Seitenbanner

Brief vom 15. August 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


722.


[607]
Versaille den 15 August 1715.
Hertzallerlieb Louise, ich habe noch ein halb stündtgen in meiner cammer zu sein. Daß will ich amployren, Eüch zu entreteniren, ob ich zwar nicht lustiger bin, alß vergangen dinstag; den unßer könig ist leyder nicht woll,[1] er ängstet mich, daß ich halb kranck drüber bin. Ich [kann] weder recht eßen, noch schlaffen. Gott gebe, daß ich mich betriege! Aber solte daß unglück geschehen, so ich fürchte, so ist es woll daß groste, so mir jetzt widerfahren könte, undt wen ich die umbständen sagen solte, ist es etwaß so abscheüliches, daß ich nicht dran dencken kan, ohne daß ich eine gansehaut bekommen. Sagt ahn niemandts in Engellandt, waß ich Eüch hir sage! Ich bin recht in der seellen betrübt. Aber da kompt meines sohns gemahlin herrein. Morgen werde ich Eüch lenger [608] entreteniren, maß nun eine pausse machen. Es ist mir leydt genung, den ich wolte von hertzen gern noch lenger mitt Eüch schwetzen, aber gutte nacht! Morgen ein mehrers.
Freytag, den 16 Augusti 1715, umb 10 uhr morgendts.
Ich fange heütte zu gutter zeit ahn; gott bewahre mich vor hindernüße! Es ist mir lieb, daß Ihr, liebe Louise, doch endtlich gesehen, daß ich nicht gefehlt, zu schreiben. Alle posten gehen gar doll. Man kan daß zörnen nicht laßen, wen die bedinten so gar überzwerge sachen thun. Die bedinten haben allezeit eyll, auß dem cabinet zu kommen undt sich in die cammer zu setzen; drumb, waß sie zu thun haben, thun sie so geschwindt, daß sie drüber strudtlen undt nicht mehr wißen, waß sie thun; wen aber waß zu bettlen ist, da strudlen sie nicht, daß muß man offt hören. Ich mein alß, es gehe bey mir allein so her, aber ich höre jederman daßelbe klagen. Man hatt so böße docktorn in Lotheringen, daß es mich recht vor mein dochter undt vor dem hertzog ängstet; sie haben den armen printz Frantz umbs leben [gebracht], alß wen sie ihn eine pistol vor dem kopff geschoßen hetten. Die kinderblatter schlugen woll auß undt in menge, so lest ihm der docktor zur ader undt gibt ihm dissane[2] rafraichissante undt clistier; da wurden die blattern gleich plat undt schlugen ein undt machten ihn sterben.[3] Mich wundert, daß man in Engellandt kein meledi-[4]Kent-pulffer [braucht], welches doch mir undt allen meinen kindern in blattern, röttlen undt fleckfieber daß leben errett hatt. Mein dochter kan sich noch ihres schwagers nicht getrösten, liebe Louise! Waß nation undt gelehrt die docktoren auch sein mögen, wen die stundt da ist, muß man fort. Ihr schreibt de bon sens, wie man es hir heist, eine schönne, leßliche handt; ich habe Eüch lieb, höre gern, wie es Eüch geht; wie solte es den möglich sein, liebe Louisse, daß Ewere liebe brieff mir solten abgeschmackt vorkommen? Wen die leütte selber gar lustig sein, wollen sie allezeit zu lachen haben; aber es ist lang schon, daß ich nicht mehr lustig [bin]. So lang ma tante, unßere liebe churfürstin s., gelebt, habe ich allezeit waß poßirliches hervorgesucht, I. L. zu amussiren; aber mitt I. L. ist alle meine lust abgestorben, kan nicht lust in nichts in der [609] weldt nehmen, undt solte daß unglück, so unß treöhet[5], geschehen, würde es noch viel arger werden; den alßdan werde ich gar keine occassion mehr haben, mein miltz zu schüttlen, undt werde alle tag, die gott gibt, neüe verdrießlichkeitten haben. Aber waß will man thun? Man muß woll gott walten laßen undt sich in seinen willen ergeben undt ihn bitten, vor ungedult zu bewahren. Aber last unß von waß anderst reden! dießes ist zu abscheülich. Wen Ihr wüstet, liebe Louisse, wie alles hir ist, würdet es Eüch kein wunder nehmen, daß ich so einsam lebe. Ich kan undt mag nicht spillen, undt wer nicht spilt, zu dennen kompt man nicht gern. Conversation ist gar kein mode mehr; alle menschen seindt so scheü undt fürchten sich so sehr, zu reden, daß eins den andern scheüdt. Ich bin in keinem alter, mitt junge bursch herumbzuspringen; waß leütte von meinem alter sein oder beynahe, seindt bey der allmächtigen damen[6], deren favorittin ich gar nicht bin; so muß ich ja woll allein bleiben, liebe [Louise]! Es gibt mir keine mühe, den die geselschafften seindt mir eher verdrießlich, alß ahngenehm, wen man nicht offenhertzig reden kan undt nur vom wetter oder vom spillen oder von kleyder; daß werde ich gleich müde, bin viel lieber allein. Da segt Ihr nun die ursachen von meinem allein-sein undt ich glaube, daß er[7] finden werdt, daß ich kein unrecht [habe]; mitt intriguen kan undt will ich nichts zu thun haben. Hatt der chevallier de St George[8] nicht groß recht, seinen vätterlichen thron zu