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Brief vom 4. August 1718

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


938.


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St Clou den 4 Augusti 1718, um 4/3 auff 5 abendt (N. 98).
Hertzallerliebe Louise, es ist just 3 viertelstundt, daß ich Ewer liebes schreiben vom 23 Julli entpfangen, aber nicht eher, alß nun, habe ahnfangen können, zu beantwortten; den mitt Ewerm lieben schreiben habe ich noch gar viel andere bekommen, so ich habe leßen müßen, daß mich biß auff dieße stundt geführt. Ich werde Eüch nicht lang unterhalten können; den umb 5 fahre ich spatziren, aber nach der promenade werde ich doch außschreiben.
Donnerstag, umb halb 8 abendts.
Ich bin schon seyder eine gutte stundt wider auß dem gartten kommen; aber ich habe in der kirch mein abendtgebett verricht undt hernach hab ich ahn mein enckel, den duc de Chartre geschrieben undt ihm etliche bagatellen geschickt, womitt ich ihn ahngebunden; den es ist heütte sein geburdtstag, ist just 15 jahr alt aber gar zart undt schwach vor sein alter. Aber es ist auch zeit, daß ich wider auff Ewer liebes schreiben wider komme. Es ist mir lieb, daß unßere brieffe nun so richtig gehen. Ich wuste schon, daß Ihr den passeport entpfangen vor monsieur Marion; den Ihr hattet es mir in meinem[1] letzten brieff, den Ihr mir, liebe Louisse, geschrieben, bericht. Fordert er einen lengern passeport, werde ich vor ihn solicittern, wo nicht, so werde ich ihn doch woll entpfangen, wen ich ihn sehen werde. Ihr sagt nicht, welche wahren er verkaufft. Alles ist unglaublich thewer hir im landt; daß mogte ihm woll die sach gereüen machen. Daß ist in allen landern, daß man gern waß von andern ortten sicht. Hir will man viel auß Indien haben. Ich habe auch einen Engländer, so meine schuhe macht; er rett [340] bitter übel, hatt daß Frantzösch in mehr als 20 jahren nicht lernen können. Ich habe vorgestern brieff von der printzes von Wallis gehabt; die schreibt mir kein wort von der conspiration, glaube es also nicht. Apropo von conspirationen, mein sohn verzehlte mir gestern in der commedie, daß der czaar[2] eine metres von czaarwitz[3] bestochen hatt; die hatt ihm brieff geben vom czaarwitz, worinen gestanden, daß er seinen herrn vatter wolle assasiniren laßen. Der czaar hatt einen großen raht versamblet, alle bischöffe undt reichsrähte. Wie sie alle versamblet wahren, hatt er seinen sohn kommen laßen, hatt ihn ambrassirt undt zu ihm gesagt: Ist es möglich, daß, nachdem ich dir dein leben ve[r]schondt, daß du mich ermorden wilst? Der czaarwitz hatt alles geleugnet. Da hat er, der czaar, die brieff dem raht übergeben undt gesagt: Ich kan meinen sohn nicht richten, richt Ihr doch, doch daß es mitt gütte undt samfftmuht undt nicht nach der rigeur gehen möge! undt ist weg gangen. Der gantze raht hatt dem printzen daß leben abgesprochen. Wie der czaarwitz daß gehört, ist er so erschrecklich erschrocken, daß ihm der schlag drüber solle gerührt haben, ist doch nur etlich stundt ohne sprach geweßen. So baldt ihm die sprach widerkommen, hatt er seinen herr vatter begehrt noch einmahl vor seinem endt zu sehen. Der ist zu ihm; der czaarwitz hatt ihm alles gestanden undt mitt threnen umb verzeyung gebetten; hatt noch 2 tag gelebt undt ist mitt großer reü gestorben. Unter unß gerett, ich glaube, man hatt ihn vergifft, umb die schandt nicht zu haben, ihn in deß schinders handen zu sehen.[4] Daß ist doch eine abscheüliche historie, kompt mir wie eine tragedie vor undt gleicht viel ahn Andronic.[5] Ich sage von hertzen amen zu [341] alles, waß Ihr dem könig von Englandt wünscht, insonderheit aber, daß ihn gott zu alles guttem leytten möge. Er hatt dießen wunsch hoch von nöhten. Es ist gar kein mißverstandt drunter gestecken; den hette es mylord Stanop vergeßen, würde er mylord Sterce[6] gebetten haben, mirs zu sagen. Den hab ich gestern gesehen undt hatt mir kein wordt davon gesagt. Ich meinte, daß monsieur Laws[7] ein Englander undt kein Schottlander. Es ist gewiß, daß er greülich gehast ist. Mir kompt er vor alß ein gutter man, er hatt viel verstandt, were vorgestern schir ahn einer coliq gestorben. Daß parlement ist noch nicht gestilt, gibt noch immer remontrancen. Alle sachen seindt in dießem königreich so abscheülich verdorben, daß mein sohn woll sein leben weder vergnügung, freüde, noch ruhe haben [wird.] Daß ist gantz frantzösch, daß man die gantze handt begehrt, wen man einem ein finger geben. Ich werde mein leben nichts von meines sohns regence haben, alß große ängsten vor seine person. Ich habe alle poßgelger[8] von carten undt dergleichen recht gern. Daß amussirt mich, die einfalt davon macht mich lachen. So naredeyen beyßen einem ja die naß nicht ab, wen mans lest; man lacht nur über die poßen. Ich weiß nicht; wie man nun in Teütschlandt geworden ist; zu meiner zeit hatte man allerhandt dergleichen sage[9] die menge. In Engellandt, glaube ich, hatt man viel schonner schiffelger undt seckel, alß die Ihr Ewerer niepce geschickt habt. Die nahe verwantten, so man lieb hatt, heißt man offt gutte kinder, ob sie zwar keine mehr sein. Daß hette ich dem duc de Schönburg nie zugetrawet, daß er ein kindt tragen, noch küßen könte. Gar kleine kinder reißen beßer, alß große; den man setz[t] die wige in die kutsch, schlaffen undt seügen den gantzen tag. Hir in Franckreich ist man nicht tenderer vor [342] kinder, alß in Englandt. Sie laßen ihre kinder auff dem landt bey amen undt bekümmern sich ein oder zwey jahr nicht umb sie. Meine naredey ist, daß viel kinder außgeweckselt werden. Ich hoffe, die fürstin von Ussingen wirdt wider nach Franckfort kommen sein, wen Ihr den brieff von madame Dangeau vor sie bekommen werdet. Von mutter seytten ist es woll mitt dem Dörenberg bestelt; daß wer aber gutt vor einen heüraht; allein ich habe eine darne gekandt, dern man vorwurff, daß sie einen kerl lieb hatte, so von geringen herkommen war. Da sagte si[e:] Voila qui est plaisant, je n’ay jamais ouy dire qu’il faille des genealogies pour estre entre deux bon draps ensemble. Daß felt mir hirbey ein. Die mäner seindt warlich noch coquetter, alß die weiber, undt hertzlich fro, wen vielle sie lieb haben. Cela va sans dire, das man die nicht lieben, noch aprobiren kan, so ein leichtfertig leben führen. Alle leichtfertige leütte seindt so, sie endern gern. Die verenderung macht, daß sie daß leben weniger müde werden. Wen man gleich leichtfertige verwandten haben, muß man woll gedult haben. Es betrübt, aber waß will man thun? Man muß woll schweygen undt leyden. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwortet, nur noch überig, Eüch, liebe Louise, zu versichern, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte, so lang ich lebe.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 4. August 1718 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 339–342
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0938.html
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