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Paris den 10 September 1715.
Hertzallerliebste Louisse, seyder gestern seindt wir endtlich in
dießer betrübten statt. Ich habe mein zeit gestern abendts in
threnen undt braff kopffwehe zugebracht; mein sohn hatt mir aber ein
neü apartement, welches ohne vergleichung beßer ist, alß daß
andere, geben, hoffe, hir ohne rechte oder gar große kranckheit
fortzukommen in dießem neüen apartement. Wie es weitter gehen
wirdt, werde ich Eüch berichten, liebe Louise!
Dinstag, den 10, umb ein viertel auff 5 nachmittags.
Man muß die warheit bekenen, dießer ort ist woll verdrießlich.
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Ich habe heütte morgen umb halb 11 ahngefangen, zu schreiben,
aber nichts, alß die wenige zeyllen, so Ihr da segt, schreiben
können; den ich habe so abscheülich viel leütte gehabt, das mir der
kopff gantz threhet, alß wen ich voll were; weiß schir nicht mehr,
waß ich thue oder rede. Es ist ein rechte qual, hir zu sein; aber
es ist noch keine zeit, hinüber zu klagen, den ich muß es leyder
suchen zu gewohnen. Dieße woche habe ich kein frisch
schreiben von Euch entpfangen, werde also nur auff daß vom 18/29
Augusti, no 28, andtwortten. Alle unßere sorgen vor dem könig
seindt leyder zum endt. Gestern hatt man unßern könig seeliger
nach St Denis geführt.
[1] Daß gantz königliche hauß ist zerstreüet
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wie stahren. Der junge könig fuhr gestern nach Vincene, madame
de Bery nach St Clou, mein sohns gemahlin undt ich hieher; mein
sohn kam erst her, nachdem er den jungen könig nach Vincene
begleydt hatte; wo alle andere hinkommen sein, weiß ich nicht.
Durch meine letzte schreiben werdet Ihr, liebe Louisse, meine
hertzliche betrübtnuß ersehen haben, bin Eüch doch sehr verobligirt vor
Ewere gutte wünsche. Den duc de Leeds habe ich weder gesehen,
noch von ihm gehört. Mich deücht, es ist alle zimblich die moden
in Engellandt, starck zu drincken; wie der duc de Richemont
[2] hir
war, soff er sich alle tag voll. Daß ist die verkehrte welt, daß
vätter reißen undt ahn ihren kindern reißgeldt fordern. Der sohn
hatt verstandt gehabt, nicht zu seinem vatter zu gehen undt den
haußhoffmeister hinzuwagen
[3]; den der dolle vatter würde es ihm
woll nicht beßer gemacht haben. Ich habe nicht gehört, daß neüe
loords hir ahnkommen wehren; aber die warheit zu sagen, so habe
ich seyder 3 wochen wenig gehört, noch mich informirt, wie es in
der weldt zugeht; den ich meinte, vor betrübtnuß zu vergehen, bin
auch noch hertzlich betrübt. Aber waß will man thun? Man muß
sich woll in gottes willen ergeben. Ah, da kompt meins sohns
gemahlin. Ich bin heütte schon mehr, alß 30 mahl, inter[o]mpirt
worden; aber so gehts in Paris. Versichert I. L. die princes von
Wallis, daß ich hir starck treiben werde ahn die gestochene stein,
wie auch ahn daß contrefait, so I. L. mir die ehre gethan haben
zu begehren! Sagt I. L. auch viel schonnes von meinetwegen! Ihr
könt nicht so viel sagen, liebe Louisse, alß ich von hertzen
gedencke. Monsieur de Miremont hauß muß nahe bey Londen sein,
weillen er alle tag hingeht. Ich geße
[4] gehrn mitt leütten, daß ewig
allein-eßen betrübt mich recht. Gesundtheit trinken ist keine große
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freyheit, sondern in meinem sin waß obligents; den man wünscht
allezeit waß guts dabey. Ohne drincken könte ich ohnmöglich eßen.
Wünsche von grundt der seelen, liebe Louisse, daß Ihr, waß Ewere
intention ist, baldt außmachen möget nach Ewerm volligen gefahlen.
Es ist nicht nöhtig, daß Ihr deüttlicher redt; ich verstehe Eüch
gar woll, liebe Louise, wie Ihr segt. Hiemitt habe ich endtlich
Ewer liebes schreiben doch beantwort, glaube aber woll nicht ohne
fehler; kan mein brieff ohnmoglich überleßen, noch mehr sagen,
alß daß, in welchem ort, oder welchem standt ich auch sein mag,
so werde ich Eüch doch allezeit von hertzen lieb behalten.