besteygen wollen undt sein eüßerst dazu zu thun? Daß kan man ihm ebenso wenig verdencken, alß könig Jörgen, sich in seinem thron zu befestigen. Es ist war, liebe Louise, daß die läger undt reveüen recht artig zu sehen sein. Zu Marly haben wir diß divertissement gehabt. Zu sehen, wie viel leütte daß lager bey Londen besucht haben, so ist man so badaut[9] zu Londen, alß wie zu Paris. Aber nun rufft man mich, in die capel zu gehen. Ich meinte, eine hackney[10] were ein eintzig pferdt, ein zelter. Die heüerkutschen[11] heist man hir fiacre. Aber man rufft mich, in kirch zu gehen; nach dem eßen werde ich doch gießen brieff [610] außschreiben können, den ich habe nicht mehr, alß einen bogen, noch zu beantworten.
Freytag umb drey viertel auff 4 abendts.
Seyderdem ich auffgehört, zu schreiben, habe ich viel sachen gethan. Erstlich bin ich in kirch betten gangen, hernach bin ich zum könig, welchen ich, gott sey lob undt danck, viel beßer gefunden, alß gestern abendts; war recht lustig. Gott gebe ferner segen! Aber es ist mir doch noch nicht woll bey der sach. Nachdem ich vom könig kommen, habe ich zu mittag geßen; nach dem eßen seindt viel damen kommen, mitt welchen ich cercle gehalten; hernach habe ich audientz ahm heim von Imhof[12] geben. Er hatt mir eine proposition gethan, so ich nicht acceptirt habe, nehmblich ein commers mitt brieffen mitt der printzes Louissen von Wolffenbüttel. Daß käme mir übel zu paß. Ich habe geantwort, daß ich I. L. sehr verobligirt were vor dero proposition, allein ich könte I. L. nichts von hir melden, so ihnen ahngenehm sein könte, weillen sie niemandts hir kenten, undt daß seyder ma tante todt mir alles so abgestorben were, daß ich mich vor nichts mehr interessiren könte. Sobaldt die audientz auß war undt ich wider hir in meinem cabinet war, kam monsieur Stamer[13] undt bracht mir Ewer liebes schreiben sambt den woll gestochenen kupfferstücken von der kirch von St Paul undt daß kupfferstück von der königin in Preüssen, wofor ich Euch sehr dancke. Die konigin hette ich woll gekendt, den ich habe I. M. contrefait in groß, wie auch eines von unßer lieben printzes von Wallis. Ich finde, daß daß kupfferstück von der konigin in Preussen mehr gleicht, alß der printzes von Wallis, zu judiciren nach den contrefaitten, so ich habe. Waß die kirch [betrifft], so habe ich zwar in dem theatre de la grande Bretagne dieße stück, aber viel kleiner undt nicht so woll gemacht, alß die Ewerigen sein; daß inewendige ist auch anderst. Hatt Eüch daß nicht ahn die brieff erinert, so ich ahn ma tante s. geschickt hatte durch monsieur Bersebé[14]? Meine kutschen sein kommen. Ich muß ein wenig frische lufft schöpffen; es ist 6 tag, daß ich nicht außgangen bin. [611]
Freytag ein viertel auff 8ten abendts.
Da komme ich eben von der promenade, liebe Louise! Ich habe ein wenig zu fuß spatziren wollen, aber es ist sehlegt hergangen, den mein miltz hatt sich geblähet; habe baldt wider in kutsch gemüst. Ich komme aber wider auff Ewer liebes schreiben. Warumb haßen die Englander die Teütschen so sehr? Ich glaube, daß es ist, weillen sie wenigere fehler haben, alß sie; wen Ewer camermägtgen hiran gedacht, hetten sie sich trösten können. Daß gemeine volck in Engellandt muß greülich insolent sein, leütte zu insultiren, die ihnen nichts zu leydt thun. Ich muß gestehen, ich habe gar keine inclination vor dieße nation. Ewere cammerkätzger müßen gescheyde menschen sein, nichts geantwort zu haben. Es muß eine rechte antipatie sein, so sie hatt mercken machen, daß sie Teütsche sein. Von printzen von Schwartzenburg habe ich noch nichts gehört, daß er solte zu Paris ahnkomen sein. Aber ich hab Eüch schon dießen nachmittag gesagt, daß monsieur Stammer ahnkommen ist. Vergangen dinstag habe ich mich schon mitt Eüch erfrewet, daß Ihr einmahl bekommen werdet, waß unßere liebe s. churfürstin Eüch hinterlaßen. Gott gebe, daß Ihr es lang genießen mögt! Aber Ihr soltet nicht langer in Engellandt bleiben, weillen Eüch die lufft zu [London] außzehrt. Waß wirdts Ewern niepcen nutzen, wen Ihr Eüch umb leben bringt? Tuht doch alles, waß möglich sein kan, Eüch zu couriren! Ich wolt, daß ich Eüch, liebe Louisse, etliche gutte pfundt von dem fett, so ich zu viel habe, schicken könte, so were unß beyden geholffen; aber wünschen hilfft leyder zu nichts. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwortet. Ein andermahl werde ich auff daß von monsieur Stamer andtwordten, nun aber nur sagen, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 15. August 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 607–611
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0722.html
Änderungsstand:
Tintenfass