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Brief vom 27. Dezember 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


753.


[688]
Paris den 27 December 1715.
Hertzallerliebe Louise, ich glaube, ich habe Eüch vor 8 tagen einen ungeschifferten kleinen ungeschifferten brieff geschrieben ahnstatt den großen, so ich versprochen hatte; aber es ist warlich meine schuldt gar nicht, undt wen Ihr, liebe Louisse, sehen soltet, wie man in dießem Paris geplagt wirdt (hette schir auff gut Heydelbergisch geheüt gesagt[1], so soltet Ihr Eüch mehr verwundern, daß [689] ich Eüch noch etlichmahl schreiben kan, alß daß ich nicht schreibe. In dießem fall ist kein ort in der welt so verdrießlich, alß Paris; den man fengt so baldt etwaß ahn, so kompt eine hindernuß dazwischen, undt man muß allezeit unterlaßen, waß man will, undt thun, waß man nicht will. Ich habe da 6 Ewerer lieben schreiben. Gott weiß, wen ich sie werde beantwortten können; werde doch mein bestes thun, fange bey dem [an], so ich gestern abendts entpfangen, alß ich auß der kirch kam. Es geschahe waß, so mir leydt war; ich muste doch drüber lachen. Eine abtißin, eine dame von qualitet, so deß verstorbenen ertzbischoffs von Paris niepce undt zur zeit, wie ich noch ins Port-royal ginge [zu] madame de Beuveron[2], war sie dort abtißin, nun ist sie abtißin a l’abaye au bois, die hatt mich, so lang wir hir sein, gebetten, zu ihr zu komen, undt ich hatte ihr versprochen, sie noch vor deß endt deß jahrs [zu besuchen]. Ich fuhr also gestern hin undt weillen die vesper undt salut dort heben, den es war gestern der zweyte Christ[t]ag. Wie alle gebetter auß wahren, gab die abtißin mir eine colation von lautter confituren; ich nahm nur ein pome d’abis[3], umb die colation nicht zu verschmähen; ich eße nicht zwischen der mahlzeit. Es war viel popelvolck ins closter gedrungen. Sobaldt ich den rücken gewendt, umb in ein ander ort zu gehen, wurff sich der pöpel auff die colation undt plünderten sie die colation. Die armme abtißin wolte vor mich eine schönne große taffel von martzepan sparen; daß verdroß dem pöpel, sie worffen sich auff die arme dame undt schlugen sie gottsjämerlich. Also ist, wie Ihr segt, dieße so lang verlangte vissitte bitter übel abgeloffen. So gehts in der weldt; waß man offt ahm meisten wünscht, schlegt einem ahm übelsten auß. Nun komme ich auff Ewer liebes schreiben, muß nur daß noch vorher sagen, daß ich außer daß gesterige die andern schir alle zwey undt zwey entpfangen, daß aber, wobey ich meine andtwort ahnfange, ist vom 8/19 dießes monts; sehe, daß man Eüch die meinigen auch zwey undt zwey auff einmahl gibt. Ich bilde mir ein, daß die see schuldig dran ist; den ich habe vor zwey tagen briff von monsieur Harling von Hannover bekommen, der schreibt, sie hetten keine brieff auß Engelandt haben können, der sturm were zu groß geweßen auff dem meer. Hertzliebe Louisse, daß wir gern schreiben undt zeittungen von [690] einander haben, ist gantz kein wunder; wir haben einander lieb undt seindt ja einander nahe genung, umb unß lieb zu haben. Aber daß Ihr etwaß zu admiriren in meinen brieffen finden wolt, daß pretendire ich gar nicht; den ich weiß leyder woll, daß nichts zu pretendiren in meinen schreiben ist, daß man admiriren solte. Daß man die fehler entschuldiget, ist alles, waß ich zu hoffen habe; hoffe undt wünsche, daß es die printzes von Wallis auch thun möge. Den in 30 seyten kan es nicht anderst sein, es müßen sich viel fehler finden, undt man lest mir die zeit nicht, meine brieffe zu überleßen; den vom morgen ahn, daß ich mich ahn mein nachttuch setze undt mich kämmen laße, biß daß ich mich nachts außziehe, habe ich allezeit leütte. Zu Versaillen