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Brief vom 14. November 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


744.


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Paris den 14 November 1715.
Hertzallerliebe Louisse, ich habe Eüch vergangen freytag die ursachen geschrieben, warumb ich selbige post nicht auff Ewer liebes schreiben vom 4 November / 24 October geantwortet habe; drumb will ich nichts darauff sagen. Ich fange heütte ahn, da ich noch ein stündtgen in mein cammer zu sein habe. Ich schreibe Eüch heütte mitt einer halben lahmen handt. Vor 3 tagen nachts im bett wolte ich mich herumbthrehen, tindt wie ich alt undt schwer bin, kan ich mich nicht wie vor dießem in einem stück herumbthrehen, muß mich erst auff die knie setzen undt so threhen; wie ich mich aber auff der faust auffhelffen wolte, glitscht mir die faust auß. Ich glaube, ich habe ein nerff verrengt, den ich habe gleich großen schmertzen entpfunden undt daß geleich[1] von der faust ist gleich geschwollen undt finde schmertzen, wen ich die handt bige; aber im schreiben fühle ich nichts. Ich kan ohnmöglich dawern, ohne etwaß zu thun, sonsten fallen mir alle mein unglück undt verlust ein, also daß ich recht trawerig werde. Drumb erlaubt man mir, zu schreiben, wen ich zur ader gelaßen habe, insonderheit weillen man mir nur allezeit ahn den lincken arm zu ader lest (der rechten arm ist zu schwer zu laßen); also secht Ihr woll, liebe Louisse, daß ich Eüch ohne gefahr habe schreiben können. Gutt blutt zu machen, ist gar schwer hir, den ahn allen ecken findt man verdrießlichkeitten undt nie nichts lustiges, noch ahngenehmes. Alles, waß man nur thun kan, ist, distraction zu suchen, umb nicht ahn trawerige sachen zu gedencken. Ey, liebe Louisse, halt Ihr mich vor ein kindt, dem man etwaß verhehlen muß? Daß würde ich nicht apropiren; den habe ich nicht lang genung gelebt, umb zu wißen, wie man sein parthey in alles nehmen muß undt von gottes handt ahnnehmen, waß er unß schickt? Daß verhehlen kan ich vor meinen todt nicht leyden. Es macht die leütte daher gehen wie naren; alle menschen wißen, waß ihnen ahngeht, undt sie selber nicht; daß ist mein sach gar nicht, ich würde es niemandts gutt heißen. Ob man zwar die sachen nicht endern kan, muß man doch alles wißen, wens auch nur were, umb nichts überzwergs im discours vorzubringen, wie offt geschicht, wen man die sachen nicht [669] weiß, undt darnach passirt man vor sot undt alle leütte lachen einem auß. Salomon sagt: Alles hatt seine zeit[2], unruhig sein hatt ebensowoll seine zeit, alß ruhig sein. Drumb muß man sich drin ergeben, lieb Louisse! Aber umb von waß anderst zu reden, ich kan nicht glauben, daß der duc d’Argile trewe ist, weillen er die rebellen so hatt durchgehen laßen.[3] Ich glaube, daß nun noch viel dem könig Görgen untrew werden sollen, nun der chevallier de St Georgen in Schottlandt sein wirdt. Man hatt mir dießen abendt verzehlt, wie er durchgangen. Er war zu Comerscie[4] bey dem printz de Veaudemont[5] undt jagte den hirsch; nach der jagt gab er ihnen ein retour de chasse[6], sie wahren ahn taffel biß umb 4 nach mitternacht. Wie er in seine cammer kam, sagte er, er ging zu spät schlaffen, umb frühe auffzustehen, man solte ihn nur biß umb zwey uhr nachmittags schlaffen laßen. Wie seine leütte umb 2 uhr kammen, ihn auffzuwecken, funden sie nichts im bett; sie erschracken, lieffen zum printz de Veaudemont. Der stelte sich, alß wen er nichts wüste; sagte, man müste den chevallier de St George suchen. Nachdem man ihn eine stundt überall gesucht undt nicht funden, sagte der printz de Veaudemont: Last unß zu mittag eßen! den alle zugbrücken seindt auffgezogen, niemandt kan vor 3 tagen auß dießem schloß. So ist der chevallier de St George fortkommen incognito in Bretagnien. Da hatt er alß ein reißender ein fischerschiff genohmen, daß hatt ihn in die see zu einen großes schottisch schiff geführt, worinen viel schottische herrn wahren, so mitt ihm nach Schottlandt sein. Gutte nacht, liebe Louisse! Morgen ein mehrers, so stirb ich dieße nacht nicht, wie jungfer Colb alß pflegt zu sagen. Mylord Petterbourourg[7] halt ich vor einen dollen undt gefahrlichen narren.
Freytag, den 15 November, umb 9 morgendts.
