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Brief vom 9. Juni 1718

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


922.


[283]
St Clou den 9 Juni 1718, umb halb 9 morgendts (N. 82).
Hertzallerliebe Louisse, ich bin heütte eine gutte stundt spatter auffgestanden, alß ordinarie, weillen ich eine stundt spatter nach [284] bett bin; den ich bin gestern erst umb 10 uhr nachts von Paris kommen, wahre umb halb 11 morgendts hingefahren, umb in ein closter, so man l’abbaye au bois heist, eine gar langweillige undt lange ceremonie zu verrichten, nehmblich den ersten stein zu legen, eine kirche zu bawen. Habe mi[c]h recht geschambt, den man entpfung mich mitt paucken, drumpetten, s[c]halmayen, drumellen undt pfeyffen undt stück.[1] Ich muste eine gaßen lang gehen, wo daß fundament war, hatte alle daß geraß vor mir … so mich descontenancirt. Ihr könt gedencken, wie daß ein ein popelvolck versamblet. Ich hatte erst vor den schönnen marsch die meß im closter gehört mitt einer schönnen mussiq. Wo der stein war, sungen die pfaffen 3 psalmen auff Latein, sagten auch gebetter, wovon ich kein wordt verstundt. Es war ein erhobener ort, gantz mitt teppichen vermacht, darauff war eine chaisse a bras unter einem himmel, da must[e] ich sitzen. Man bracht mir den stein, worauff mein nahmen geschrieben undt in der mitten meine medaille lag; darauff worff man kalck, daß muste ich gantz überschmiren; hernach that man einen andern stein drauff undt muste ich meinen seegen drauff geben. Daß machte mich lachen; den es ist ein krafftig sache umb meinen seegen. Darnach schickte ich den ersten von meinem hauß, nehmblich den chevallier d’honeur, monsieur de Mortagne, mitt dem stein in den bodengrundt, den stein zu placiren ahn mein platz; den ich konte die leytter nicht auff- undt absteigen, wie Ihr woll gedencken kont, liebe Louise! Die ceremonie dauerte in allem anderthalb gutte stundt; den nachdem man den stein unter dem geraß von paucken, trumpetten, drumeln, hautbois undt pfeyeffen, auch stück-schuß gelegt, sung man ein Ted[e]um in mussiq, welches bludtslang dauerte, endigte umb 1 uhr. Da fuhr ich nach dem Palais-Royal; es war eine abscheüliche hitze, auch so, daß ich gar wenig aß; mein sohn aß mittr 3[2] von seinen unverheyrahte dochter undt meine damen. Nachmittags umb 3 fuhr ich au Luxemburg undt besuchte madame la duchesse de Berry. Ich war aber so müde von aller der fattique, daß, sie[3] baldt ich mich bey I. L. in einem recht kühlen cabinet gesetzt, schlieff ich gleich ein, wie ein murmel[4] thut; war recht beschambt, wie ich wider wacker wurde, [285] wardt ich recht beschambt; aber es war geschehen; ich habe eine gutte viertelstundt geschlaffen. Umb 5 fahr ich wider au Palais-Royal; da fandt ich madame la princesse, madame la duchesse mitt ihren 2 dochtern, mademoiselle de Charolois undt mademoiselle de Clermont. Madame d’Orleans kam auch mitt mademoiselle de Valois, madame la princesse fuhr nach hauß undt ließ mir mademoiselle de Clermont. Madame la duchesse ging mitt mademoiselle de Charolois in ihre loge undt ich mitt madame d’Orleans undt obgemelte in unßere loge; es war, umb einen neuen commedianten zu sehen, so sich auff die probe gibt. Er spilte Oreste in der comedie von Andromaque.[5] Mein sohn kam in 4ten acten auch zu unß. Man spilte pour petitte piece les vandange de Suresne,[6] welches ein artig stück were, wen mans nicht über hundertmahl gesehen hette. Die hitze war so erschrecklich in der commedie, daß ich recht distillirte[7] undt so schwitzte, daß man mir daß bandt, so die perlen bindt, schir nicht loß machen konte. Ich hatte es vorgeschehen,[8] kammerweiber in der escuyes[?] kommen laßen mitt einem großen paquet von allem weißzeüg, so mir nohtig war; zog mich also von haubt zu füßen wider anderst ahn, umb in den schweiß nicht in die kühle nachtlufft zu fahren; fuhr erst weg, nachdem ich von alles geendert, mich kämmen undt pudern laßen. Mein weiß[zeug] war durch undt durch naß, hette also, wen ich nicht geendert hette, einen gutten husten ertapen können, aber so ist es gesundt, glaube ich; es matt doch ab. Aber nun ich drüber wider geschlaffen, spur ich nichts mehr davon. Wie ich auß der commedie ging, gab man mir Ewer schreiben vom 18/17 May, no 42, worauff ich heütte nicht allein hoffe zu andtwortten, sondern auch noch, waß mir von Ewerm letzten schreiben von 24 May überig ist geblieben. Aber ich fange bey dem frischten ahn. Deß 118 psalms melodey erinere ich mich [286] nicht mehr; ich weiß aber woll, daß daß 12 versickel mitt dem ahnfengt. Daß lutherisch Christfestliedt aber weiß ich noch woll, wo man singt:
Der tag der ist so freüdenreich
Aller creaturen,
Daß gottes sohn vom himmelreich
Uber die naturen
Von einer jungfrawen ist geborn.