hatte ich noch etliche stunden ruhe, aber aber hir lautter contretemps. Ich will hir nichts mehr versprechen, den ich kan nicht sicher sein, mein wort zu halten; nur sagen, daß ich thun werde, waß mir moglich sein wirdt. Ich meritire die gütte, so die printzes von Wallis vor mich hatt, durch die sentiementen, so ich vor I. L. habe. Ach, mein gott, liebe Louise, nun ich höre, daß die printzes, waß mir nicht gefehlt, von Hannover noch hatt, muß unßere liebe churfürstin s. es I. L. gesagt [haben]; den sie habens gewust, ehe ich es selber geschrieben hatten[4], undt mi[c]h darnach gefragt. Wolte gott, ich hette fest versichern können, daß es nicht war wäre! Wir müßen vielleicht einander nicht recht verstehen; waß ich verstehe, ist keine gewohnheit, den passionen seindt waß stärckers, alß gewohnheitten, undt stellen auch mehr unheil ahn; aber es macht einem daß leben sauer undt müde. Der hertzog von Württenberg, so hir ist, hatt mir gestern sawerkrautt geschickt; seyder ich auß der Pfaltz bin, hab ich kein beßers geßen, aber ein teütscher koch hatte es zugericht. Es were unnöhtig, sauerkrautt herzuschicken, es kan kein koch in gantz Franckreich sauerkraut recht kochen[5]; dancke Eüch doch vor Ewern gutten willen. Bretzellen seindt nicht zu schicken; es ist etwaß rares hir, man hatt keine hir im landt, sie wißen nicht, waß es ist.[6] Die englische ragoust schmecken mir taußendtmahl beßer, alß alle frantzösche; die kan ich gar nicht leyden. Sie machen so starcke jus drin, daß sie so versaltzen, daß alle eßen bitter davon werden, undt ich eße gar nicht gern weder starck [691] gesaltzen noch bitter, undt alle Frantzoßen schlecken die finger darnach. Ich bin persuadirt, daß die art eßen unßerm Dauphin undt seinen 2 söhnen daß leben verkürtzt haben[7]; ich haben es ihnen offt gesagt, allein sie haben mich außgelacht undt nicht glauben wollen. Ewer schwager ist von gutter race, umb alt zu werden; sein herr vatter hatt auch gar lang gelebt. Von supen werde ich nicht lang leben, ich eße mein leben keine undt kan noch weniger fleischbrüh vertragen.[8] Die pomade divine, die ich brauche, ist eben dieselbe, so alle die vom hauß Duras haben, der contesse de Roye ihre schwester, so meine dame d’atour war undt madame de Durafort[9] hieße. Die zukünfftige post werde ich Eüch davon schicken. A propo von der comtesse de Roye, ihr sohn, der chevallie[r] de Roye, der deß duc de Bery capitaine geweßen undt jetzt der duchesse de Berry capitaine des gardes, deßen heurahtscontract habe ich heütte unterschrieben; er nimbt ein gantz gemein mensch von leütten, so in den affairen gewest ist undt Pronte heist. Er bekompt ein million mitt seiner frawen[10]; aber wer ich wer wie[11], so wolte ich mich vor eine million nicht so encanielliren[12]; den er ist von gar großen undt gutten hauß. Man hatt hir wenigere exempel, daß weibsleütte sich mesalliren, alß mansleütte. Waß desto mehr ahn mademoiselle de Choiseül zu verwundern war, ist, daß, wie sie in der that von gar gutten hauß ist, so war sie so stoltz undt verachte alle andere leütte; niemandts war vom gutten hauß genung, mitt ihr umbzugehen, undt alle der hoffart endigt mitt dem heüraht vom gärtner Grandcolas, mitt welchem sie hungers sterben wirdt; daß wirdt daß endt vom liedt sein.[13] Wer die avanture von der [692] damen mitt der[14] laquayen hir geschehen, würde der laquay, ahnstatt gelt zu geben, gehengt worden sein. Daß der chevallier de St George keinen fuß in St Germain gesetzt hatt [ist sicher]; aber wo er ist, mag gott wißen.