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Brief vom 20. März 1718

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


899.


[210]
Paris den 20 Mertz 1718, umb halb 10 morgendts (N. 60).
Hertzallerliebe Louisse, in dießem augenblick bekomme ich [211] meine brieff von der post. Es ist aber keines von Euch dabey; also werde ich heütte nur andtwortten auff waß mir noch von Ewerm lieben schreiben vom 1 dieß[e]s monts noch überig bleibt undt so ich wegen stettigen interuptionen vergangen donnerstag nicht habe außschreiben können, muß Eüch aber noch vorher sagen, daß meines sohns gemahlin unß gestern ein schrecken eingejagt hatt. Es ist ihr auff einmahl umb 4 uhr morgendts eine starcke colique undt fieber dabey ahngestoßen; man hatt ist[1] umb 9 abendts zur ader gelaßen. Sie leydt noch sehr, hatt noch daß fieber, aber sie ist doch beßer, alß sie geweßen; den ihr leib hatt sich geöffnet. Es geht eine abscheüliche gall von I. L., welches die schmertzen wirdt verursacht haben. Sie [ist] doch nun, gott lob, wider beßer. Aber in dießem augenblick entpfange Ewer paquet mitt dem talckschächtelgen, finde es perfect artlich; es fehlt nichts, alß das Ihr vergeßen, dabey zu setzen, waß es kost. Schreibt mirs! darnach werde ich mich richten, umb mehr zu bestellen oder nicht. Dancke sehr, liebe Louisse, vor die mühe, so es Eüch gekost. Nun komme ich wider auff Ewer erstes liebes schreiben, welches ich ein wenig in eyll beandwortten, umb desto eher ahn daß frischte zu kommen. Ich muß lachen, daß man Eüch weiß gemacht, daß der[2] printzes von Nassau-Siegen bey dem cardinal de Noaille[3] ist. Daß kan ohnmöglich sein; den der cardinal hatt nicht einmahl von seinen niepcen in seinem hauß; er mag sie vielleicht in ein closter gesteckt haben. Aber ich versichere Eüch, daß, wo sie auch sein mag, so wirdt der cardinal nicht verhindern, daß sie ihrer mutter ihr contrefait schickt. Ich habe hir kein wordt davon gehört, daß ihre dochter zu Paris ist; werde den cardinal davon sprechen, wen ich ihn sehen werde. Wie kompts, daß man so severe zu Franckreich[4] ist undt nicht leyden will, daß man carneval dort helt? Es ist ja allezeit der brauch geweßen, sich in der zeit zu divertiren. Sie solte singen wie im opera von Atis:[5]
Que l’on chante, que l’on danse!
Rion[s] tous, puisqu’il le faut!
Ce n’est jamais trop tost,
Que le plaisir commance.
On trouve bien tost la fin
Des jours de rejouissance;
[212] On a beau chasser le chagrin,
Il revient plus tost, qu’on ne pense.
Ob man zwar hir in trawer ist, wardt man doch nicht daß endt von der trawer, umb die spectaclen zu sehen, man nimbt nur die ersten tag in acht. Es ist woll war, die[6] deß alter groste freüde ist, in ruh zu sein; daß spüre ich auch. Aber ob ich zwar daß daß dantzen nicht liebe, wirdt mir doch nicht übel, wen ich dantzen sehe. Die große regel macht die nonen lang leben, wen ihnen die verzweyffelung undt melancolie nicht ahnkompt, nonen zu sein. Closter, unter unß gerett, seindt nichts anderst, alß ein übel regirtes landt undt verwirtter hoff. Daß temperament thut auch viel zu der melancoley. Bin stoltz, daß Ihr, liebe Louisse, mein raisonement gutt gefunden. Hiemitt ist der erste brieff völlig beantwort; ich [muß] nun meine pausse machen, habe schon 5 brieff ahn meine enckel von Lotteringen undt die hoffmeisterin geschrieben, drumb schreib ich jetz[t] so wenig.
Sontag, den 20 Merz, umb halb 3 nachmittags.
