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Brief vom 20. April 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1011.


[092]
A mad. Louise, raugraffin zu Pfaltz, a Franckforth.
Paris den 20 April 1719, umb 6 abendts (N. 78).
Hertzallerliebe Louise, gestern abendts, alß ich auß der commedie kam, bin ich mitt Ewer liebes schreiben von 8 dießes monts, no 28, erfreyet worden. Aber Ihr wist, liebe Louise, daß ich noch [auf] daß vom 4 April, no 27, zu andtwortten habe; also muß ich daß alte beantworten undt daß ander vor biß sambstag versparen; den sontag kan ich Eüch ohnmöglich vor gar spatt nachts schreiben, den ich bin durch madame d’Orléans eingeladen, umb mitt I. L. biß sontag in ihr hauß von Bagnolet zu mittag zu eßen. Ich hette schir Rambouillet vor Bagnolet geschrieben; den zu königs zeitten haben wir offt etliche tag dort zugebracht, drumb habe ich Rembouillet mehr im kopff, alß Bagnolet. Werden gewiß spätt wieder kommen, also will ich ein[1] biß sambstag schreiben, nachdem ich meine capittel in der Bibel werde gel[e]ßen haben. Mein brieff wirdt aber nicht lang werden können; den deß morgendts gehe ich vom könig abschiedt nehmen undt nachmittags au Carmelitte, ihnen auch adieu [zu sagen], wo eine dame mir audientz gefordert hatt, werde also nur just vor die ittaliensche commedie wieder kommen. Doch hoffe ich, sontag morgendts noch ein par wordt zu sagen. Aber zu St Clou hoffe ich wieder einzubringen, waß ich die zwey letzte posten werde verseümbt haben. Mich deücht, daß die posten nun gar richtig gehen. Sagt, liebe Louisse, ob ich nicht ursach habe, in sorgen vor meinen sohn zu sein! Vorgestern hatt man einen, so La Jonckere heist, zu Luick fangen laßen, welcher versprochen, meinen sohn zu enleviren undt todt oder lebendig in Alberonie händen zu lieffern[2]. Er hatt ihn im bois de Boulogne nur ein viertelstundt [093] verfehlt, dießen sommer verfehlt, wovor ich gott dem allmächtigen nicht genung dancken kan all mein leben. Er wolle unß ferner gnädig beystehen! Wir habens warlich hoch von nöhten. Bißher ist unß gott der allmächtige noch wunderbarlich beygestanden. Auch setze ich all mein vertrawen auff meinen gott, sonsten müste ich vor ängsten undt sorgen verzagen. Was Ihr von den Heydelberger cathegismus cittirt, erinere ich mich noch gar woll. Ich habe mein [sohn] dießen abendt geprediget undt ihm gesagt, daß er ja nun woll [sehe], daß ich kein unrecht habe, vor ihm in sorgen zu sein, wen er nachts herumbschwermbt. Ich habe den brieff ahn herrn von Gemingen woll bestelt undt ihm expres einen valet de pied geschickt. Ich dachte, er würde mir andern tags sagen kommen, daß er ihn entpfangen; aber nein, ich habe es durch die andern Teütschen erfahren müßen, die ihn gefragt haben. Daß ist noch waß rohe undt von der Parisser politesse. Es geht hir mitt meinem sohn, wie eine atzel[3] einmahl gesungen: Boße geselschafft verderben gutte sitten. Wen er ahn nichts gedenckt, kommen von den leichtfertige bursch undt verführen ihn, welche nur scheinfreündt; den in der that wißen sie woll, welche ein tord daß dolle leben meinen sohn thut, undt er will nichts begreiffen, daß es seine feindt sein undt daß sie ihn nur ahnleyttung geben, sich übel in acht zu nehmen undt bey dem popel verhast zu machen. So sachen können mich recht ungedultig machen. Mylord Stair[4] solle sich übel vorgesehen haben undt teüffelsding verpfeffert worden sein. Aber da kompt monsieur Teray undt zürnt mich; ich muß wider willen enden. Adieu, liebe Louise! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt habe Euch recht lieb.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 20. April 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 92–93
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1011.html
Änderungsstand:
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