[15] Mein gott, man kan noch nicht schwehren, daß dießer herr nicht wider auff seinen thron [kommt]; den die herrn Engländer seindt unbestandige leütte. Ahn mylord Mar[16] kan sich der könig in Engellandt nicht vertrawen, weillen er schon so offt zum schelmen geworden ist. Mylord Stairs ist meiner meinung; seine fraw jammert mich, den livert man ihn durch die officirer, so wirdt er woll dran müßen. Die den brieff, so Ihr gemeint, mir geschickt zu haben, habe ich nicht in Ewerm paquet gefunden. Hir habe ich kein wordt davon gehört, daß die rebellen ahn meinen sohn sollen geschrieben haben. Wie er gestern hir war, hatte ich Ewer paquet noch nicht, undt heütte habe ich ihn noch nicht zu sehen [bekommen]; sobaldt er kommen wirdt, [werde] ichs ihm fragen. Aber waß ich woll gewiß weiß, ist, daß mein sohn, wofern es war ist, entwetter den brieff nicht ahngenohmen, oder doch nicht nach gefahlen wirdt geantwortet haben; den ich kan Eüch mitt warheit versichern, daß er von hertzen vor seinem oncle a la mode de Bretagne[17], den könig Jörgen, ist. In dießem augenblick kompt man, mir sagen, daß vor ein halb stundt einer (man weiß nicht, wer er ist) durch den gartten gangen mitt einen schönnen demanten ring. Die filoux haben ihn im gartten gefolgt, haben ihm ein masque von pech vor daß maul geschlagen undt haben ihm seinen ring, eine goltene uhr undt 14 pistollen genohmen. Die mode von dem masque mitt pech ist etwaß neües. Doch ich bitte, wen Ihr wißen werdet, waß man mitt mylord Mar thun wirdt, mir es zu berichten. Wer einen thewern eydt [gebrochen], den kan man sein leben in nichts trawen. Ich sehe nicht, warumb es ohnmoglich solte [sein] , daß ein lutherischer churfürst keyßer solte werden. Da kompt mein sohn herrein. Es ist war, daß die rebellen ihm einen abgeorten geschickt mitt einem brieff; er hatt [693] sie aber wider zurückgeschickt, ohne weder sie, noch ihren brieff zu [empfangen][18]; leüfft also eine andtwort in Londren, ist sie falsch, daß könt Ihr kecklich versichern. Ich glaube nicht, daß der chevallier de St George von religion endern [wird]; aber solte es sein, so wirdt es eher auß müdigkeit sein von der erschrecklichen devotion; man muß vor nichts in dießer weldt schweren. König Jörgen ist nun nicht ahn dem, keyßer zu werden. Wen nichts anderst mehr dran fehlen solte, alß die religion, würde er sich vielleicht erinern, waß sein herr vatter oncle s. denen gerahten hatt, so sich in solchen ambaras gefunden. Ohne ursachen zu endern, daß kan l’honeur engagiren, aber durch gutte ursachen, daß lest man gelten. Diß jahr ist nicht glücklich, ins kindtbett kommen. Ich weiß viel weiber, denen es gar übel bekommen ist. Es ist leyder nicht war, daß Churbayern ahn meine enckel denckt. Madame d’Orleans hatt secks döchter gehabt.[19] Die erste ist gantz jung gestorben, kein 2 jahr alt worden, die zweytte ist die duchesse de Bery, die 3te ist 17 jahr alt, man heist sie mademoiselle de Chartre; daß ist die, so none will werden, die ist die hübschte von gesicht undt taille; die 4te heist man mademoiselle de Vallois, die ist dießen October 15 jahr alt worden; hernach ist der duc de Chartre, so 12 jahr im Augusti geworden, hernach hernach ist mademoiselle de Monpensie[20], so in einem closter bey Beauvais ist, die ist den 11 dießes monts 6 jahr alt worden. Wir haben noch eine hir, so mademoiselle de Beaugelois [heißt][21], so ein jahr alt ist; undt madame la duchesse d’Orleans ist wider schwanger. Man hatt sein leben nicht gedacht, mademoiselle de Chartre ahn den chevallier de St George zu geben; aber es ist war, daß das geschr[e]y davon gegangen, aber die interessirten haben nie dran gedacht. Daß mein hertzog von Lotheringen Flandern hatt, ist ebensowenig war; den were es, hetten sie es mir woll bericht, glaube ich. Man rufft mich zur taffel, nach dem eßen werde ich dießen brieff gantz außschreiben.
