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Brief vom 2. April 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1006.


[077]
Paris den 2 April 1719, umb halb 7 morgendts (N. 73).
Hertzallerliebe Louise, ich kan heütte woll früh schreiben; den gestern ging ich umb halb 10 nach bett, habe gar woll geschlaffen undt kan Eüch noch ein par stündtgen entreteniren, den umb 3/4 auff 9 muß ich mich ahnziehen, umb nach die pfarkirch zu fahren. In die procession werde ich nicht gehen; meine boße knie entheben mich, gott lob, alle der ohnnöhtigen ceremonien. Also kan man hirauff daß frantzösche sprichwordt sagen: A quelque chose malheur est bon. Aber last unß von waß anderst reden! Gestern habe ich Ewer liebes schreiben von 18 Mertz, no 22, zu recht entpfangen, bin fro, drauß zu sehen, daß meine bezahlung richtig ahnkommen. Ihr sagt aber nicht, liebe Louisse, ob nichts dran fehlt undt ob gantz recht ist; den mitt itzigen gelt hatt man mühe zu zehlen. Aber ein ander mahl wollen wir von dem brieff sprechen; heütte komme ich auff daß vom 18, muß mich eyllen, den dieße woche, weillen es die carwoche ist, werde ich wenig zeit zu schreiben haben. Mich deücht, unßere brieffe gehen nun gar richtig, will sie aber nicht beruffen; bin doch fro, daß Eüch keins von meinen brieffen mehr fehlt. Ihr werdet in einen von meinen letzten schreiben ersehen, wie ich meinen ihrtum selber erkendt, daß Ihr nicht übel geschriben, sondern ich übel geleßen wegen der 4 schraubthaller. Ich werde so reveux in meinem alter, daß ich glaube, daß ich baldt kindisch werde werden, oder so reveux[1], wiß[2] unßere tante, printzes Elisabeth von Herfort[3], [war], welche einen camerbott[4] vor ein masque fordert undt sagte: Dießes masque hatt keine augen undt stinckt. Undt wen I. L. s. trictrac spilten, spien sie ins brett [078] undt wurffen die würffel auff den boden; sie ist auch gantz kindisch gestorben undt war nur 62 jahr alt, wie sie starb. Ich werde spatter fabeln, weillen ich schon nahe bey 67 bin. Es were aber kein wunder, daß einem hir der kopff threhen solte über alles, waß man hört undt sicht. Der duc de Richelieu hatt schon alles gestanden; wie es weitter gehen wirdt, wirdt die zeit lehren. In der zahl von den [thalern] habe ich mich nicht verschrieben; den man sagt, daß 34 reichsthaller jetzunder 68 hießige thaller machen. Wie ich sehe, so seindt die kauffleütte überall dieselben undt steygen immer hören[5]; daß ist man woll gewohnt hir im landt. Die talckbilder seindt gar artlich, habe großen danck mitt verdint. Freyllich kan man mitt beßerer ahndacht betten, wen man den kopff nicht zu voll verdrießlichkeytten hatt. Daß ist woll war, daß gott ahm besten weiß, waß unß gutt ist. Es geht aber, wie mitt den kindern, die die eltern vor ihr bestes braff die ruhte geben; es bekompt ihnen woll, aber in der zeit ist es sehr schmertzhafft undt macht braff weinen. Unßer herr gott weiß doch woll, daß er unß lieb hatt, daß er alle conspiration so zu nichte macht, wovor wir ihn nicht genung dancken können. Aber alle dieße gnaden machen mich auch zittern; den ich fürchte, daß wir es nicht genung erkenen undt dadurch gottes zorn auff unß laden werden. Nein, der prediger des 15 vinct[6] ist nicht beßer, alß ein anderer, allein es ist die negste kirch hir bey den hauß, also gemächlicher. Er predigt auch nicht gar übel, sagte keine fadaise[7]. Es ist nicht war, daß der chevallier de St George[8] zu Millan gefangen geseßen, aber woll mylords Mar, Pers[9] undt noch einer, welcher, wie ich glaube, mylord Mar sohn ist. Man hatt sie wider loß gelaßen. Ihr her[r] ist in Spanien. Der papst undt er verstehen sich woll mitt einander undt die Spanier auch. Dießer chevallier de St George hatt noch einen großen ahnhang in Irlandt, Schottlandt undt Englandt selber, jedoch so versichert die printzes von Wallis, daß sie nichts zu fürchten haben. Baron Görtz ist der eintzige, so seinen neveu vor unschuldig helt. Ich gonne ihm doch wegen seines oncle daß leben. Ich weiß nicht, ob man so gutt frantzösch in Schweden ist, [079] alß Ihr meint, liebe Louise! Daß man kein part von deß königs todt gibt, macht mich dran zweyfflen. Die politic obligirt offt, gegen seine inclination zu handlen. Bißher habe ich noch kein augenblick zeit gefunden, der gräffin undt graffen von Degenfelt zu andtwortten. Es geht mitt, wie mitt dem westphällischen sprichwort: Mitt der zeit kam Jean ins wames, er zog aber 7 jahr ahn eine mau[10]. Ihr habt woll gethan, Ewerer elsten niepcen zu rahten, mir nicht zu schreiben. Ich habe warhafftig keine zeit, zu schreiben, wie ich gern [wollte]. Hir zu Paris hatt man über alles, waß ich zu schreiben habe, nur gar viel vissitten abzulegen undt zu entpfangen von allen den printzessen du sang[11]. Wir haben nun unßere duchesse de Berry kranck, hatt daß fieber mitt vapeurs undt mutterwehen. Dieß letzt kompt ihr von den abscheülichen starcken parfums, so sie immer in ihrer garderobe hatt, wen sie ihre zeit hatt; daß muß schaden. Ich habe gewahrnt, man hatt mir aber nicht glauben wollen, undt daß fieber kompt von dem abscheülichen freßen, so sie nacht undt tag thun, setzen sich umb 8 oder halb 9 ahn taffel undt freßen biß umb 3 uhr deß morgendts; daß kan kein gutt auff die lenge thun. Alleweill kompt man mir sagen, daß sie gar übel ist. Daß setzt mich recht in sorgen, den dick undt fett, wie sie ist, fürchte ich, daß sie eine abscheüliche kranckheit außstehen wirdt. Ich dancke nochmahlen vor die schönne medaille. Ich bin in rechten sorgen sowoll wegen madame de Berry, alß meines sohn, so, [wenn es] (da gott vor sey!) übel mitt madame de Berry gehen solte, nicht zu trösten sein solte; den sie ist, waß er in der welt ahm liebsten hatt. Es ist mir zu todt angst. Waß ahn dem hoff vorgangen, so Ihr nicht nent, ist gar ordinarie bey höffen, wo junge leütte sein. Dieß jahr wehren schnupen undt husten gar lang. Aber ich muß enden. Adieu, liebe Louisse! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt behalte Eüch allezeit recht lieb.
Man sagt im sprichwordt: Früher donner, spatter hunger.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 2. April 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 77–79
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1006.html
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