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Brief vom 10. November 1718

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


966.


[430]
St Clou den 10 November 1718 (N. 27).
Hertzallerliebe Louise, gestern fuhr ich nach Paris undt that gleich 2 vissitten, so gar nahe beysamen sein, nehmblich madame la duchesse de Berry undt madame la princesse. Die erste wohnt im großen, die ander im kleinen Luxemburg. Beyde heüßer seindt ahn einander. Daß erste ist magnific, auch hatt es die königin Marie de Medecis[1] gebauet, daß andere der cardinal de Richelieu. Waß aber dießer gebauet, aber daß hatt madame la princesse gantz umbwerffen laßen undt ein nagelneü hauß drauff gebawet, so schon undt lustig ist, eine schönne, gemachliche undt helle stiege, 2 vorgemacher, einen sahl, eine ander große cammer, eine schlaffcammer vor den sommer, noch ein schon, hell cabinet mitt 5 fenster, so alle im gartten du Luxemburg ihre außsicht haben; darnach hatt sie noch ein schlaffcammer, so kleiner ist, vor den winder, hinter seindt 3 garderoben undt noch ein eßsahl vor den winter. Alles hatt sein desgagement undt alles ist recht magnifiq meublirt. Vom Petit-Luxemburg bin ich ins Palais-Royal zu madame d’Orleans, hernach mitt meinem sohn undt 3 von seinen dochtern undt ihre hoffmeisterin ahn taffel. Vorher hatt man mir Ewer liebes schreiben von 25, no 82, [gegeben,] aber Ihr müst Eüch im chiffer ein wenig geirt haben, den Ewer liebes schreiben vom 22 8br war schon von no 82 schiffrirt. Aber da ist nichts ahn gelegen, ist mir auch gar offt geschehen. Wie ich sehe, so seindt meine schreiben 10 tag unterwegen. Daß ist aber, glaube ich, weillen sie über Franckfort gehen, den sonsten solten sie nur 7 tag unterwegen sein. Aber waß noch mehr zu verwundern ist, ist, daß Ewer schreiben 14 tag von Heydelberg hieher unterwegen; es muß in curieusse handen gefallen sein. Meine gesundtheit ist, gott sei danck, noch gar gutt undt schir beßer, alß es so einem alten weib, alß ich nun bin, zukompt. Mein sohn befindt sich auch woll; ich fürchte aber, er wirdt einmahl sucombiren; den es ist waß erschreckliches, wie er er von 6 morgendts biß nachts umb 9 ohne eßen undt trinken arbeyt, nimbt nur eine gutte tasse chocolat. Ich weiß nicht, wie er es außstehen [kann,] darzu lautter verdrießliche sachen. Es jammert mich offt, [431] daß mir die threnen drüber in den augen kommen; den so viel guts er auch thut, macht er doch lautter undanckbare. Die Frantzoßen seindt wunderliche gesellen, daß weiß gott; aber mich [deücht,] daß in dießen zeitten seindt überall die ehrliche undt auffrichtige leütte in allen orten undt länder sehr rar geworden, leyder. Die Maintenon weist sich nicht ahn madame Dangeau, wie sie in der that ist, undt stelt sich so scheinheylig ahn, daß madame Dangeau meint, man thue dießem alten bößem weib daß gröste unrecht von der welt, sie vor boßhafft zu halten. Es ist gewiß, daß madame Dangeau ein gutt gemühte hatt. Der könig hatt den Dangeau allezeit außgelacht. Alß der könig i[h]n einmahl erlaub[t]e, daß man ihn, weill er kranck war, in chaisse tragen dorfft, machten zwey junge bursch von hoff, nehmblich der marquis de Nangis undt der junge d’Heudicour,[2] diß artige, aber böß liedt auff ihn in der melodey … Turpin:
Jean de Coursillon,[3]
Pour estre a son aise,
Jusques dans le salon
Ce[4] fait porter en chaise,
Bouffi[5] come un ballon
De gloire et de fadaisse.
