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Brief vom 15. Oktober 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


734.


[647]

A mad. Louise, raugräffin zu Pfaltz, a Londre.

Paris den 15 October 1715.
Hertzallerliebe Louise, seyder 3 tagen bin ich mitt zwey von Ewern lieben brieffen erfreüet worden; daß, so ich letzt-verwichenen sambstag entpfangen, ist vom 3 October / 22 September, undt daß vom 10 October / 29 September, so man mir gestern abendts gebracht. Ich will bey dem frischten ahnfangen. Meine hundert gegrabene nachgemachte stein werde ich alle hundert zukünfftigen sambstag haben. Die printzes von Wallis wirdt hernach wehlen können, waß I. L. ahm besten davon gefehlt, den ich werde von allerhandt gattung schicken; wünsche sehr, daß es I. L. gefahlen undt ahngenehm sein möge. Es ist eine ellende sach mitt der see; man ist nie sicher mitt, daß, waß man schreibt, überkompt. Der husten verfolgt unßere gantze famille, hatt bey mir ahngefangen, mein sohn hatt es hernach bekommen undt ist es noch nicht gantz loß, seine gemahlin hatt es gar starck, undt ihre dochter, mademoiselle de Valois, fengt auch jetzt ahn, den schnupen zu bekommen; so haben wir alle ahngefangen. Mein kopffwehe verläst mich nicht, [648] dieße nacht habe ich es noch stärcker gehabt, alß nie, habe nur anderthalb stundt in allem geschlaffen; der kopff ist mir schwer, alß wen er von bley were, sehr heyß, undt die arterren[1] ahn den schlaffen klopffen mir alß wie kleine hämerger undt oben thut es mir, alß wen man mir die haar zöge; daß ist aber daß rechte Pariser werck. Reden macht mir langeweill, aber kein kopffwehe. In Franckreich contentirt man sich nicht mitt ein par wordt, jedes will entretenirt sein. Wen Ihr alle particuliariteten von meinem leben wißen soltet, würdet Ihr Eüch nicht verwundern, daß ich nicht lustig bin, sondern viel mehr, wie ich nicht traweriger bin, alß ich bin. Ich dencke offt ahn daß gesetz vom lutherischen liedt undt singe es manchmahl:
Sols ja so sein,
Daß straff undt pein
Auff sünden folgen müßen,
So fahre fort[2]
Undt schone dort
Undt laß mich hir woll büßen![3]
Ich bin mein leben nicht ruhiger, alß wen ich gantz allein sein kan. Daß geschicht mir aber gar selten leyder; sehe nicht, daß der zwang lustiger machen kan. Die fraw von Rotzenhaussen ist ahngenehm lustig undt poßirlich; sie thut auch all ihr bests, mich auffzumundern; alle ihre lust benimbt nicht, waß mich trawerig macht. Ma tante s. hatte viel trost, den ich nicht habe; sie hatte eine ahngenehme printzessin bey sich, deßen heüraht sie selber gemacht undt gewünscht hatte; sie war absolutte herr undt meister von sich selber, konte hingehen, wo sie wolte, undt thun, waß sie wolte, daß endert den text. Ein ewiger zwang ist eine betrübt sach, insonderheit wen es nur mitt dem todt endern kan. Mich deücht, es ist genug, sich in den willen gottes ergeben; wen man die sach nimbt, wie er schickt, trawerigkeit undt betrübtnuß, so muß man ja auch woll trawerigkeit ahnnehmen; solte er mir etwaß [anderes] schicken, so wolte ichs auch woll ahnnehmen. Zu unßers seeligen [649] königs zeitten war ich ahn einem ort, der mir gefiehl; ich jagte, ging offt in die lufft, daß distrait die melancolie; aber hir habe ich gantz undt gar kein distraction; fahre ich gleich ein wenig in die lufft, so kan ich doch weder so geschwindt fahren, noch so lang in der lufft sein, alß wen ich jagte. Also sobaldt ich wider komme, kompt mein kopffwehe auch wider; den ich kan dieße lufft durchauß nicht vertragen. Ihr werdet durch mein letztes schreiben mein langweilliges leben ersehen haben. Aber es schlegt 12, ich muß in kirch.
Da komme ich eben auß der kirch, undt weillen ich noch in viertelstündtgen in meiner cammer zu bleiben habe, so will ich es ahnwenden, Eüch zu entreteniren, liebe Louisse! Bey ma tante s. konte man leicht seines leydts vergeßen; aber hir ist es nicht so leicht. Waß ich ahm wenigsten von dießem landt vertragen kan, ist der abscheüliche interesse undt die unendtliche falschheit; daß verdirbt alles. Aber man rufft mich zum eßen.
