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Brief vom 18. Oktober 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


736.


[653]
Paris den 18 October 1715.
Hertzallerliebe Louisse, ich habe woll gethan, Ewer liebes schreiben vom 3 October / 22 September biß auff heütte zu sparen; den ich habe kein frisches von Eüch erhalten. Ich glaube, daß die starcken windte, so wir vor etlichen tagen gehabt haben, dran schultig sein. Es ist eine ellende sach, über mehr fahren; man ist nicht sicher, hinzugehen, wo man will. Es ist, seyder ich hir bin, kein eintziger tag vergangen, in welchem ich nicht starck kopffwehe gehabt habe; aber daß ist Paris, es ist allezeit so geweßen undt wirdt allezeit so sein; man muß gedult haben. Daß kopffwehe felt mir woll etlichmahl im halß undt macht mich husten, aber es ist kein rechter husten mehr. Ich fahre schir alle tag spatziren; bin ich in der frischen lufft, so vergeht mir daß kopffwehe; komme ich wider ins palais royal, kompt es gleich wider. Mein sohn ist, gott sey danck, wieder gesundt; daß ist daß vornehmbste, ahn mir ist wenig gelegen. Daß ist woll naturlich, daß man trost bey denen sucht, so unß nahe genung sein, umb in alles part zu nehmen, waß unß betrifft, undt mitt welchen man offenhertzig reden kan; nichts in der weldt erleichtert mehr ein betrübtes hertz. Liebe Louise, ob unßer herrgott unß zwar nicht gleich erhöret, so glaube ich doch, daß es nützlich, wen tugendthaffte leütte undt die gottsfürchtig sein, [654] vor unß den allmachtigen ahnruffen; bin Eüch also recht davor verobligirt. Die regirung solte meinem sohn nicht schwer ahnkommen[1], wen alles wer, wie es sein solte; allein die minister, gens d’affaire undt daß alte weib haben daß gantze königreich in solcher unordenung gebracht, daß es in 10 oder gar 12 jahren nicht kan wider ersetzt werden. Auß meinen brieffen werdet Ihr, liebe Louise, so woll, alß auß den gazetten, ersehen haben, daß mein sohn übel auff geweßen. Es ist woll kein wunder, er hatt weder tag noch nacht ruhe, von 6 morgendts ahn biß 11 nachts hatt er immer zu thun. Einer von denen, so meinen sohn ahm wenigsten geacht hatt, kam zu mir in der gallerie zu mir, wie die gallerie gantz voller leütte von einem endt zum andern war, undt sagte in lachen zu mir: Madame, il n’y a cassi personne icy. Ich andtwortete auch in lachen: Si vous l’avies dit ainsi, il y a 3 mois, cela auroit estés vray. Er wurdt gantz beschambt. Wen Ihr sehen soltet, wie voller leütte die gallerien undt daß große apartement heütte war, hettet Ihr woll mitt recht wider sagen können, wie in den lutherischen höffen vor der taffel gebett wirdt: Aller augen wartten auff dich, herr![2] Mein sohn hatt so woll feinde alß freündt. Ich fürchte, es wirdt sich mitt der zeit nur gar zu viel außweißen. Wer meint, daß feinde in Franckreich nicht schaden können, kent die nation nicht; alles ist schädtlich undt wenig nützlich hir. Man hatt mich unerhört plagen wollen, aber ich speiße die gutte leütte so kurtz ab mitt je me mesle de rien, daß man mich endtlich in ruhen lest, undt habe woll gott in mir selber gedanckt, die pa[r]thie genohmen zu haben, ich hette sunst weder nacht noch tag ruhe gehabt; den der interesse ist so groß hir, daß man biß auff seine eygene cammermägt verfolgt wirdt undt weder nacht noch tag keine ruhe hatt. Daß ist gar eine verlohrne arbeydt hir, leütte zu vergnügen meinen; wen man einen zum exempel ein finger gibt, ist er nicht zufrieden, daß er die gantz handt nicht hatt, undt so vorthan.[3] Man weiß einem allezeit undanck, nicht alles zu haben; zu dem so will ich meinem sohn nicht auffbringen, daß er sich von weibern plagen undt regiren lest.[4] Ich gebe daß exempel, folgt es seine gemahlin undt dochter nicht, desto schlimmer vor ihnen; [655] den sie werden nicht allein meinem sohn schaden, sondern sich selber auch; den wofern man sich wirdt einbilden, daß mein sohn sich wider durch weiber regiren lest, so wirdts übel hergehen, woran ich dan keine schuldt haben will; daß helt mich so eingezogen. Daß alte englische pulver ist ein wenig weißer, alß daß neüe, undt gar nicht bitter, wie daß, so Ihr mir geschickt habt, so ebenso bitter ist, alß daß saltz von Ipson.