Maria, du bist außerkohren,
Daß du mutter wehrest.
Waß geschahe so wunderlich?
Gottes sohn vom himelreich
Der ist mensch gebohren.[9]
Ich habe mehr lutherische lieder behalten, alß psalmen, weyllen sie leichter zu behalten sein.[10] Ihr habt recht, liebe Louisse, seyder man den callender geendert hatt, felt mein geburdtstag auff den 28 May neües stiehl. Die wünsche, so Ihr mir, liebe Louisse, thut, seindt woll die besten undt mir ahm nohtigsten; bin Eüch recht davor verobligirt undt wünsche Eüch hergegen alles, waß Ihr Eüch selbsten wünschen undt begehren mögt. Es were mir leydt, wen Ihr Eüch, mich ahnzubinden, die geringste ungelegenheit gemacht hette[t]. Daß sprichwordt: Man kan dem meehr[11] kein waßer geben ist nicht just, indem alle flüß in dem mehr zufließen. Es ist mir lieb, daß unßer commerse so richtig geht. Gott gebe, daß es dauern mag! Ihr habt mich Ewer leben nicht geplagt, liebe Louise! Daß heiß ich nicht plagen, wen man mir ein paßport abfordert, daß ist nicht[s]. Ich heiß plagen, wen man mich in allen ecken nachleüfft undt allezeit daßelbe liedt singt, so man mir schon hundertmahl gesagt; daß heiß ich plagen. Ahn den könig von Englandt werde ich gewiß vor niemandts schreiben. Wie sie noch zu Hannover wahren, waß ich gebetten, ist allezeit abgeschlagen worden; also seindt wir beyde gleich glücklich in dießem fall. Zu Paris sagt man, es seye der herr von Bernsdorff, der den könig so gegen dem printzen undt printzes von Wallis erzörnt;[12] der solte sich [287] woll in seiner seelen schammen, ein Teütscher zu sein undt so falsch, alß kein Englander nie. Ich kene dießen Bernstdorf von hörensagen. Er war erst bey dem hertzog von Mecklenburg, welcher so lang in Franckreich geweßen.[13] Der wurde sterbens-verliebt von der hertzogin von Mecklenburg, welche gar schon war; daß machte ihn mitt allem seinen verstandt so viel extravagantzen begehen, daß er fort muste. Die hertzogin recomandirt ihn ahn den hertzog G[e]org Wilhelm von Zel. Von dar muß er zum könig von Engellandt kommen sein. Aber der könig in Englandt, der so sehr fürcht, das man meinen mögte, daß man ihn regirt, wie lest er sich den so durch dießen Bernstdorf führen, undt daß gegen seine kinder? Es kan gar woll sein, daß mein sohn ahn den könig davon hatt sprechen laßen, ohne es mir zu sagen; den von staadtssachen sprechen wir nie, begehre sie auch nicht zu wißen; waß man nicht weiß, hatt man nicht zu verantwortten. Ich bin nicht genung ins königs in Englandts gnaden, umb eine solche sache zu unterfangen; undt wen deß königs eygene vatterliche tandresse nichts vor einem eintzigen sohn undt seiner tugendtsamen gemahlin sich spüren lest, waß sollen andere sagen? Ich glaube, daß daß beste ist, gott dem allmachtigen die sach zu übergeben undt fleißig vor printz undt printzes betten. [288] Die arme printzes hatt abermahl ein boß kindt[14] gehabt mitt bludtsturtz. Ich bin gewiß, daß, wen der konig recht wißen konte, wie viel impertinentzen daß sagen macht, er würdt die zärgerey ein endt machen undt sehen, daß, die ihm diß gerahten, seine wahre freündt nicht sein. Es ist mir lieb, daß die cammer zu Heydelberg raisonabler vor Eüch wirdt. Ich will dem herrn Zachman bitten, in meinem nahmen davor zu dancken. Selber schreiben darff ich nicht; sehe woll, daß meine corespondentz Churpfaltz nicht ahngenehm ist, weillen sie nicht auff meinen eygenhandigen schreiben andtwortten. Wen ich Eüch dine, liebe Louisse, thue ich nur meine schuldigkeit; dörfft also ahn keine andere danckbarkeit gedencken, alß mitt mir zufrieden zu sein. Ich kene alle frembden nicht, so zu Franckfort geweßen, kan also woll entbehren, zeittungen von ihnen zu haben. Bin fro, daß Ewer backen wider gutt undt Ihr Eüch keinen zahn habt außziehen laßen; den der fluß felt wider auff einen andern. Der marckschreier, den Ihr gesprochen, muß ein ehrlicher man sein, Eüch so woll gerahten zu haben. Ich bin froh, wen Ihr gutte lustig leütte bey Eüch habt; daß ist gutt vor die gesundtheit. Die fürstin von Siegen hatten ihren escot[15] woll bezahlt, Eüch vor Ewere 2 mahlzeitten lachen zu machen. Ich bin wie Ihr, liebe Louise, ich kan nicht leyden, daß die gar junge leütte zu serieus sein; ahn gestudirten scheindt es schulfucksisch. Ich wolte, daß Ihr nach daß Schlangenbaadt[16] gingt; den daß gibt verenderung undt verjagt die melancolay. Aber ich muß mich eyllen, den ich habe heütte viel zu thun; man muß mir die haar schneyden undt die nägel, met verloff, met verlöff, wie die fraw von Woltzogen alß pflegt zu sagen, ahn den füßen undt die füß waschen. Adieu biß dießen nachmittag!