Dinstag umb 6 abendts.
In dießem augenblick komme ich vom spatziren. Es ist daß schönste wetter, daß man sehen mag, wie im Mayen. Ich bin in kleine holtzgen geweßen, so man le bois de Boulogne heist; darinen ist ein alt schloß, so François premier gebawet hatt, so Madrit heist, weillen dießer könig daß schloß hatt bawen laßen auff dem model vom schloß zu Madrit in Spanien, wo dießer könig gefangen geßeßen.[4] In dießem hoff[5] hatt eine dame, so vor dießem mein jungfer (hofffreüllen solte ich sagen[6]) geweßen, sie heist Chausseray[7], ein artig landtheüßgen, die habe ich dort besucht undt ihr klein gärtgen etlichmahl durchspatzirt. Daß ist mir woll bekommen, befinde mich viel beßer nun. Ich weiß nicht, waß mein sohn ahn mylord Stairs gesagt hatt wegen der galleriens; allein ich kan Eüch versichern, daß, wie ich ihm davon gesprochen, hatt er mir gutte hoffnung geben, aber auch dabey gesagt, daß sie sich gedulten müßen; auß unterschiedtlichen ursachen könte er ohnmöglich geschwindt in der sach gehen. Liebe Louise, ich wolte, daß Ihr auß Engellandt weg wehret; den alles schlegt Eüch übel zu in Engellandt. Ewere niepce dawert mich, die ihren herrn lieb hatt, so [650] baldt von ihm geschieden zu werden. Wen er nur nicht auch in seiner provintz assasinirt wirdt! Sie hatt woll gethan, in dießem tumult nicht mittzugehen. Es ist eine abscheüliche nation, so gegen einen könig, den sie selber geruffen undt erwehlt, zu conspiriren undt gegen so viel unschuldige Teütschen.[8] Ein Engländer hir, ein mylord Duglas[9], hatt mir gesagt, daß der Hervey erstlich alles geleüchnet hette, biß man ihm seinen eygenen brief gewießen; da hatt er die resolution genohmen, sich umbzubringen, undt es ins werck gestelt. Gott seye danck, daß der könig mitt seinem königlichen hauß undt auch Ihr, liebe Louisse, der gefahr so glücklich endtronnen seydt! Gott behütte ferner undt helff Eüch alle auß dem verfluchten landt! Ich darff die liebe printzes von Wallis nicht so offt mitt schreiben überlauffen, aber ich bitte Eüch, liebe Louisse, sagt doch ahn I. L., daß ich recht geschaudert habe, wie ich dieße conspiration erfahren, undt dancke gott dem almächtigen, daß es so woll abgeloffen! In den letzten zeitten hatt daß alte weib[10] undt die ministers viel sachen ohne deß königs wißen gethan.[11] Daß aber der junge könig Jacob auff seinen thron zu steygen sucht, kan man ihm nicht verdencken; aber die auff sein parthie sein, solten offendtlich krigen undt nicht durch assassinats. Es ist nicht zu verwundern, daß die Englander meinen, daß man leicht ein Türck werden kan; den sie seindt so leicht zu allerhandt dolle religionen zu bewegen. Ma tante s. hatte die Türcken recht lieb, sagte, es wehren ehrliche leütte. Ihr habt woll gethan, liebe, mir daß buch von deß Rochegutte[12] leben nicht zu schicken; daß hette alles verderben können. Ich weiß nicht, wer mir auff der post einen cathegisemus von monsieur Drelincour geschickt mitt einem [651] großen geschriebenen brieff hinden.[13] Ich bin zu alt, cathegismus zu lehrnen, undt weiß lengst, waß ich zu glauben habe. Ich war willens, noch dießen abendt auff Ewer erstes liebes schreiben zu andtwortten, aber ich habe so viel interuptionen gehabt, daß ich es heütte ohnmöglich volführen kan, muß es vor ein ander mahl sparen; den ich muß dieße nacht noch ahn mein dochter schreiben. Adieu, hertzliebe Louise! Seydt versichert, daß ich Eüch all mein lieb[14] von hertzen lieb behalten werde!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 15. Oktober 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 647–651
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0734.html
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