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Brief vom 1. Oktober 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


731.


[639]
Paris den 1 Octobre 1715.
Hertzallerliebe Louisse, gestern habe ich Ewer liebes schreiben vom 26/15 September zu recht entpfangen. Ich kan nicht begreiffen, wo mein schreiben von 13 September muß hinkommen sein; den ich hatte es, wie ordinari, ahn monsieur Martine geschickt. Meine brieffe gehen allezeit durch so viel hände, daß es mehr wunder ist, wen sie richtig ahnkommen, alß wen sie verlohren werden. Aber der verlust ist nicht considerable undt kan leicht wider ersetzt werden. Mademoiselle de Malausse ihrer mag von selbigen datum sein. Es ist verdrießlich, umbsonst zu schreiben undt das es nur leütte leßen, wo man nichts nach fragt, undt sie, vor denen man sie geschrieben undt sie gern hetten, sie nicht bekommen. Daß ich [640] Eüch schreibe, wens mir möglich ist, segt Ihr woll, liebe Louisse, undt werde es allezeit thun. Seydt auch versichert, daß Ewere schreiben mir allezeit lieb undt ahngenehm sein! Ich habe gar einen starcken husten undt schnupen dieße woch gehabt; davon habe ich ein wenig profitirt, umb mich der abscheülichen qual zu überheben, den gantzen langen tag mitt allerhandt leütte geplagt zu sein; bin nicht auß meinem nest gangen, aber niemandts, alß meine leütte, gesehen, die thür war zu vor alle andere. Hette ich die leütte wie ordinarie gesehen, hette mir die brust bärsten müßen; den sobaldt ich nur 2 wordt gesprochen, habe ich ein viertelstundt ahn einem stück husten müßen, hette also daß gantz-tag-lange geplautter nicht außstehen können. Ich bin heütte gantz trawerig erwacht in den gedancken, daß dieße Parisser plage heütte wider ahngehen wirdt. Ich habe mein leben kein geschwer im mundt gehabt, aber viel gesehen, so es offt gehabt haben; die königin undt den duc de Berry s. habe ich abscheülich dran leyden sehen; also beklage ich Eüch recht drüber, liebe Louise! wünsche, daß Ihr es lang quit sein möget. Eine geselschafft von leütten, so einem lieb undt ahngenehm ist, wie Ewere neuveux undt vetter, daß ist nur ahngenehme; aber ein ohnnöhtiger schwarm, alß wie der, den ich alle tag hir außstehen muß, verley[d]et einem daß leben undt macht mich gantz melancolisch. Vor etlichen jahren war daß schachspiel sehr a la mode hir; ich habe mich aber nicht dazu ergeben, finde es zu schwer vor meinen schlechten hirnkasten. Man hatte mir versichert, daß könig Georgen keinen eintzigen Teütschen hatt bey sich behalten dörffen; bin doch fro, daß er noch seine cammerhern behalten hatt. Es ist, wie ich glaube, gutt in Engellandt, trewe leütte bey sich zu haben; den den Engländern trawe ich kein haar. Ich muß gestehen, liebe Louise, ich bin mein leben nicht traweriger geweßen, alß nun. Daß detachirt mich so von der welt, daß, wens gottes wille were, mich zu sich zu nehmen, würde ich in jenne welt ohne eintzigen regret von dießer welt gehen; den man kan kein langweilligers, noch ellender, noch verdrießlichers leben führen, alß daß meine ist. In allen andern verdrießlichen zeitten, so ich hir in großer menge gehabt, hatte ich ma tante brieffe, so mich gantz wider auffmunderten, ich hatte auch den gutten ehrlichen monsieur Polier, der mir viel trost gab; aber nun habe ich niemandts mehr, also nimbt meine trawerigkeit überhandt. [641] Wie ich jünger war, verjagte ich auch meine trawerige gedancken mitt spatziren undt jagen; daß kan nicht mehr sein, also bleibe ich gantz in mir selber mitt allen meinen trawerigen gedancken, von welchen ich nur interompirt werde durch leütte, so nichts nach mir fragen, nach welche ich auch nichts frage. Die muß ich doch entretenire[n]; waß ich gedencke, kan undt will ich nicht sagen, muß doch reden; daß ist eine größere mühe, alß man woll gedencken kan. Ewere raisonnementen deügen wenig, liebe Louisse, wen es Ewere trawerigkeit nicht vertreibt. Es ist noch kein tag vergangen, daß ich hir ohne kopffwehe geweßen. Die son thut es gar nicht, den im andern apartement habe ich es nicht weniger. Man kan hir zu Paris nichts endern, alles ist widerlich undt sehr verdrießlich. Franckreich ist nur zu lang durch weiber-mischung in affairen geplagt worden; durch mich werden sie es gewiß nicht werden undt gott gebe nur, daß andere mein exempel folgen![1] Es ist mir leydt, daß der marquis de Rochegude betrübt von Eüch gangen ist; allein er solte woll selber wißen, wie es hir ist undt daß mein sohn nicht alles thun kan, waß woll zu thun were. Ich will doch nur erkündigen, waß vor die armen galleriens zu thun ist, undt general will ich vor ihnen reden. Gehet es ahn, solte es mich von hertzen frewen; gehet es nicht ahn, habe ich doch meine schuldigkeit gethan undt mir nichts vorzuwerfen. Ich fürcht, daß der gewißensraht mein sohn nicht zulaßen wirdt, nichts vor die arme flüchtige zu thun; den pfaffen seindt allezeit pfaffen.[2] Aber ich muß in kirch.
Seyder ich aufgehört, zu schreiben, habe ich, ich glaub woll, über 2 hundert personnen gesehen; der kopff der threhet mir davon. Mylord Stairs meinte, der chevallier de St George were von Bar weg; aber wo solte der arme herr hin ohne gelt, ohne schiff undt ohne troupen? Itzunder ist gewiß keine gefahr vor seine reißen, allein mitt der zeit mogten woll kriege kommen, wen dießer herr nicht baldt stirbt. Es ist nicht war, daß der könig in Spanien hatt protestiren laßen. Er hatt unß alle geschriben undt ist sehr content, verspricht auch, frieden zu halten. Wolte gott, Carllutz hette nun bey mir sein können! Daß were mir ein großen [642] trost geweßen. Aber man rufft mich zum eßen, undt Ewer liebes schreiben, liebe Louisse, ist völlig beantwortet, kan alß[o] vor dießmahl nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch all mein leben von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 1. Oktober 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 639–642
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0731.html
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