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Brief vom 18. November 1717

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


865.


[127]
St Clou den 18 November 1717, umb halb 9 morgendts (N. 24).
Hertzallerlieb Louise, heütte wirdt mein dattum nicht dobelt sein; den ich habe ohnmoglich gestern mehr, alß einen brieff, schreiben können; den er war der posttag von Modene undt ich habe morgendts ahn unßer hertzogin geschrieben, aber abendts nicht schreiben können; den seyder sontag abendts ist mir gantz auff einen stutz ein abscheülicher husten undt schnupen ahnkommen, den ich noch habe. Nachmittag muste ich meine bibel leßen; den es war der tag. Hernach ging ich ins abendtsgebett, da rieff man mich, weillen madame la duchesse d’Orleans ahnkommen war; sie bliebe aber wenig zeit dar, den es ware gestern ihr schpieltag, den 3 mahl die woch helt sie spieltag undt madame de Berry drey andere tage. Sie wirdt aber nun nicht spiellen; den sie hatt seyder montag daß tägliche fieber mitt frost. Sie hatt einen schlimen dockter, er hatt ihr gestern ahm fuß zur ader gelaßen undt es ist just der tag, da sie ihre zeit haben soll. Ich fürchte, es wirdt nichts guts außrichten. Ihre schwester, mademoiselle de Vallois, hatt daß fieber auch, kopff- undt halßwehe; man hatt ihr schon zweymahl zur ader gelaßen. Madame d’Orleans ihre fraw sagte mir gestern, daß ihr bludt nicht rodt, sondern gantz weiß were. Es ist aber kein wunder, wen dieße zwey schwester kranck sein, zu sehen, wie sie eßen undt drincken. Madame de Bery ist wenig zu mittags, aber wie were es möglich, daß sie recht eßen könte? Sie ligt im bett undt frist ein hauffen käßkuchen von allerhandt gattung, steht nie vor 12 auff, umb 2 geht sie ahn taff[el], ist wenig, umb 3 geht sie von taffel, thut keinen schritten; umb 4 bringt man ihr allerhandt zu freßen, salat, kaßkuchen, obst, abendts umb 10 geht sie zum nachteßen, freßen biß umb 12, umb 1 oder 2 geht sie zu bett; umb zu verdauen, drinckt sie die starcksten brandenwein, daß erhitzt, verdawet nicht, macht nur fäuling. Ist es sich den zu verwundern, daß sie kranck sein? Ich bin mehr verwundert, daß sie keine todtliche kranckheitten bekommen. Alle junge leütte, [128] mans- undt weibspersonnen, fahren ein doll leben in Franckreich, je unordtlicher, je beßer; daß soll artig sein, ich kans aber gar nicht finden; sie folgen mein exempel nicht, regullirte standen zu halten, undt ich werde gar gewiß ihr exempel nie folgen, kompt mir sauisch undt wie schweine vor. Es ist aber auch einmahl [zeit, daß ich] auff Ewer liebes schreiben komme, so ich vergangenen montag entpfangen, vom 2 dießes monts, no 27, nur noch vorher sagen, daß die arme comtesse de Soisson,[1] so mein hofffreüllen geweßen undt Langallerie geschwister-kindt war, ihm baldt gefolgt; den sie ist vergangenen sontag gestorben ahn der rohten rour.[2] Es ist mir recht leydt, den [sie] war ein schön undt tugendtsam mensch. Mein dockter ist ein gelehrter man, der seine sache woll versteht, undt wirdt mir nie nicht ordoniren, wen er nicht sicht, daß es mir nöhtig ist; drumb thue ich auch gleich, waß er will. Leütte, die artzeneyen lieben, wie die Rotzenheusserin, halten pillen, pülffer undt tissanen vor nichts, aber die es haßen, wie ich, heyßen dieß alles medecinen. Mich wundert, wie sie sich nicht selbst umbs leben gebracht hatt; den so baldt sie von ein neü remede hört, mochte sie es versuchen. Ich habe noch eine dame bey mir, so es ebenso macht, nehmblich madame de Chasteautier.[3] Lenor weiß nicht, daß ihre mutter daß grieß gehabt hatt, aber woll, daß sie gutte mittelen undt recepten gehabt hatt. Ihre schwestern haben sie alle genohmen. Es ist mir lieb, daß Ihr wider woll seydt. Gott der allmächtige erhalte Eüch dabey, liebe Louise! Ich könte ein großen brieff davon schreiben von alles, waß betrübtnuß außrichten. Ich halte es noch ärger, alß daß freßen von unßern princessinen. Man solte sich so viel davor hatten, alß immer möglich ist, allein man kan nicht thun, waß man gerne wolte, undt unßer verhengnuß führt unß wider unßern willen. Alles in unß ist geschaffen, umb unßer zeit undt verhencknuß zu erfüllen; also waß man auch thun mag, kompt darauff auß; nichts desto weniger weillen wir unßere bestimbte zeit nicht wißen, muß man allezeit thun, waß ahm resonablesten ist, undt hernach gott walten laß[en]. Die fraw Gemingen hatt groß recht, Eüch außzulachen, daß Ihr Eüch über einer jungen schwangern frawen