich nahme geschwindt der escuyer kutsch undt fuhr ins palais royal. Abendts ein viertel auff 11 kamme ich erst wider her, morgendts schrieb ich ahn mein dochter zu Paris, aber nachmittags, biß daß opera ahnging, hatte ich kein augenblick vor mir selber. Man führte zwey neüe printzen, zu Paris ahnkommen, ein fürst von Anhalt undt einer von Ostfrießlandt, welche, die warheit zu bekenen, 2 so heßliche schätzger sein, alß ich mein leben gesehen habe. Der erste ist dür, wie ein holtz, hatt eine gantze weiße crepirte[4] peruque undt feuerrohte augen undt voller kinderblatternmähler, eine naht ahn die ander; er ist so mager, daß er drüber gebogen ist, undt hatt ein abscheülich maul undt gar wüschte[5] zähn. Der von Ostfrießlandt ist dick, den kopff in axellen undt daß gantze gesicht im fett versuncken, die naß dick undt blatt; summa, sie seindt beyde gar heßlich. Vorher habe ich einen art von raht gehalten mitt allen meinen leütten, den conseiller d’estat, den der könig mir geben, umb vor mich zu sorgen[6], der intendent von meinem hauß undt mein schatzmeister; haben eine gutte stundt von lautter gar verdrießliche sachen gesprochen, welche mich recht grittlich gemacht haben, undt nicht ohn ursach. Aber hirvon were gar zu langweillig zu reden, komme also lieber auff Ewer liebes schreiben, fange bey dem frischten ahn, so vom 15/26 Juni ist. Seydt nie in sorgen, liebe Louisse, zu offt mitt Ewern lieben schreiben zu kommen! Den, wie ich Eüch schon vielmahl gesagt, so seindt mir Ewer schreiben allezeit lieb undt ahngenehm. Weillen ich die kinder undt insonderheit die kleinen buben liebe, so hatt mich die commedie im colege divertirt;[7] die kinder habens recht artig gemacht. Aber es schlegt 12, ich muß in kirch.
Da komme ich eben auß der kirch, undt weillen wir erst umb 1 eße[n], also noch ein viertelstün[d]gen zu schreiben habe, will ich es nicht verliehren. Hir spilt man bey die Jessuwitter keine geistliche commedie, auffs wenigst die zwey, so ich gesehen. Die erste [587] war von einem duc de Bourgogne undt dießes letzte war Essope au colesge.[8] Sein herr findt, daß er so viel verstandt hatt, daß er die kinder im colege beßer unterrichten wirdt, alß die meister. Esope, umb zu sehen, waß vor humor die kinder wahren, lest kauffleütte kommen mitt allerhandt wahren undt erlaubt ihnen, zu kauffen undt zu wehlen, waß sie wollen, undt davon judicirt er von ihr[e]m humor, macht jedem drauff etliche fablen, die recht artlich erzehlt sein undt auff jedes sujet kommen. Die kinder aber, so muthwillig sein, thun den Essope allerhandt possen undt machen ihn ahn. Auß dießem allem segt Ihr woll, liebe Louisse, daß es gar keine geistliche commedien sein. Aber zu St Cire hatt madame de Maintenon etliche geistliche commedien durch monsieur Racine machen laßen, alß Ester undt Attalia;[9] die seindt über die maßen schon undt keine quackeleyen[10] drin. Aber da rufft man mich zur taffel; nach dem eßen ein mehrers. Jungfer Colb[11] pflegt zu sagen: Morgen so viel, so sterben wir heütte nicht.
Freytag, den 12 Julli, umb ein viertel auff 6 abendts.