Der könig plagte ihn alß praff, sagte, daß er sich allezeit in seinen gallanterien piquirt hette, nicht allein sehr gallant, sondern auch sehr discret zu sein, hette sich doch einmahl sehr in seiner discretion versehen, undt umb zu weißen, daß er einen gar schönnen nachtsrock undt toillette hette, so hette er in einem gar secretten rendevous seine toillette undt nachtsrock in seiner metressen cammer tragen laßen. Hette die alte zot[6] gewolt, were er gar gewiß duc geworden; aber daß war ihr nicht gelegen, hatt, glaube ich, gefürcht, daß man sagen mögte, daß dieße duchesse von beßerm hauß, alß ihre niepce, were, undt daß wer auch war gewest. Gar reich ist Dangeau nicht von gebuhrt, hatt viel mitt spiellen gewunden,[7] so er auch wider verthan hatt.[8] Wen ich mein sohn wider sehn werde, will ich ihn nach baron Görtz vattern sach [432] fragen undt ahnmahnen; den es ist ohnmoglich, daß mein [sohn] ahn alles gedencken kan. Schickt mir noch ein memoire von waß er von augmentation begeh[r]t, damitt ich desto beßer dran treiben mag! Mylord Stairs[9] ist wider frisch undt gesundt; seine fraw solle sehr wider nach hauß verlangen, den sie stirbt schir vor jalousie hir. Ihr man hatt eine rechte passion vor eine artliche dame, so man madame Raimont[10] heist; sie ist nicht allein hübsch, sondern auch verstandig, woll erzogen, weiß, woll zu leben. Der churfürst von Bayern ist auch sehr verliebt von sie geweßen undt hatt gar respectueux mitt ihr gelebt. Durch ihre modesten minen solte man sie vor eine Vestale halten, welches sie doch nicht gantz sein solle, wie die medissance will undt madame Stairs auch meint. Ich habe dieße dame noch nicht gesehen, den ihr man hatt seine entree noch nicht gethan, undt eher haben die ambassadricen keinen rang bey hoff. Daß der arme Zachman vor 14 tagen gestorben, werdet Ihr schon auß einen meiner schreiben ersehen haben. Vorgestern abendts ist seine fraw undt dochtergen zu mir kommen; sie seindt so betrübt, daß sie einem recht jamern. Man hatt mir verzehlt, daß das arme kindt zu ihrem Canarie-vögelgen gesagt hatt, so ich ihr geben: Ach du armeß vo[ge]lgen, du singst undt wir hören nicht auff, zu weinen, du weist unßer unglück nicht Man kan die leütte nicht ohne threnen ahnsehen. Nein, liebe Louise, es ist weitt darvon, daß eine envoyes-fraw vor mich[11] den tabouret hatt, deß keyßers seine[12] hatt es nicht einmahl undt, waß noch [433] arger ist, alle damen, so von gutten heüßern, können mitt mir eßen; sobaldt sie aber [frauen von] envoyes sein, können sie nicht mehr mitt mir eßen; aber die ambassadrissen werden eben tractirt wie die duchessen. Ich saluire sie, sie können mitt mir eßen undt sitzen vor mir eben wie die duchessen, haben gantz denselben rang. Aber wo der ihrtum von kompt, daß die fraw Zachmanin solle den tabouret vor mir gehabt haben, ist, daß, wen ich ein spiel in meiner cammer verlaube undt damen kommen, so den tabouret nicht haben, ich aber favorissiren will, sage ich: Geht, seydt vom spiel! Madame, soyes du jeu! Alßden laß ich ihr ein stuhl bey dem spiel geben. Daß mag der fraw Zachmanin widerfahren sein, also mag sie jemandts haben sitzen sehen undt dadurch gemeint haben, daß die envoyes den tabouret haben, welches aber nicht ist, den sobaldt daß spiel zum endt, müßen sie wider wie zuvor stehen. Daß spiel ist so wenig de consequence, daß meine eygene cammerweiber, wen sie spillen, sitzen können. Daß seinige fordern ist keine betteley, liebe Louisse, sondern eine billige sache. Schulden haben ist eine heßliche, widerliche sache, aber der letzt verstorbene churfürst hatt sich braff bestehlen laßen undt über hatt[13] seinen hoff zu starck auffgeführt, daß konte kein gutt thun auff die länge. Der itzige churfürst könte sagen, wie Auguste in der commedie von Cinna:[14]
L’ambition desplait quand elle est assouvie,
D’un[e] contraire ardeur son ardeur [est] suivie;
Et comme nostre esprit, jusques au dernier soupir,
[434] Tous jours vers quelque objet pousse quelque desir,
Il ce raméne en soy, n’ay[ant] plus ou ce prendre,
Et, monté sur le faiste, il aspire a dessendre,
J’ay souhaitte l’empire, et j’y suis parvenu;
Mais, en le souhaittant, je ne l’ay pas connu:
Dans sa possession j’ay trouvé pour tous charmes
D’effroyables soucis, d’etternelles allarmes,
Mille ennemis secrets, la mort a tous propo,
Point de plaisir [sans trouble,] et jamais de respos.