ohnmacht betrübt. Ich glaube, daß Ihr undt Ewer vetter die eintzigen seydt; er hatt mehr ursach, [129] sich hirüber zu betrüben, alß Ihr, weillen er schuld dran ist. Dieße kunst, ohnmächtig zu werden, konte ich braff, wen ich schwanger war. Freylich seindt kleine kinder, wie Ewer petit neveu war, glücklicher, zu sterben, wen sie krancklich sein, alß zu leben. Wie Ihr mir von Ewern beyden niepcen sprecht, so deücht mir, daß die jüngste mehr einen teütschen humor undt [die] älste mehr einen englischen humor hatt, alß die jüngste. Den 28 alten stiehl war die printzes von Wallis noch nicht im kindtbett; ob sie es nun ist, solle ich dießen nachmittag erfahren. Mir ist bang bey der sach, den 4 wochen schmertzen zu haben, muß erschrecklich abmatten, undt zu dem handtwerck gehört starcke. Wo ist die generalmajorin zu hauß, so Esiander heist? lautt wie ein nahm von einem roman. Die printzes von Wallis kan nicht leyden, daß man sagt, das der churprintz von Saxsen schon seyder 5 jahren catholisch geworden ist. Aber es ist doch gewiß, daß sein oberhoffmeister, graff Cos,[4] unßerm könig s. die confidentz gemacht hatt. Ich glaube woll, daß es deß königs in Poln intention ist, das sein churfürstenthum nicht mag verendert werden undt alles in der religion bleiben, wie es ist; allein stecken die pfaffen die naß drin, werden sie selber nicht mehr meister drüber sein. Der könig in Poln ist so erschrecklich verhast in gantz Poln, daß man zweyffel[t], daß sie den churprintzen sein leben vor könig wehlen sollen. Die printzes von Wallis meint auch, daß er ebensowenig die ertzhertzoginen bekommen solle, daß die elste vor den churprintz von Bayern erspart wirdt undt die jüngste vor meinem enckel von Lotteringen, den elsten, behalten wirdt. Wen daß ist, wirdt sie noch lang wartten müßen, den mein enckel ist noch nicht 11 jahr alt. Von den graffinen von Solms werde ich nichts mehr sagen, den ich kene sie nicht; Ihr thut mir aber gefahlen, lieb Louisse, von alles zu sprechen. Mitt wem solte[t] Ihr frey reden, alß mitt mir? niemandts ist Eüch naher. Aber so lieb es mir auch ist, lange schreiben von Eüch zu haben, so pretendire ich doch nicht, daß Ihr nohtwendige brieffe davor verseümen solt. Daß ist woll ein ohnnohtig compliment, daß Ihr sagt, Ihr schreibt unleßlich; Ihr schreibt gar leßlich undt eine rechte manshandt. Ich leße es gar [gut] undt scheme ich,[5] daß, ob wir gleich einen meister zu schreiben [130] gehabt haben, ich so gar heßlich gegen Eüch schreibe. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwort[et,] bleibt mir nichts mehr über, alß Eüch zu versichern, daß ich Eüch, liebe Louise, von hertzen lieb behalte.
St Clou, donerstag, umb halb 7 abendts.
Es ist just eine stunde, liebe Louisse, daß ich Ewer liebes schreiben no 28 vom 6 dießes monts entpfangen mitt den zeittungen, wovor ich sehr dancke, liebe Louisse, undt will, weillen ich noch der zeit habe, auff Ewer liebes schreiben hirmitt andtwortten. Man sagt im frantzoschen sprichwordt: A quelque chose malheur est bon; den wen Ewer liebes brieffgen lenger geweßen, were er heütte nicht beantwortet worden; aber Ewere ursach, einen kürtzen brieff geschrieben zu haben, ist gar gültig, den ich disputtire unßer herrgott gar nicht, es ist zu billich, daß er mir vorgezogen wirdt. Man muß zu Franckfort ander ordenung in der kirchen haben, alß zu Heydelberg; den im November habe ich nie zum h. abendtmahl gehen sehen, nur den ersten sontag vom September. Die herrn prediger hören sich etlichmahl selber gern, drumb machen sie es so lang. Zukünfftige post werde ich Eüch leyder von Paris [schreiben], den biß sambstag quittire ich leyder dieß mir so gar liebe St Clou. Ich bin gantz trawerig drüber, den hir lebe ich in gutter ruhe, hore undt sehe nichts verdrießliches, undt zu Paris ist es nicht so, da kan ich keinen schritten thun, ohne waß verdrießliches zu horen oder zu sehen, bin also gantz … aber nicht gegen Eüch, liebe Louise. Alle unßere krancken befinden sich beßer, gott lob! Adieu, liebe Louisse! Ich wolte Eüch gern noch mehr sagen, allein mein verfluchter husten plagt mich zu sehr. In welchen standt ich aber auch sein mag, liebe Louisse, so werde ich Eüch von hertzen lieb behalten.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 18. November 1717 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 127–130
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0865.html
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