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Brief vom 24. September 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


729.


[632]
Paris den 24 September 1715.
Hertzallerliebe Louise, es war mir vergangen freytag ohnmöglich, ahn Eüch zu schreiben; den ich hatte einen großen brieff [633] ahn unßern hertzog von Lotheringen, wie auch ahn mein dochter zu schreiben undt wardt nach ordinarie Parisser schlimmer gewohnheit so accablirt von leütten, daß ich ohnmöglich mehr, alß dieße zwey brieff, schreiben konte, wovon ich alleweill gesprochen. Sambstag habe ich Ewer lieben brieff vom 5/16 dießes monts entpfangen, werde bey dießem frischten ahnfangen. Meine gesundtheit fengt ein wenig ahn, sich von dem prast zu entpfinden. Seyder vorgestern habe ich einen starcken durchlauff, met verlöff, met verlöff, wie die alte fraw von Woltzogin alß pflegt zu sagen; mein docktor aber sagt, es seye gutt, daß mir dieße kleine kranckheit ahnkommen seye, sonsten hette ich gar eine gefährliche außstehen müßen. Wen mein kopffwehe nur von weinen kämme, so würde es baldt vergehen undt keinen bestandt haben; es kompt aber von der Parisser lufft, wirdt also dauern, so lange ich zu Paris sein werde, undt waß ich hir sage, ist so unfehlbar, daß, wen ich nachmittags außfahre in die freye lufft, vergeht mir daß kopffwehe gantz. Ein stundt hernach aber, wen ich wider in Paris bin, fangen mir die schläff wider ahn zu klopffen undt zu brenen undt kompt mir über die augen, alß wen man mir ein stirnbandt hart bände. Ich kan nicht nach St Clou; seyder 14 jahrn, daß ich nicht mehr dort bin, hatt man nichts zurecht gemacht, also hatt sich mein cabinet überall gespalten. Daß hatt man gantz wider auff neü mitt frischem kalck zurecht machen müßen, undt nichts ist gefährlicher, alß in eine cammer, wo frisch kalck undt gibs ist; kan also dießen winter ohnmöglich nach St Clou, dort zu wohnen. Ich glaube, daß es auch beßer ist, daß ich mich eine zeit lang undt etliche monat versuche, hir zu gewohnen; den gehe ich, wen ich mich übel befinde, nach St Clou in die gutte lufft, so dort, werde ich mich gar nicht ahn dieße lufft hir gewohnen können, wie ich bißher gethan; undt es ist ja leyder absolute nöhtig, daß ich in dem vor mich betrübten undt verdrießlichen Paris bleiben muß, wo ich weder trost, noch freüde habe, noch niemahlen haben kan. Meinen sohn sehe ich nur einmahl deß tags, es ist morgendts oder abendts, bleibt aber kein halb stundt bey mir; er ist zu mittag undt zu nacht bey seiner gemahlin. Ich eße gantz allein, bin mitt hundert gesichter umbringt, mitt welchen ich reden muß, ich mag lustig oder trawerig sein; den gantzen langen tag kommen leütte, so mich im schreiben interompiren, die muß ich wider entreteniren, daß wehrt biß 8 abendts. Summa, [634] ich habe hir nichts, alß zwang undt widerwertigkeit, undt nie nicht die geringste freüde oder vergnügen. So ist mein ellendes leben nunmehr bestelt, liebe Louise! Aber man muß woll wollen, waß gott will. Mein gott, liebe Louisse, ich sehe woll, daß Ihr dieß landt nicht kendt. Mein sohn wirdt nun biß im himmel erhoben, weillen alle meinen, waß von ihm zu profitiren. Aber wie allemahl über 50 begehren, waß nur einer haben kan, so macht man gleich 49 malcontenten undt so viel feindt von allen ständen. Mein sohn gibt sich so große mühe von 6 morgens ahn biß 12 in mitternacht, daß sehr zu fürchten ist, daß er drüber kranck wirdt werden.[1] Vergangen donnerstag fandt er sich so erhitzt, daß er umb 9 abendts zur ader [ließ], 4 große paletten, 16 oncen bludt. Andern tags, alß freytag, hilt er 8 stundt conseil de finance undt arbeytet hernach noch mitt unterschiedlichen ministern biß nach mitternacht. Alles ist in einer so großen unordenung, daß es in 10 jahren nicht nach vergnügung kan zurecht gebracht werden, undt ich fürchte, daß mein sohn unterdeßen eine große kranckheit [bekomme], welche mir angsten undt betrübtnuß verursachen wirdt; also sehe ich weder in itzigen, noch zukünftigen zeitten gar nichts ahngenehmes vor mich. Mitt hiesicher lufft undt verdrießlichkeit, ohne exercitzien zu thun, wo ich so sehr ahn gewondt, ist es nicht sicher, daß ich die 9 jahr leben werde, so mein sohn zu regieren hatt; aber ich frage kein haar darnach, den daß leben ist nur ahngenehm, wen man es mitt vergnügen undt ruhe zubringen kan. Wozu ist [es] sonst