Mein armer sohn cittirt dieße vers auch gar offt undt mitt recht. Daß wer ein groß unglück vor den Pfaltzgraffen von Sultzbach, wen Churpfaltz sich persuadiren ließe, wider zu heürahten; aber, wie man sagt, solle er es nicht thun können undt ein mariage de conscience mitt dem freüllen Taxis gethan haben. Dieße liebe dauert schon lang, also kan die dame schon woll ein wenig passirt sein. Ich höre [mit vergnügen,] daß Ihr bey gutten, ehrlichen leütten zu gast geweßen seydt; den bey gutten freünden eßen gibt doch verenderung. Ich habe einen offecirer hir gekant, so Riotord[15] geheyßen hatt undt die grenadier vons königs hauß commandirt hatt; ich weiß nicht, ob er von denen ist, der mitt Eüch geßen hatt. Von die graffen von Hatzfelt hatt ich zu meiner zeit nie gehört. Von der hutt-trompet habe ich mein leben nichts gehört, noch gesehen, aber die jagthorner-mussiq kene ich. Es seindt vor etlichen jahren etliche Teütschen nach Fontainebleau kommen undt bließen im walt. Die musiq ist gar nicht schlim, gefiel dem könig auch. Die viole de gambe muß gar woll gespilt werden, umb gutt zu sein. Der pressident von Hildesheim[16] ist nicht von unßerer zeit. Damahl[e]n war kein pressident zu Heydelberg. Sein hauß muß in der vorstatt sein, weillen es nahe bey dem marschstall ist. Die außsicht muß schonner sein, alß in der statt, da die bergen, alß h. berg undt schloßberg, die außsicht verhindern. Ich weiß den armen Pfaltzern noch so danck, Eüch zu distinguiren; daß weist noch die alte affection, so sie zu meinem herrn vattern s. undt bruder s. gehabt haben, undt macht, daß ich sie noch recht lieb behalte. Daß wuste ich nicht, daß der comte de la Marq[17] in pfaltzischen dinsten. Seydt Ihr deß woll versichert? den es ist noch nicht lang, liebe Louisse, den es ist noch nicht lang, daß ihn der konig hir [435] ahm könig in Preüssen, könig in Schweden alß envoyes geschickt hatt. Es geht nun doll in der welt zu ahn allen ortern undt enden. Mein dochter sagt alß, der jüngste tag muß kommen, alles seye gar zu verwirdt. Daß glaube ich aber nicht, daß dießer große tag so nahe soll sein. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwortet undt es ist auch zeit, daß ich mich ahnziehe. Wir haben gantz undt gar nichts neües, schließe derowegen undt sage nichts mehrers, alß daß ich Euch, hertzallerliebe Louise, von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 10. November 1718 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 430–435
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0966.html
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Tintenfass