Gleich nach dem eßen habe ich wider schreiben wollen, aber man hatt mir so langweillige brieffe gebracht, daß, wie ich sie geleßen, bin ich entschlaffen. Es ist erst eine viertelstundt, daß ich wider wacker bin; habe ein brieff von langweilligen affairen schreiben müßen, so mein hauß ahngehen, undt nun muß ich zu einer promenade, die duchesse de Bery in roulletten fahren sehen. Dießen abendt nach dießer hoffe ich außzuschreiben; aber mein brieff wirdt leyder nicht so lang werden können, alß ich es gewünscht. Schreibt [588] mir, ob Ihr die commedien von Attalie undt Ester nie gesehen habt! so werde ich sie Eüch schicken; sie seindt warhafftig hübsch. Es ist hir auch die mode, ob man schon eine jüngfer (freüllen solte ich sagen[12]) alle tag sicht, sobaldt sie geheüraht, pressentirt man sie dem konig undt dem königlichen hauß wider; aber den könig mitt discoursen zu attaquiren, daß ging hir nicht ahn. Der printzes von Wallis bin ich woll hoch verobligirt vor ihr güttig undt fleißiches ahndencken; bitte, liebe Louisse, sagt doch wider viel schönnes vor mich! Den Ihr könt nicht so viel sagen, alß ich gedencke; bin der printzessin woll hoch verobligirt, mir, ob ich zwar I. L. unbekandt, mir doch so gar viel gütte zu erweißen undt so viel freündtschafft [zu] bezeügen. Der könig ist nicht zu der roullette, bin auch nicht hin;[13] aber wie ich vor meine thür im gartten kommen, habe ich gefunden, daß es so gar schön wetter war; derowegen bin ich ein stündtgen spatziren gangen vor die gesundtheit. Von grundt der seelen wolte ich gern mitt der printzes von Wallis corespondiren, den ich habe I. L. von hertzen lieb; allein, unter unß gerett, man ist hir gar delicat auff den englischen hoff. So gern ich es auch wolte, so darff ich warlich doch nicht ahnfangen, in dießer zeit nicht, aber endert es, so werde ich gewiß nicht manquiren undt werde I. L. mitt freüden schreiben; aber nun ist es leyder noch keine zeit.[14] Dieße printzes kan sich lieben machen, von wem I. L. wollen[15]; sie ist gar zu estimable, umb nicht von jederman geehret undt geliebt zu werden. Ich fürcht, Ewer schwager wirdt nicht lang mehr leben, weillen sein humor sich so verbeßert; den wen man so sehr endert, ist es ein zeichen vom todt[16]; ich habe viel jüngere, alß ihn, gesehen, dennen es so gangen ist. Es were mir recht leydt wegen der alten kundtschafft undt auch weillen ich glaube, daß es Eüch betrüben solte, liebe Louisse, undt ich wünsche Eüch vielmehr allerhandt freüden undt vergnügen. Von den zeittungen, so vom parlement in den holländischen zeittungen stehen, davon werde ich kein wordt reden. Die politiq ist [589] mein sach nicht, es ist mir zu hoch, ich gehe nur terre a terre undt befinde mich woll darbey; wünschen aber, glaube ich, ist erlaubt. Mein wünsch also were, daß könig Jorgen keyßer würde undt daß der chevallier de St George[17] in seine 3 konigreiche konig were, so were alles recht nach meinem sin. Den wen dießer könig romischer keyßer solte wer[d]en, so würde ja unßere liebe printzessin römische königin; printz Ernst August müste churfürst von Braunsweig werden undt printz Max, den ich nicht kenne, weillen er catholisch ist[18], müste geistlich undt cardinal undt hernach bischof von Osnabrück werden. Mich deücht, daß ich dieß alles gar woll außgedacht habe. Wolte gott, es könte geschehen! Ich glaube, daß Ihr von hertzen amen dazu sagen würdet.[19] Ihr thut gar woll, mir nichts von parlement zu schreiben; daß könt Eüch undt mir händel ahnmachen. Aber ich muß auch dencken, dießen brieff zu schließen. Ich müste woll einen dollen humor haben, wen mich verdrießen solte, daß Ihr mitt einer gröbere feder schreibt; da ist mir gar nichts ahn gelegen, liebe Louise! Ewer schriefft ist gar leßelich. Ich muß ahn mein dochter schreiben. Adieu, gutte nacht, lieb Louisse! Seydt versichert, daß, so lang ich lebe, ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalten werde!
Ich kan meinen brieff nicht überleßen, noch corigiren; ich hoffe, Ihr werdet doch woll errahten, waß ich habe sagen wollen.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 12. Juli 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 585–589
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0715.html
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Tintenfass