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Brief vom 11. September 1718

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


949.


[375]
St Clou den 11 7br 1718, umb 7 morgendts (N. 9).
Hertzallerliebe Louise, ich habe Eüch schon vergangenen donnerstag bericht, wie daß ich Eüer liebes schreiben vom 27 Aug., no 66, zu recht entpfangen. Ehe ich aber drauff andtworte, will ich Eüch von hir verzehlen. Alles ist nun still, weillen daß parlement zertheillet undt in den vacancen ist. Nach Martini wirdt man sehen, waß sie ahnfangen werden. Gestern habe ich hir mitt meinem sohn einen Juden auß der tauff gehoben, einen hübschen man, der gantz undt gar nicht jüdisch außsicht. Ich habe es ihm prophezeit, drumb hatt er mich gebetten, ihn vor einen patten ahnzunehmen. Vor einem jahr bracht er mir einen brieff von meiner dochter. Ich meinte, es wer ein Christ; wie ich aber meiner dochter brieff laß, daß es ein Jud war, wurde ich gantz verwundert undt sagte in lachen zu ihm: Ich weiß nicht, ob Ihr ein Jud seidt; allein ich wolte woll wetten, daß Ihr es nicht bleiben werdt, undt Ihr secht so wenig jüdisch auß, daß ich glaube, daß Ihr einen Christen zum vatter gehabt habt. Damahl versicherte er noch sehr, daß er ein Jud leben undt sterben [werde,] geht drauff [nach] Paris undt login sich ungefehr in ein hauß, wo sich ein alter, gar [376] gelehrter abt findt, so hebreisch kan. Dießer fangt ahn, mitt den Juden zu disputiren, nimpt zum text: Der zepter von Juda soll nicht entwendet werden, biß der Messias kompt,[1] undt erweist ihn dadurch, daß unßer herr Christus der rechte Messias ist. Er hatt noch ein gantz jahr die gantz h. schriefft geleßen undt nachgesucht, sich entdtlich gantz persuadirt gefunden, hatt die tauff begehrt. Er thut es nicht durch interesse; den er ist ein banquié von Metz undt nicht arm. Ob er zwar zu Metz gebohren, so spricht er doch so gutt teütsch, alß ich, undt hatt weder einen judischen, noch frantzoschen accent. Er sagte gestern zu der fraw von Ratzamshaussen: Wie glücklich were ich nun, wen mich gott jetzt gleich, nachdem ich von der erbsündt durch die tauff entledigt bin, zu sich nehmen wolte! den die welt ist doch nur arbeyt und plag. Dießer discours macht mich hoffen, daß der gutte mensch recht bekehrt ist. Es ist aber auch woll einmahl zeit, daß ich auff Ewer schreiben komme, liebe Louise! Nichts ist verdrießlicher, alß wen man einen brieff gemacht, daß man ihn wider abschreiben muß. So sehr ich auch gewünscht, einen ehrlichen Teütschen bey mir zu haben, der mir hirin ahn die handt geh[e]n könte, ich habe aber nie dazu gelangen können. Man kan nicht alles thun hir, waß man will. Man schlegt es einem hir nicht blatt ab; man bringt so viel difficulteten, daß man woll sicht, waß es bedeütt. Der printz von Darmstat, so hir, ist eben der, deßen herr vatter sich in … messallirt hatt undt einer duchessen dochter genohmen, dern nahmen mir jetzt nicht einfelt; ich wils Eüch dießen abendt sagen. Es ist schadt, daß dießer herr so eine boße seytte hatt; den ob er zwar weder schönne taille, noch gesicht hatt, so ist er doch ahngenehm. Ah, da felt mir der nahme von der duchesse ein, so deß printzen von Darmstatt groß fraw mutter ist, sie heist die duchesse d’Avré;[2] sie ist von einem gutten adlichen hauß auß Normandie, aber auch mehr nicht. Sie war eine große freündin von meinem herrn s., habe sie also gar offt gesehen, sie ist erschrecklich buckelicht undt übel gewacksen, aber hatt über die maßen viel verstandt undt sehr ahngenehm in der conversation. Ich glaub, ihr enckel wir[d] ihr hirin nichts nachgeben.