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Brief vom 9. März 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


999.


[055]
Paris den 9 Mertz 1719, umb 3 viertel auff 7 (N. 61).
Hertzallerliebe Louise, ich will heütte meinen tag, nachdem ich meine schuldigkeit bey gott verricht undt mein morgengebett gethan, dießen tag mitt Eüch ahnfangen undt auff Ewer liebes schreiben andtwortten, so ich vergangen sontag [empfangen,] aber noch nicht habe beantwortten können; mögte vielleicht heütte noch woll eines von Eüch entpfangen. Weillen es aber heütte predigtag ist umb[1] ich gegen 11 in die predig au Quinse-vinct werde undt nachmittags zur großhertzogin muß (den es ist ihr tag), so werdet Ihr heütte nur die andtwort, liebe Louisse, auff Ewer liebes schreiben vom 21 Febr., no 15, bekommen, undt kompt mir noch ein schreiben von Eüch, werde ich es biß auff sontag versparen, so mir gott biß dahin daß leben undt gesundtheit erhelt; bin fro, daß Eüch keines von meinen brieffen mehr fehlt. Ich bin wie alle alte leütte, liebe Louisse, die sich gar woll von 40 undt 50 jahren von waß erindern[2], aber nicht mehr wißen, waß vor 10 jahren oder gar vorm jahr geschehen. Exact zu andtwordt[en], da gehört kein gedächtnuß zu, weillen ich allezeit den brieff, so ich beantwortten will, vor mir habe. Den gantzen nachmittag habe ich interuptionen, so einem doll macht; deß morgendts aber schreibe ich ruhiger, gehe also lieber frühe zu bett undt stehe lieber fruhe auff, umb [056] allein undt in ruhen zu sein. Wen betrübtnuß daß gedächtnuß benimbt, so solte ich nun woll gantz radottiren, so viel habe ich deren auff alle art undt weiße gehabt. Aber waß will man thun? Es ist der weldt lauff so, undt glaube, daß es gott zu unßerm besten thut, erstlich, unß daß sterben leichter zu machen, zum andern, unß zu sich zu ziehen; den es ist gewiß, daß man mehr ahn gott in seinen trübsahl, alß freüden, denckt, undt zum 3, umb unß die ewige ruhe undt freüde desto beßer zu genießen machen. Mitt dießem trost muß man sich durchhelffen. Noch derzeit haben meine sorgen vor meinen sohn noch gar kein endt; den mein sohn schondt sich nicht genung, fuhr gestern noch umb 11 morgendts a la Meutte undt kamme erst nach 12 abendts wider. Daß deücht gar nichts undt setzt mich recht in sorgen, den wie leicht konte man sich in eine von den stadtpfortten verstecken undt (da gott vor seye!) einen bößen streich thun! Es graust mir, nur davon zu reden. Meine dochter ist ein wenig ruhiger, alß sie in werendem carn[a]val geweßen. Gott lob, wens nur dauern mag! Der große intéresse folgt ordinarie dem … Einer wilß dem andern allezeit zuvorthun in kleydern, in esquipagen, in spillen, in eßen undt drincken. Zu dießem allem gehört gelt, daß zicht man, wo man kan undt mag. Wen alle der gottloßen ahnschlage zu nichte gingen, würden wenigere unglück in der weldt sein, alß man sicht. Von baron Görtz, so in Schweden gefangen sitzt, höre ich gar wenig; den ich habe den kopff so voll der hießigen sachen, daß ich wenig ahn die frembten gedencken kan. Daß were aber abscheülich, wen der Goertz daß vorgehabt; meritirt woll, hart gestrafft zu werden. Doch wolte ich seines gutten, ehrlichen oncles halben, daß er nicht ins scharpffrichters handen kommen mag, sondern nur eine ewige gefangnuß zur straff haben mögte. Mein sohn hatt doch vor ihm geschrieben; er meint aber nicht, daß es viel außrichten wirdt. Man sagt hir, daß die keyßerliche zu Millan haben gemeint, den chevallier de St Gorgen auffzufischen, haben aber nur den mylord Mar[3] undt mylord Pertz[4] ertapt undt daß der chevallier de St George sich ambarquirt undt zur see in Spanien ist, wo Alberoni ihm eine große flotte solle bereydt haben, umb nach Irlandt zu seglen, wo er heimbliche corespondentzen hatt. Ich sehe, daß monsieur Alton wie ich denckt, aber [057] viel andere dencken anderst, wie wir hir