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Brief vom 29. Oktober 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


739.


[660]
Paris den 29 October 1715.
Hertzallerliebe Louise, ob ich zwar heütte zur ader gelaßen undt schon 2 brieff geschrieben, so will ich doch weder zum nachteßen noch nach bett gehen, biß ich ein wenig auff Ewer liebes schreiben von 21/10 October werde geantwortet haben. Wen unßere brieff ohne verhindernuß gehen, solte man sie in 5 tagen haben; hir geht die englische post alle mittwog undt sambstags morgendts vor 9; drumb schreibe ich alß freytag undt dinstags. Hir im landt macht man keine bretzelln[1]; es ist mir leydt, den ich eße sie hertzlich gern mitt frische butter, kümel undt saltz. Wan man waß ist, daß schmeckt, kompt der apetit wieder. Die printzes von Wallis spottet meiner mir[2] excusse, daß sie mir die gnadt thun, offt zu schreiben. Daß erfrewet mich, wen ich sehe, daß sie continuiren, gütte vor mich zu haben undt ahn mich zu gedencken; ich merittire es aber durch daß die ware attachement, so ich vor I. L. habe. Dero schreiben durch die post habe ich gleich beantwortet, daß aber durch den graff Salmure[3] habe ich noch nicht entpfangen. Dießen abendt geht ein geschrey, daß der conte d’Argil in Schottlandt geschlagen worden undt die rebellen die statt von Bristol eingenohmen haben.[4] Ich gestehe, ich wolte, daß [661] könig Jorgen mitt seiner königlichen famille zu Hannover were; ich trawe den Engländern kein haar; vor denen leütten kan man sich nicht genung vorsehen. Gott woll Eüch alle gnädig bewahren! Waß hatt ein großer herr mehr guts, alß ein reicher burger? Aber waß man sicher mehr hatt, ist neydt, haß, zwang undt taußendt verdruß. Ich weiß noch gar viel psalmen undt geistliche lutherische lieder, singe es offt, wen ich allein oder nur mitt meinen domestiquen bin.[5] Zu meiner zeit sang man zu Heydelberg in der capel alle lutherische lieder, so hinder den psalmen stehen. War die graffin von Labach lutherisch? Ich meinte, sie were reformirt geweßen. Die lieder, so refrain haben, höre ich nicht gern; den sie kommen etlichmahl wie ein faust auff ein aug. Die falschheit ist mir unleydtlich undt daß findt ich hir in allen ecken; daß verlaydt mir daß leben, auch daß bludt, so man mir heütte gelaßen, ist lautter melancolisch bludt. Es ist kein[6] wunder, wen Ihr den detail wißen soltet, daß ich leben kan; es lest sich aber durch die post nicht schreiben, tugendtsam, wie Ihr, liebe Louisse, seydt. Die haar würden Eüch zu berg stehen, wen Ihr alles wißen soltet. In dem holtzgen von Madrit[7] bin ich zwar spatziren gangen, aber [662] ohne große lust; haben von lautter trawerigen sachen gesprochen, daß kan nicht erfrewen. Aber man muß gedult nehmen undt sich in den willen gottes ergeben, undt weill gottes wille ist, schweygen undt leyden. Mylord Stairs, so eben in meiner cammer war, wie man mir daß kistgen mitt den steinen gebracht, er hatt mir gesagt, daß er es gern schicken wolte, alßo, wen es gepackt wirdt sein, wirdt mans ihm geben; den es muß noch in ein ander holtzen kistgen eingepackt werden, damitt nichts verbrochen werde, den die stein brechen wie glaß. Gott weiß, wer mir den cathegismus geschickt; den der brieff ist nicht unterschrieben.[8] Ich bilde mir ein, es kompt von Langallerie, aber mich deücht, daß es nicht woll besonnen ist; den waß kan man beßers haben, alß den heydelbergischen cathegisemus? Wan man 63 jahr alt ist, muß man in seiner religion gewiß sein. Ich halts mitt sanct Paullus, der nicht will, daß man weder paulisch, noch kephisch sein solle, sondern Christen[9]; das will ich auch, so viel mir möglich sein wirdt, undt darauff leben undt sterben durch gottes gnade. Je mehr in[10] von Englandt höre, je mehr wünsch ich, daß Ihr undt der könig undt die printzes selbsten auß Engellandt wehret. Nichts matt mehr ab, alß der verdruß, ich weiß es gar zu woll. So chagrin, grittlich undt unlustig ich auch bin, so muß ich gestehen, daß ich haben lachen müßen, daß Ihr Eüch zur wehr stellen wolt. Gott bewahr Eüch alle! die sach ist gar nicht lächerlich. Abbé Hortance hatt mir alle seine vers geschickt; die lateinische hatt man hir vor gutt, aber die frantzoschen haben den rechten tour nicht. Aber man muß es dem gutten man nicht sagen; den alles ist gutt gemeint. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwortet; bleibt mir nur überig, Eüch eine glückseelige nacht zu wünschen undt daß Eüch gott vor allem übel gnädig bewahren möge. So lang ich lebe, werde ich Eüch von hertzen lieb behalten.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 29. Oktober 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 660–662
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0739.html
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