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Brief vom 22. Dezember 1718

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


977.


[474]
Paris den 22 Xbr 1718 (N. 39).
Hertzallerliebe Louisse, vorgestern bin ich mitt Ewerm lieben schreiben vom 10 dieß[e]s monts, no 97, erfrewet worden, worauff ich heü[te] gleich andtwortten werde, weillen es daß gröste ist; den auff die Christfest werde ich wenig zeit zu schreiben haben. Heütte werde ich auch schon alle augenblick interompirt. In dießen 6 linien bin ich schon 3 mahl interompirt worden, erstlich durch mein erste cammerfraw, so mir etwaß zu sagen gehabt; die zweytte interuption waren viel fragen von meinem docktor, monsieur Teray, wegen meiner gesundtheit, so der gutte man genau examinirt; die [475] 3te interuption war ein man, so zeüch vor die mathematiquen macht, einem goltenem compas, lignal undt crayon undt eine neüe invention, wodurch man wißen kan im gehen, wie viel schritt man thut. Es ist wie eine uhr, daß bindt man ahn den gürtel undt ahns knie. Wie man geht, so marquirt in einem runden zirckel jedes 10 schrit, wen man geht, marquiren, wen man ahn 100 kompt, marquirt der zweyte zircle, undt ahn taußendt der 3te; also kan man allezeit wißen, wie viel schritt man gethan, ohne zehlen, welches gar gemachlich [bei] belagerungen sein solle; daß ist vor mein enckel, der nun die mathematiquen lehrnt, werde es ihm sambt einen tablettgen zum neüjahr geben. Daß hatt mich gar lang aufgehalten; den ich habe dießes alles besehen müßen. Jetz[t] komme ich auff Ewer liebes schreiben, nur noch sagen, daß ich dießen nachmittag nicht viel zeit haben werde; den gleich nach dem eßen werde ich zur großhertzogin fahren, so mich allezeit zimblich lang auffhelt, werde doch thun, waß mir möglich sein wirdt. Bin fro, daß unßer commers, liebe Louisse, so gar richtig geht. Es ist wahr, daß mich alle nonen, so ich kene, mitt porte-lettre accabliren, alß eines hübscher, alß daß ander. Ich habe eines, wo meine wapen drauff sein, so ich noch hübscher gearbeydt finde, alß daß letzte, so ich Eüch hirbey schicke; ist gestickt. Die schiffer seindt nicht so woll gemacht, alß die wappen, können aber vor Eüch dinnen, weillen es lautter L sein. Ich schicke es Eüch, weillen ich sehe, daß sie Eüch gefahlen, liebe Louisse! Aber da kompt die duchesse de Vantadour[1] herein. Nun muß ich gantz wider [meinen willen] eine pausse machen. Gott weiß, wen ich werde außschreiben können; den nach dem eßen habe ich gar viel zu thun.
Donnerstag, den 22, umb halb 7 abendts.
Es ist nun schon eine gutte halbe stundt, daß ich von der großhertzogin kommen bin, aber habe noch nicht eher, alß nun, zum schreiben gelangen können. So geht es zu Paris, alle augenblick wirdt man interompirt. Ich befinde mich nicht übel, aber waß ich nun habe, ist ärger, alß eine kranckheit; den ich bin in stätten sorgen, wolte lieber daß fieber haben, alß so sein, wie ich seyder 14 tagen bin. Man sagt, der abbé Brigau[2] fengt ahn, braff [476] zu plauttern. Aber man helt noch gar heimblich, waß er gesagt; aber es wirdt auff einmahl außbrechen. Waß ich alßdan erfahr[e]n werde, will ich Eüch berichten. Ein port[e-]lettre kan vor kein geschenck gehalten werden, liebe Louisse, daß seindt ja nur bagatellen. Dieße letzte wirdt man woll sehen, von wem Ihrs habt, weillen mein wappen drauff ist. Ah, da kompt madame la princesse herrein.
Donnerstag, umb 8 abendts.
Madame la princesse undt mademoiselle de Clermont gehen wider weg, seindt eine klockenstundt hir geweßen. Aber nun ist es ohnmöglich, daß ich heütte auff Ewer schreiben andtworte; will doch fortfahren, zu schreiben, biß man mich rufft. Mein docktor ist gar ein geschickter man; er folgt die natur, ohne sie zu überlästigen. Wie man den safft, so man mich dießmahl nur 3 tag gebraucht hatt, im bain-marie[3] zuricht, so purgirt er. Meine kräfften seindt noch nicht wieder kommen, glaube auch nicht, daß sie so baldt wieder kommen werden; den ich bin gar zu sehr in continuirlichen ängsten, schlaffe nur auß müdigkeit, kan nicht mehr schlaffen, undt schlaff ich ein, fahre ich wider auff undt erschrick, daß mir daß hertz zittert. Daß ist nicht daß mittel, daß man wider zu kräfften kompt. Es ist ein sanfft wetter nun, gar nicht kalt; man sagt, die bäum schlagen auß, welches gar schlim ist. Da rufft man mich, muß dißmahl enden undt [kann] nicht mehr sagen, alß daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 22. Dezember 1718 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 474–476
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0977.html
Änderungsstand:
Tintenfass