Da komme ich wieder daher mitt meiner verstaugten handt, die mir noch gar wehe thut; aber im schreiben fühle ich nichts, den wie ich die handt im schreiben halte, thut sie mir ahm wenigsten wehe. Ich komme wider auff Ewer wehrtes schreiben, liebe [670] Louisse! Ich glaube nicht, daß in der gantzen welt dollere köpffe sein, alß die Engländer. Ich wolte, daß könig Jörgen nie in daß landt kommen wehre. Die Engländer müßen nicht so verpicht auff ihrer religion sein, alß Ihr woll gemeint habt, liebe Louisse, weillen sowoll Reformirten alß Catholische dießen jungen könig wider beruffen undt geholt haben. Waß wirdt aber auß dießem allem werden? Es ist mir bang vor beyde. König Jorgen ist ma tante, unßer lieben churfürstin, sohn, welches mich mehr touchirt, alß daß er mein geschwister-kindt ist; der ander ist mein ander-geschwister-kindt undt er ist der beste mensch von der welt; er undt die königin, sein fraw mutter, haben mir hir allezeit alle freündtschafft erwießen in allen occassionen, kan sie also ohnmöglich haßen, ist mir also bang vor beyde. Die englische rechte seindt nicht gegen die catholische könige, sonsten würden sie könig Jacobus sambt seiner königin, so ja beyde catholisch wahren, nicht gecrönt noch gelitten haben. Er ist doch ja ein par jahr ihr rechtmäßiger könig geweßen, weillen ihm die cron rechtmäßiger weiß zukame, da der könig, sein herr bruder, ohne erben gestorben war undt weder printz noch printzessin verlaßen. Unßer könig Jorgen ist nicht desto weniger auch ein rechtmäßiger könig, weillen er von allen den volckern gewehlt undt gecrönet worden. Beyde könige seindt zu beklagen, mitt einer solchen bößen undt falschen nation zu thun zu haben, die selber nicht wißen, waß sie eygendtlich wollen, undt allezeit den wollen, [den] sie nicht haben. Gott erhalte die liebe printzes von Wallis! Alle weiber, so ich gesehen, so ihre zeit nebenst schwangersein gehabt, haben alle buben bekommen; hoffe also, daß I. L. auch eines printzen geneßen werden. Wie Ewer Schwager mitt Eüch lebt, meritirt er nicht, daß Ihr Eüch ferner mitt seinen affairen quellet, wie Ihr bißher gethan habt; den Eüch ohne den geringsten danck noch erkandtnuß allezeit zu plagen, ist Eüch, liebe Louisse, nicht zu rahten. Ich habe lengst gehört, daß er sich durch ein mensch regiren lest, mitt welcher er kinder hatt; daß benimbt ihm alle lieb vor seine rechte kinder undt da ist kein raht zu. Mich deücht, weillen er sich so durch das mensch regiren lest, so müste man suchen, das mensch zu gewinen oder bang zu machen. Ohne daß hettet Ihr noch in der welt genung zu leyden; erstlich so seydt Ihr die gesündtste nicht, leydt also offt in dießem stück, zum andern so erweist Eüch [671] Churpfaltz auch ungerechtigkeit genung, umb in dießem auch zu leyden, also gar nicht nohtig, daß Ihr mehr leydt, liebe Louise! Mitt Ewere freündtschafft vor Ewere verwanten folgt Ihr die frantzösche regle nicht, so sagt: Charité bien ordonnée commance par soy mesme. Der printzes von Walis letztes schreiben habe ich nicht entpfangen, wie ich schon vergangen dinstag gesagt habe. Ich muß noch einmahl sagen, daß die Engländer woll falsche leütte sein, auff königs Görgen crönungtag sich so erfreüet zu stellen in der zeit, daß sie ihren jungen könig hollen laßen. Ewer pulver undt bley ist nicht lacherlich mehr, es wirdt zu serieux. Gestern habe ich selber mitt monsieur d’Argenson gesprochen. Seyder einem jahr, daß Cardel auß der Bastillen, wißen weder seine verwanten hir, noch niemandts, wo er hinkommen ist.[8] Er ist nicht außzuforschen, er ist gar gewiß seyder ein jahr nicht mehr in keinem gefängnuß; wo er aber ist, mag gott wißen, niemandts hir weiß es. Ich erinere mich deß Cantilli von Manheim gar nicht, er muß nach meiner zeit nach Manheim kommen sein; den es ist leyder jetzt schon 44 jahr, daß ich von Manheim weg bin. Die klacken in Ewerm lieben schreiben haben nicht verhindert, Ewer liebes schreiben zu leßen, wie Ihr secht durch meine exacte andtwort, bedörffen also keiner excusse, liebe Louise! Wir haben gar nichts neües hir, so schreibwürdiges ist, muß also schließen. Dießer briff ist auch vor dießmahl lang genung, umb ein endt dran zu machen undt Eüch, liebe Louise, nur zu versichern, daß ich Eüch all mein leben von hertzen lieb behalten werde.
P. S.
Ich muß noch sagen, daß es woll ungerecht ist, daß mylord Stairs meinen sohn beschuldigt, ahn deß königs in Engellandts flucht part zu haben. Wie kan er wißen, waß zu Comersie vorgeht, undt sobaldt der chevallie[r] de St George incognito durch Bretanien, wie kan mein sohn rahten, daß er dort ist? Man hatt ihm die sach erst 8 tag hernach gesagt; wie er hingeschickt, war alles schon gethan.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 14. November 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 668–671
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0744.html
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