nutz, alß nur umb qual zu geben? Also seydt versichert, liebe Louisse, daß, wen daß stündtlein kompt, daß unßer herrgott mir vorsehen hatt, werde ich dieße [welt] ohne einig regret verlaßen. Die könige hir im landt geben ihr leben nichts ahn keinem menschen in der welt in ihren testamenten, es ist nicht der brauch; habe alle[2] ebenso wenig alß seine eygene kinder undt kindtskinder bekommen. Es ist ohnfehlbar, daß die Malaussen[3] vom hauß Bourbon herstammen, aber sie pretendiren von der rechten seydt; andere aber meinen hir, es seye nur von der lincken seydt. Solte es aber auch nur von der lincken seytten sein, tregt man doch die trawer groß in solchen fällen; weillen sie aber in einem andern [635] landt sein, glaube ich doch, daß sie beßer gethan hetten, die trawer nicht anderst, alß der hoff, zu nehmen; daß sie aber von gar guttem undt alten hauß sein, daß ist gewiß. Die printzes von Wallis hatt groß recht gehabt, auff dem waßer bey der großen hitz zu fahren; den der staub ist abscheülich nun. Es ist gefährlich, wen einmahl der mundt flüße bekommen; es kompt offt wider undt verstehlt sehr, es felt auch offt auff die zähn. Ich habe madame la Dauphine mitt zwey von ihren printz schwanger gehen sehen, daß sie ihre zeit regullirt gehabt, wie ordinarie; madame de Soubisse von allen ihre schwangerschafft von söhnen ist es auch so gangen. Der Seefrid hatt sich noch nicht bey [mir] ahngemelt, dancke Eüch aber zum vorauß, liebe Louise, vor alles, waß Ihr mir durch ihm schickt. Ich habe Eüch schon geschrieben, daß ich daß meledy-Kendt-pulver, so die printzes von Wallis mir die ehr gethan, zu schicken, ist anderst, alß die ballen, so I. G. unßer herr vatter von obgedachter graffin von Kent hatten.[4] Wolte gott, ich könte allein sein oder nur meine damen undt die Rotzenheüsserin undt marquise d’Alluy[5] haben! Daß ist geselschafft genung vor mir. Etlichmahl gantz allein ist mir noch lieber, aber daß geschicht mir leyder nur zu selten. Indem ich Eüch heütte morgen geschrieben, bin ich woll offt interompirt worden, habe den ambassadeur von Sicillen, den von Spanien, den von Portugal undt noch sonsten gar viel leütte gehabt; es gebe eine littanie, wen ich sie alle nenen solte. Ich habe, wie Ihr woll gedencken könt, mitt allen sprechen müßen, welches meinen husten undt bößen halß nicht zum besten bekompt. Seyder heütte morgen hatt mein durchlauff auffgehört, der husten aber hatt zugenohmen. My[lord] Stairs ist auch heütte morgen zu mir kommen; er will mitt aller gewalt, ich solle ahn die printzes von Wallis schreiben. Ich glaube, daß ich es endtlich werde thun müßen, ich fürchte aber, es wirdt abgeschmackt herraußkommen; den ich bin gantz stupide. Ahn Eüch, liebe Louise, kost es mir nichts zu schreiben; den ich sage Eüch nur, waß mir im kopff kompt; aber ahn jemandts zu schreiben, ahn wen man sein leben nicht geschrieben, daß kompt schwer ahn. Ewere ungedult kompt ja nur auß lieb undt freündtschafft gegen mich; wie solte es mich den verdrießen können? Daß ist alles, waß ich auff Ewer [636] letztes liebes schreiben sagen werde. Ich komme jetzt auff daß vom 24 Augusti / 4 September. Ich bin der printzes von Wallis woll hoch vor dero christliches mittleyden verobligirt. Ich habe Eüch schon all mein leydt geklagt, will derowegen nichts mehr davon sagen; den lenger zu klagen, were langweillig vor Eüch undt vor mich. Mein husten plagt mich auch so sehr, daß ich ohnmöglich heütte mehr sagen kan, alß daß [ich] in husten, in schnupen, in kopff- undt halßwehe ebensowoll, alß in volkommener gesundtheit, Eüch, liebe Louisse, von gantzem hertzen lieb behalte.
Wie ich eben mein paquet machen wolte, kompt der monsieur Seefrid herrein undt bringt mir Ewer liebes schreiben sambt dem meledy-Kendt-pulver. Es mag woll gutt sein, allein es ist nicht wie das alte; daß alte schmeckt nicht bitter, wie dießes. Ich habe noch ein stück vom alten. Ich bin Eüch doch sehr davor verobligirt, liebe Louisse, undt dancke Eüch von hertzen. Auff Ewer liebes schreiben kan ich heütte nicht andtwortten, mein kopff undt halß thun mir gar zu bludtswehe.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 24. September 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 632–636
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0729.html
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