Freytag, den 26 December[22], umb 10 undt ein viertel.
In dießem augenblick komme ich von taffel, liebe Louisse, fahre fort, zu andtwortten. Man sucht nach, ob es nöhtig ist, daß der hertzog seinen aydt vom hertzogthum Bar verneüen muß, so [694] ein lehen ist. Muß er es verneüen, so werden der hertzog undt mein dochter komen; wo nicht, so bleiben sie zu Nancie; aber keine vissitten werden sie unß geben. So baldt konte ich nicht nach Lotheringen. Man ist mir jetzunder 500 m. ℔ schuldig, kan also nicht weit springen, wie Ihr woll secht undt leicht glauben könt. Von hertzen gern wolte ich, liebe Louisse, daß ich Eüch sehen undt ambrassiren könte. Ich schicke Eüch hirbey die attestation von monsieur d’Argenson mitt ihrer eygenen handt, wie auch die von monsieur de Barneville[23], den ich gar woll kene undt welcher gouverneur de la Bastillen ist.[24] Dadurch werdt Ihr sehen, daß Cardel gar gewiß todt ist. Ich hatte gehofft, auff noch eines von Ewern lieben schreiben zu andtworden; allein eine gar lange vissitte von madame la duchesse undt 2 von ihren dochtern hatt mich den gantzen abendt auffgehalten. Will doch noch auff zwey in aller eyll andtworten, den ich muß auch noch ahn mein dochter dießen abendt schreiben. Fontaine hatt mir Ewer liebes schreiben gebracht. Ich habe ihm gleich eine liste machen laßen von allen den tapissirer, so die allerbesten undt neüesten moden haben. Daß findt sich nicht bey mir, ich habe weder bett noch meublen; zu Versaille hatt ich die vom könig undt zu St Clou undt hir die von meinem sohn; ging ich nach Montargis, würde man mir schaffen müßen, so mein eygen sein solten, aber nun habe [ich] keinen andern stuhl, so mein, alß den von ma tante arbeydt undt der von mein nacht undt den, wo ich jetzt auff sitze. Aber seydt in keinen sorgen! Ihr könt monsieur Harenberg[25] versichern, daß ich dießen jungen menschen woll adressirt habe, umb die neüsten moden zu lehrnen. Ewer compliment ist gantz ohnnohtig hirüber. Bin ich den nicht allezeit fro, wen ich jemandts von Hannover sehen? Hiemitt ist dießes schreiben mitt Fontaine gantz beantwortet. Ich komme auff daß vom 1/12 December. Es freüet mich recht, darauß zu vernehmen, [daß] mein so gar langes schreiben der printzes von Wallis nicht unahngenehm geweßen. Ihr habt woll die minen, liebe Louisse, Ewerer niepce kindtbett noch abzuwartten, ehe Ihr wider in unßer gelobtes landt geht. Mich deücht, es ist nun kein wetter mehr, auff dem landt zu sein, insonderheit [695] vor einem alten herrn, wie Ewer schwager ist. Wehret Ihr auß Engellandt geblieben, hettet Ihr Eüch viel chagrin erspart, liebe Louisse! drumb habe ich so sehr gebetten, nicht hinzureißen. Sich gott zu ergeben, ist alles, waß man ahm besten in allen sachen thun kan; wünsche doch von hertzen, daß Eüch der allmächtige trost undt freüde vor Ewerm abreiße geben möge. Es ist billiger, daß Ewere niepce vor ihrem man spricht, alß Ihr. Ahn allen hoffen geht es nie anderst, alß die minister wollen. Es ist war, daß, wie der pretendent auß Lotheringen weg ist, daß er im habit von einem abbé herumbgezogen; wie er aber nun gekleydt ist, weiß niemandts, noch wo er ist. Ich bin, gott seye danck, in volkommener gesundtheit, so lang es wehren mag; in meinem alter geht es nicht so lehr ab. Vor alle gutte wünsche dancke ich von hertzen, wünsche Eüch hergegen alles, waß Ewer hertz wünscht undt begehrt, undt eine gutte gesundtheit undt behalte Eüch all mein leben von hertzen lieb, liebe Louisse!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 27. Dezember 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 688–695
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0753.html
Änderungsstand:
Tintenfass