[3] Hertzog von Württenberg[4] ist auch gar zu bruttal, nicht [377] zu leyden wollen, daß der erbprintz[5] seiner gemahlen,[6] die doch deß printzens leibliche fr. mutter ist, nicht solle part geben, daß sie einen enckel hatt. Daß kompt von der metres[7] undt von huren kompt nichts gutts.[8] Daß daß kindt von der, met verloff, huren ist zur tauff getragen worden, kan wenig glück bringen. Die metres muß eine impertinente undt effrontirte creatur sein, ahn der erbprintzes zu sagen, daß sie gern ein kint vom hertzog hette. Wer kan sein lachen über eine solche impudentz halten? Wir werden daß kleine artige printzgen von Durlach in ein par tagen wider hir haben. Wen ich ihn wider werde gesehen haben, will ich Eüch berichten, ob er gewacksen ist oder nicht, kamme mir ein wenig wie ein zwergelgen vor. Schütz war nicht allein Tiberius in der comedie vom Sejanus, sondern auch Titire in dem Pastor fido, der Amarilis vatter, wo Gent Mirtilus undt Seyller Ergastus war; Schlot war Amarilis, Glos Dorinde, undt mein bruder s. Silvius, Bentz Mirtillus vatter, der oberprister, der kleine Paul der Satirus undt Crustel Botzheim Corisqua.[9] Ich habe dieß alles noch vor augen, alß wen ichs heütte gesehen hette. Der Munchinger war Lincus[10] undt im Sejano Silius, mein bruder Drusus, deß Tiberius sohn.[11] Die commedien haben mir allezeit gar zu woll gefahlen, umb sie vergeßen zu können; sonsten habe ich gar ein schlegt gedächtnuß. Es ist gewiß, daß daß gedachtnuß gantz undt gar nicht bey einem stehet. Ich habe allezeit von hertzen gewünscht, ein gutt gedächtnuß zu haben; aber dießer wunsch ist eben so wenig gelungen, alß viel andere. Gott gebe, daß sich der krieg von meinem vettern, dem landtgraff zu Cassel, sich nie wider erwecken mag! Ihr habt mirs nicht geschrieben, daß mein vetter, printz Wilhelm, einen sohn hatt, aber ich habe es von andern erfahren undt mich drüber erfreuet. Solte er, wen er auß Hollandt kompt, durch Franckfort reißen, bitte ich Eüch, liebe Louisse, macht ihm doch mein compliment undt daß ich mich recht von hertzen mitt ihm über diß glück erfreüe! Ich habe allezeit gehört, daß man Eüch gar woll zu Cassel tractirt hatt, weillen I. G, s., meine fraw mutter, Eüch gar woll dort recommandirt hatte, weillen sie Eüch undt Ewere schwester [378] recht lieb gehabt hatte. Die große hitze ist den augen nicht gutt. Ihr habt woll gethan, nicht viel in dem standt zu schreiben. Die nachtlufft ist gar gewiß ungesundt auch; so baldt es recht nacht ist, laß ich meinen balcon zumachen, vor welchen ich sitze, außer vorgestern, da habe [ich] den balcon auff gelaßen, umb deß monts finsternuß zu sehen, die tottalle war; ich war aber nicht gantz in der lufft, sondern nur in der cammer die fenster offen. Ich weiß heütte gantz undt gar nichts neües, muß also schließen, den Ewer liebes schreiben ist vollig beantwortet, bleibt mir also nichts mehr überig, alß nur zu versichern, daß ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalte.
P. S.
Ich habe dießen abendt ein liebes schreiben von Eüch, liebe Louisse, vom no 67, den 30 Aug., entpfangen, kan es ohnmoglich heütte beantwortten.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 11. September 1718 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 375–378
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0949.html
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