Ich bin alleweill wieder von madame d’Orleans kommen. Daß grimmen hatt sich gestilt, aber sie hatt abscheülich kopffwehe undt ein starck fieber. Waß auch die dockter sagen mögen, so lang daß starcke fieber dauern wirdt, halt ich sie in gefahr. Aber meine kutschen sein kommen, ich muß in kirch. Wen ich wider kommen werde, will [ich] madame d’Orleans noch eine kurtze vissitte geben. Ist sie übel, gehe ich nicht ins opera; ist sie woll, gehe ich ins opera undt hernach werde ich Eüch noch ein par wordt schre[i]ben, liebe Louisse!
Sontag, den 20 Mertz, umb halb 7 abendts.
In dießem augenblick komme ich auß madame d’Orleans ihr cammer. Sie ist erschrecklich undt gefährlich kranck, bin recht in sorgen vor I. L. undt deßwegen bin ich nicht ins opera gegangen, werde Eüch ferner entreteniren, liebe Louisse, ob ich zwar heütte recht matt bin; den man hatt mir gestern eine medecin geben, die hatt mich 15 mahl abscheülich purgirt, ich bin, alß wen man mich geprügelt hette, finde mattigkeit nicht allein in den beinen, sondern auch in den rücken undt axellen, schlepe mich mitt mühe. Die [213] angsten, so madame d’Orleans mir einjagt, werden mich nicht verstarcken. Es ist eine ellende sach, daß man allezeit etwaß verdrießliches in dießer welt haben muß. Mein husten undt schnupen ist, gott lob, gantzlich verbey, werde also nichts mehr davon sagen. Madame de Chasteautier[7] hatt, so lang sie bey hoff geweßen, die estime generale erworben. Ich glaube nicht, daß auff alle puncten ein ehrlicheres mensch in gantz Franckreich ist, alß sie. Ich glaube, daß mehr gutt naturel undt gutt temperament bey ihr ist, alß gutte aufferzucht. Frembten ambarassiren sehr, wen sie einen waß schencken, aber freündt oder verwanten sollen nie ambarassiren; den daß thut man ja nur, umb seine gutte freündt ein augenblick zu amussiren; undt waß gutt gemeint ist, solle doch, wie mich deücht, woll auffgenohmen werden. Den wie man nichts gibt, umb die leütte verdruß ahnzuthun, so bedrübts recht, wen man man es übel auffnimbt undt verscheücht recht. Ich konte vergeben, daß man interessirt were, wen man ewig leben müste; allein unßer leben ist so kurtz, daß es der mühe nicht wehrt ist, vor andere zu sparen undt sich viel mühe undt arbeydt drumb zu geben; den man nimbt ja nichts mitt in jene welt undt muß alles hir laßen. Den könig in Englandt den kan ich nicht begreiffen. Bißher ist noch gar wenig aparentz, daß dieße brouillerien mitt vatter undt sohn zu endt gehen werden. Ich beklage den armen ressidenten von Preussen, so sein kindt verlohren. Nichts ist schmertzlicher in der welt, alß die zu verliehren undt sterben zu sehen, so man lieb hatt. Man hört undt sicht nichts mehr, alß unglück undt betrübte sachen. Verkleydungen seindt, umb verenderungen zu geben undt lustig zu machen, zu viel despence; die leütte ungemag[8] zu geben, schlegt auß der ordenung. Allein mich deücht, der könig in Poln bekümert sich nicht viel drumb, wen es[9] nur thut, waß er will. Ich glaube nicht, daß der printz von Piemont ahn eine ertzhertzogin denckt; der keyßer undt könig von Sicillien stehen zu übel mitt einander. Hiemitt ist Ewer heütiges liebes schreiben auch gantz beantwortet. Ich will nun wider zu unßer krancke gehen, nachdem ich Eüch werde versichert haben, daß, so lang ich lebe, ich allezeit dieselbe vor Euch sein werde undt Eüch von hertzen lieb behalten.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 20. März 1718 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 210–213
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0899.html
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