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Brief vom 23. Oktober 1717

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


859.


[109]
St Clou den 23 October 1717, umb halb 7 abendts (N. 15).
Hertzallerliebe Louise, vorgestern habe ich, alß ich zu Paris war, Ewer liebes schreiben von no 20, den 9 October, zu recht [entpfangen], dancke Euch vor die gazetten. Heütte, ob der tag zwar gar schon geweßen, habe ich ihn doch gar verdrießlich gefunden; den ich habe weder außgehen, noch außfahren können undt man hatt mir ein bitter böß frühstück heütte umb halb 8 geben, nehmblich eine große supenschahl gantz voller mana undt sel vegetal, daß macht die mana schwartz wie pech undt gibt einen gar widerlichen geschmack. Es schaudert mir noch, dran zu gedencken, habe 2 stundt lang gemeint, daß ich mich übergeben würde; aber es [ist] woll abgangen undt bin 12 mahl gangen von der medecin undt einmahl vor der medecin in der gewohnlichen stundt. Die 13 zimbliche starcke mahl haben mich ein wenig abgematt, aber ich hoffe doch, dießen abendt noch auff Ewer liebes schreiben zu andtworten; den ich muß allezeit etwaß thun. Ich lieb daß spiel nicht undt kan auch kein spiel recht, undt leßen bey dem licht ist den augen schädtlicher, alß daß schreiben; den er[1] fordert mehr aplication. Daß were eine schönne sach, liebe Louisse, wen man sich nur vor deren gesundtheit interessiren solte, welche einem nützlich sein; wo bleibt den, waß gutte gemühter vermögen, undt waß freündt undt verwandten gebührt? Unßer hergott hatt mich nicht laßen interessirt auff die weldt [kommen] undt ich glaube, daß, wen ich[s] geweßen were, hette ichs hir verlehrnt; den es ist mir einen solchen widerwillen vor die interessirte gemühter, so ich hir sehe, das es mich vor ewig würde corigirt haben; den nichts in meinem sin ist unahngenehmer, alß einen so gar lästerigen geitz zu sehen. Ich bin froh, liebe Louisse, daß Eüch meine sorgen vor Ewere gesundtheit so gar ahngenehm geweßen; aber wen ihr davor alle mahl dancken wolt, wen ich in sorgen vor Ewere gesundtheit sein werde, liebe Louisse, so mögt Ihr nur so offt dancksagun[g]en bereydt halten, alß Ihr Eüch übel befinden werdet. Wen man über 25[2] jahren ist, kommen die kräfften nicht so baldt wider. Dieße experientz weiß [110] ich nur zu woll. Liebe Louisse, weillen Ihr, gott lob, wider woll schlafft, werdt Ihr doch baldt couriren. Ich wolte, daß Ihr lustigere reißen thet, alß bey einer graffin, so man undt sohn verlohren, da muß alles gar trawerig sein. Dieße graffin muß deß graff Allefeldt[3] dochter sein, so alß abgesandter von Denemarck nach Heydelberg kam, undt deßen schwester, so deß königs in Denemarcks hoffmeister geweßen. Aber da bringt man mir mein nachteßen, welches heütte kein salat sein wirdt, sondern nur ein gebacken ey. Morgen werde ich dießen brieff außschreiben. Waß mich auffgehalten, ist, daß ich madame de Chasteautier[4] mitt Wendt undt Colins,[5] mein erster haußhoffmeister, habe lombre spiellen sehen.
Sontag den 24 October, umb halb 8 morgendts.