ahn madame d’Orleans undt madame la princesse so woll, alß ahn baron Goertz sehen, undt es scheindt, daß dießer boßen leütten unglück der verwanten tendresse vermehrt. Der englische envoyes muß in der that ein gutter mensch sein; den ordinarie lob[en] die Englander nicht viel die frembten, haben auch attachement vor niemandts sonderlich. Seine andtwort, so er Eüch gethan, wie Ihr ihn gefragt, ob keiner von dießen churfürsten ahn heürahten gedenckt (O non, il sont trop sage), halte ich auch vor sehr vernünfftig; den ich hilte es vor thorheit, wen einer von ihnen sich heürahten solte. Wen ich wirdtschafft nenen höre, erinere ich mich noch, wie hertzlich fro ich war, wen ich zettel zog. Ich dachte nicht, daß die herrn Jessuwitter so severe wehrn, gegen die redoutten zu predigen. Ich muß lachen, daß Ihr die neügebackene edelleüte die Crethi undt Plethie[5] heist. Wahren aber die nicht deß königs David leibquard undt helden? Mein sohn hatt nun abscheülich viel zu thun, hatt in der vergangen woche die promotion von les officier genereaux[6] gemacht, welches wider neüe malcontenten verursachet, wie es nicht anderst sein kann. Daß setzt mich auch wider in neüen sorgen, wie Ihr leicht gedencken kont, lieb Louisse! Es ist ein großer irtum, zu meinen, daß madame Dangeau reich seye; sie ist es gar nicht. Dangeau hatt nur, waß er im spiel gewunen[7], undt seine … die ist durch madame la Dauphine todt verlohren gangen, undt vom spielgelt kan man sagen: Wie gewohnen, so zeronnen. Wundert mich sehr, daß die fürstin von Ussingen ihrer tugendtsamen schwester dießen tord thun will. Ahn madame Dangeau werde ich weitter nichts sagen. Es ist noch nicht lang, so haben wir hir einen jungen graffen von Rindtsmaul hir gehabt. Der nahme laudt nicht schön. Erster tagen werde ich wider ahn graff Degenfelt undt seine gemahlin andtwortten, habe ohnmöglich bißher noch der zeit gehabt. [058] Hiemitt ist Ewer liebes schreiben gar exact undt vollig beandt[wort]et undt es schlegt 9 uhr, muß mich baldt ahnziehen, umb, wie schon gesagt, in die predig zu gehen. Nachmittags kan ich in keine predig gehen, muß gleich drin schlaffen[8], undt wie man hir in keiner tribune in der kirchen sitzt, sondern geraht gegen der cantzel unten in einer chaisse a bras, wo einem alle menschen sehen, so were es ein recht scandal, undt seyder ich alt bin worden, schnarch ich gar sehr, wen ich schlaffe, welches zu lachen geben würde undt mögte den prediger selbsten ihre[9] machen. Adieu, hertzliebe Louise! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt behalte Eüch allezeit recht lieb.
Da bringt man mir eben Ewer paquet sambt Ewer liebes schreiben vom 21 Febr., no 16, sambt den zweyen talckschächtelger. Ich will mich informiren, waß 68 thaller hießiges gelt machen; so baldt ich es wißen werde, will ichs mitt danck bezahlen. Ihr sagt mir noch, daß auch 4 thaller dabey wehren, welche aber kleiner undt dinner, alß die ersten. Dieße aber habe ich nicht im paquet, sondern allein die zwey schwartze schächtelger gefunden, welche gar artig sein. Ich kan nicht begreiffen, wo die 4 schraubthaller müßen hinkommen sein; vielleicht ist es noch in Ewer kammer undt daß Ewere leütte es vergeßen haben, ins paquet zu thun. Aber Ihr sagt auch nicht, waß die thaller kosten, liebe Louisse! Es ist nicht billig, daß der verlust auff Ewern kosten geht; weillen ich sie bestelt habe, will ich sie bezahlen. Ich wolt gern lenger plaudern, aber ich muß noch nohtwendig ahn monsieur Harling undt ahn mein dochter schreiben; den ich habe vor sie eine sichere gelegenheit, den baron Elß. Adieu biß auff biß sontag, wo mir gott daß leben lest!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 9. März 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 55–58
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b0999.html
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