[5] Es muß nun die moden in Engellandt sein, daß alle remedien bitter sein, aber daß schadt nicht; wens nur denselben effect, wie daß ander, thut, so ist es schon genung. Mein docktor ist ein geschickter man; er hatt auch so gutte minen, daß man ihn eher vor einen obersten, alß vor einen docktor, ahnsehen solte. Ich habe alß gedacht, wie ich ihn genohmen, daß, wen die letzte verstorbene churfürstin zu Pfaltz, die, wie man gesagt, einen docktor geheüraht hatt, wen sie dießen gesehen, würde sie dem ihrigen untrew geworden sein. Einen docktor konte ich ohnmöglich lieben, wen er auch were wie ein engel; aber, wie unßere lieber[6] churfürstin alß pflegt zu sagen: Einem jeden seine weiß gefelt undt seinen dreck vor weyrauch helt. Mein hündtgen, daß allezeit bey mir sein will, springt auff mein papir undt hatt mir dort oben 3 wortten außgewischt; ich weiß nicht, ob Ihr es werdt leßen können.[7] Aber damitt ich wider komme auff waß ich habe sagen wollen, so seindt die docktoren dume teüffel hir undt meinen, es seyen keine beßere in der weldt, alß sie. Von dem indeterminirt[8] fieber habe ich mein leben nichts gehört; vor allerhandt fieber ist doch daß meledy-Kendt-pulver gutt. Ihr jammert mich recht, liebe Louise, so viel auff allerhandt art undt weiße in Engellandt … Ich wolt, daß Ihr nicht hingangen wehret. Der gutte herr von Degenfelt hatt mehr alß Eine kranckheit in Engellandt bekommen; er jammert mich, wofern es kein gutt endt gewindt. Ich glaube, daß sein chagrin viel ursach ahn seiner kranckheit ist. Den winter kan man Eüch nicht rahten, Eüch zur see zu begeben; allein ich wolte, daß Ihr dießen sommer weggereist weret, liebe Louisse! Ich habe Eüch schon letztmahl geschrieben, wie man hir weiß, wie es in Engellandt undt Schottlandt hergebt; daß macht mich keine beßere opinion von dießen nationen nehmen, alß [656] ich vorhin gehabt hatte. Die leütte haben keine religion; aber waß hir viel wunderlicher ist, ist, daß man sich von großem glauben hir piquirt, undt ich weiß doch etliche, die mitt aller ihrer gottsfurcht stehlen, wie die raben, undt interessirter sein, alß leütte, so sich von keiner devotion piquiren. Durch der Whartongs[9] mutter exempel sehe ich, daß die weiber in Engellandt ebenso boßhafft sein, alß die mäner; den daß war ein verfluchter ahnstalt, so sie gegen ihres sohns fraw gemacht hatte. Die cammermagt, die ihre fraw so trew geweßen undt die boßheit entdeckt, meritirt woll recompens. Ich bin fro, daß der herr cammerpressident von Görtz noch alß mein gutter freündt sein will.[10] Es ist ohne difficultet, daß alles, es seye mans- oder weibsperson, sobaldt sie sich vor domestiquen von der printzes von Wallis außgeben, werden allezeit in aller sicherheit zu Paris sein. Ich habe mich nach Cardel erkundiget; daß geschrey geht, daß er im gefangnuß gantz zum naren geworden. Sobaldt ich entweder monsieur de Barneville[11] oder monsieur d’Argenson[12], so ich beyde gar woll kene, sehen werde, werde ich Eüch, liebe Louisse, ferner nachricht geben.[13] Unterdeßen schicke ich Eüch, waß sein vetter geantwortet hatt. Ewer compliment, liebe Louise, ist woll ohnnohtig; spart Ewere wollredenheit undt eloquentz von[14] andere, die Eüch nicht so nahe sein, alß ich! Mein porte-manteau, so mir meine federn schneydt, hatt mir gesagt, daß er große mühe habe, gutte federn zu bekommen, undt daß sie 2 mahl thewerer wehren, alß ordinari. Ich finde, daß Ihr so schön schreibt, alß ein teütscher cantzelist. Man list beßer, waß weit von einander geschrieben ist, alß waß nahe ist. Auß meine exacte andtwort secht Ihr woll, liebe Louisse, daß ich Ewere schreiben gar woll leße undt kein wordt davon verliehre. Wir haben gar nichts neües hir undt ich muß enden; den ich habe noch ahn mein dochter dießen abendt zu schreiben. Adieu, hertzallerliebe Louise! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt behalte Eüch all mein leben recht lieb.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 18. Oktober 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 653–656
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0736.html
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