Ich kan heütte ohne scrupel früh schreiben; den ich bin gestern umb 10 in mein bett. Ich war matt undt müdt von der purgatztion undt jetzt bin ich müde, so lang im bett gelegen zu haben; ich bins nicht gewont, habe seyder 5 uhr ohnmöglich schlaffen können. Ich komme aber auff Ewern lieben brieff. Wir wahren ahn die graffin von Solms. Waß war ihr herr ahn dem graffen von Solms-Braunfels, der so naher vetter von konig Wilhelm war? Ist dießer nicht zum fürsten geworden, ehe er gestorben? Unßer graff von Nassau-Sarbrücken, nicht der itzige, so so tölpelhafftig ist, sondern sein herr bruder, den unßer könig so estimirt hatt, der sagt, er wer der falschte mensch von der welt geweßen; daß hatt mich wunder genohmen, den ich hatte [ihn] allezeit vor gar einen gutten, ehrlichen menschen gehalten. Es kan kein mensch keine stiege mehr steigen, ich höre hir jung undt alten sich drüber beschwehren; es ist etwaß auff alle bein gefahlen, so sie schwach macht. Vor dießem wahren alle bein beßer, daß sicht man noch ahn alle alte stiegen, so so hoche staffeln haben; hetten unßere forfahren böße knie undt schenckel gehabt, wie man nun hatt, hetten sie sie gemächlicher machen laßen. Wie von Eüch höre, so gibt Eüch Ewer zu-fett-sein keinen kurtzen ahtem, aber der hüsten benimbt den ahtem sehr. Freylich entpfandt[6] man den chagrin, so man außgestanden, undt daß ist ein rechtes gifft. Ich weiß, waß es ist, bin offt durch dieße brell gangen, fühle es jetzt [111] in meinen alten tagen. Die fraw von Rotzenhaussen hatt daß grieß, es gehen kleine steinger von ihr, sie hast aber daß brauchen nicht, kan wüstereyen schlucken, so ich nicht begreiffen kan. Vor 3 jahren nahme sie einen rohten tranck, so man durchs gantze cabinet zu Versaille roch; sie machte nicht einmahl eine grimace, daß kan ich nicht begreiffen. Die Rotzenheusserin hast die remedien nicht; den so baldt sie von einem hört, so etwaß neües ist, hatt sie lust, es zu versuchen. So bin ich gar nicht, habe mühe, mich zu resolviren, wen ich etwaß bekandtes nehmen muß, will geschweigen den etwaß frembts. Wen ich nicht zur ader gelaßen, kan ich alle gutten geruch woll leyden, aber so baldt ich ader laße, wirdt mir der kopff schwach undt kan gar kein parfüm leyden. Civet[7] ist noch unahnge[neh]mehr in meinem sin, alß bißem. Wir werden heütte unßer großhertzogin wieder hir haben, mögte woll umb halb 1 hir [sein], umb gleich nach dem eßen landtsknecht zu spillen, welches ihr passion dominante ist. Alle frantzosche weiber spiellen gern; ich liebe daß spiellen gantz undt gar nicht mehr, aber lombre sehe ich gern spiellen, ziehe die cartten. In Franckreich undt Englandt seindt die mylords undt ducs so übermäßig stoltz, daß sie meinen, sie seyen über alles, undt ließ man sie gewehren, so würden sie sich beßer düncken, alß die prince du sang, undt die meisten seindt nicht einmahl edelleütte.[8] Ich habe einmahl einen von dießen duc braff bescheyden, er stehlte sich ahns königs taffel vor den printz von 2brücken: ich sagte überlautt: D’où vient que monsieur le duc de St Simon presse tant le prince de Deuxpont? a-t-il envie de le prier de prendre un de ces[9] fils pour page? Alle menschen fingen so ahn zu lachen, daß er weggehen muste.[10] Es wehre mir [112] leidt geweßen, wen die churfürstin zu Pfaltz herkommen were. Wen man so ungerechte sachen hört, wirdt man gantz ungedultig. In Teütschlandt ist man gar zu hofflich; den, wen ich dencke, daß der Boisjolis mitt I. G. s. unßer herr vatter undt mitt mir geßen undt ist nur ein fourier geweßen von der königin hauß, welcher mitt keiner von der königin damen geßen hette. Seine dochter hatt ein hautbois von deß königs musiq geheüraht undt welcher gar kein edelman pretendirt zu sein, sie wohnen zu Fontainebleau, kammen alle tag dort zu mir; der dochter man heist Philidor. Daß avillirt die churfürsten, wen sie mitt so geringen leütten eßen, die kommen dan undt berühmen sich hier. Mylord