Donnerstag, den 9 Juni, umb halb 6 abendts.
Wie ich wieder von taffel kommen, habe ich Eüch gleich wider schreiben wollen, allein die große hitze hatte mich, so baldt ich mich in dießem kühlen cabinet gefunden, eingeschläffert. Ich habe ein stündtgen geschlaffen, hernach ist mein sohn kommen. Wir haben ein par stündtgen geplauttert. Aber da rufft man mich; den [289] meine kutschen sein kommen, muß ein wenig frische lufft nehmen. Wen ich wider werde komen sein, werde ich Eüch noch etwaß auff Ewerm ersten brieff andtwortten; nun aber werde ich zu mademoiselle de Chausseray[17] fahren.
Donnerstag, umb 8 abendts.
In dießem augenblick komme ich von Madrit.[18] Ich komme so spatt, weillen ich unterwegen madame la duchesse de Berry undt mein sohn begegnet habe. Bey denen bin ich still gehalten undt habe mitt ihnen geblauttert; daß hatt mich so spätt wider komen machen. Aber last es[19] auff Ewer liebes schreiben kommen! Es seindt leütte, die sich nie betrüben können. Die fraw von Degenfelt mag von denen sein. Ich halte es vor glücklich; den sich zu betrüben, gewindt man nichts anderst, alß eine boße gesundtheit undt verwelcktes hertz, wie unßere arme königin in Englandt[20] gehabt hatt. Aber es stehet nicht allezeit bey unß, lustig oder trawerig zu sein. Daß temperament thut viel dazu. Lenor helt ihre geschwey vor ein gar pfäffisch mensch, undt pfäffisch undt interessirt ist all eins. Ich admirire, wie man so abscheülich lügen vorbringen kan. Die arme konigin in Englandt konte nichts gespart haben; den waß ihr herr sohn nicht bekam, bekammen die armen; sie hatt ahn ihren mundt undt kleyder gespart, den armen zu geben.[21] Daß ist den schon eine lügen, daß sie gelt nachgelaßen. Die zweytte ist noch ärger, nehmblich daß sie solle declarirt haben, daß der chevallier[22] ihr sohn nicht seye. Er ist so gewiß ihr sohn geweßen, alß der duc d’Orleans der meine ist. Solche lügen können mich recht ungedultig machen. Man mag ihn nur sehen, er gleicht ahn alle seine verwanten; daß er der rechte erb ist, daß ist die rechte warheit. Daß mylord Marre[23] mutter undt sohn brouillirt hatt, ist die 3 lügen. Der arme mensch ist so betrübt uber seine fraw mutter geweßen; wie er ihren todt erfahren, ist der arme printz rack ohnmachtig worden. Wie ich von Churtrier reden höre, solte er wenig ehre davon haben, wen er sich heürahten solle, undt gar nicht proper vor den ehestandt sein. Ich [290] wünsche, daß Ihr Churpfaltz im Schlangenbaadt finden mögt. Ich habe noch keine andtwort von Churpfaltz, solle gar ein fauller schreiber sein. Meinen enckel[n] ist es nichts neües, mitt mir zu eßen; daß widerfahret ihnen gar offt. Die ittallien[i]sche comedianten zu Paris seindt admirabel. Ich brauche seyder 10 tagen nichts mehr; ich glaube, es ist wegen der große[n] hitze, die dießen abendt abscheülich ist. Ich glaub, es wirdt ein wetter werden, den es ist gar zu schwull warm. Die historie von dem gehengten weib ist gar wunderlich; dancke Euch, liebe Louise, sie mir geschrieben zu haben. Ich höre recht gern so frembte abendtthewer undt Ihr werdet mir einen rechten gefallen thun, mir allezeit die zu berichten, so Eüch zu ohren kommen werde[n]. Da pressirt man mich, umb zu nacht zu eßen; kan vor dießmahl nichts mehr sagen, alß wie daß ich Eüch all mein leben von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 9. Juni 1718 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 283–290
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0922.html
Änderungsstand:
Tintenfass