Peterbouroug hatt nicht gleich auß der gefengnuß gewolt,[11] will reparation haben vor den affront, so man ihm ahngethan. Were ich in einem gefangnuß undt man gebe mir meine freyheit wider, ging ich geschwindt herrauß, sagte hernach, waß ich zu sagen hette; aber in der gefangnuß bliebe ich kein augenblick lenger. Dießer mylord ist ein poßirlicher nar; ich glaube, er wolte lieber sterben, alß sich zu enthalten, waß überzwergs zu sagen undt vor boßhafftig zu passiren machen die, so er nicht leyden kan. Er solle die printzes von Wallis lieb haben undt gern auffwarten, aber den printzen nicht leyden können. Der jetzige churfürst, wo mir recht ist, ich will sagen Churpfaltz, ist jünger, alß der Pfaltzgraff von Sultzbach. Ich werde gleich in dem buch daß jetzt lebende Europa sehen, wie viel jahr Churpfaltz junger ist; es ist nur 2 jahr, den der Pfaltzgraff von Sultzbach ist anno 49 gebohren undt der churfürst anno 1661; also wirdt es ein hazard sein, wer den andern überlebt, undt hatt der [113] Pfaltzgraff recht, nicht am churfürstenthum zu renonciren. Ich habe sein herr vatter hir in Franckreich gesehen, er war abscheülich heßlich undt stank gotserbarmlich, man roch ihn von der thur ahn. Nein, ich erinere mich jetzt, daß ich mich betrige, es war nicht der Pfaltzgraff von Sultzbach, es war der von Lützelstein, deß printz von 2brücken schwiger herr vatter (den andern, glaube ich, habe ich nicht gesehen); er sahe auß, daß ich mich davor schämbte, trug eine colette[12] wie ein dorffpfaff undt einen mantel über ein justeaucor,[13] hatte dabey einen altfranckischen rabat[14] ahn. Das Ostereichisch ist eine widerliche sprach in meinem sin. Ich finde, daß Churpfaltz woll thut, seinem erben gelt zu entlehnen, daß wirdt mitt der zeit alles wider zu der chur kommen. Die Pfaltzgraffin von Sultzbach lest die keyßerin über ihre kinder gewehren, die hatt dem jüngsten printzen von Sultzbach, so in Lotheringen ist, einen rechten quintischen[15] nahren zum hoffmeister geben, daß macht mein dochter gantz ungedultig. Daß man alle mussicanten von Dusseldorf nach Neüburg geschickt, ist ein zeichen, daß Churpfaltz noch lang nicht in die Pfaltz kommen wirdt. Ordinnarie stehlen leütte von hoff solche divertissementen ahn, umb dran zu gewinen; den interesse findt sich überall. Ihr thut woll, kein zeit zu verliehren zu solicittiren, den wen [man] nicht daß seinige fordert, bekompt man nichts. Seyder 6 tagen haben wir das schönste wetter von der welt hir gehabt, heütte aber ist ein gar starker nebel, daß man nicht weitter, alß die lenge vom hoff, vor sich sehen kan. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben völlig beantwortet undt wir haben nicht daß geringste neües hir, muß also hiemitt schließen undt nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch von hertzen lieb habe undt behalte[n] werde, so lang ich lebe.
Sontag umb 6 abendts.
Mein sohn ist eben wider weg gefahren, undt ehe er kommen, habe ich Ewer lieben brieff vom 12 entpfangen, no 21, mitt den 2 schachteln, wovor ich Eüch sehr dancke, liebe Louisse! Wen alles beysammen wirdt sein, werde ich der fraw von Ratzamshaußen [114] den Louis d’or geben, wie Ihr es wünscht. Heütte werde ich ohnmoglich auff dießen letzten brieff andtwortten können, werde ihn vor donnerstag sparen; den ich muß jetzt ahn meine dochter schreiben, auch ist, wie mich deücht, dieß brieffgen lang genung. Der printz von Württenberg ist ein artiger, woll gezogener herr, wen er sich nicht geendert hatt, seyder der herr Forstner[16] nicht mehr bey ihm, welcher ein ehrlicher, wackerer man ist, so sich hir bey jederman hatt estimiren machen. Der hertzog solle ein doll hünckel[17] sein.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 23. Oktober 1717 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 109–114
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0859.html
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Tintenfass