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Brief vom 22. April 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1012.


[093]
Paris den 22 April 1719, umb halb 8 morgendts (N. 79).
Hertzallerliebe Louisse, meine 12 capittel in der Biebel seindt geleßen, den 37. 38. 39 undt 40 psalm, daß 1. 2. 3. 4 cap. in Jesus [094] Sirach, daß 22. 23. 24 capittel St Lucas undt 1 capittel evangellium Sanct Johanes[1]. Nun werde ich Eüch anderthalb stundt entreteniren, hernach mich ahnziehen undt ins closter vom Val de Grace fahren, wo mein enckel[2] von Chelle ahnkommen, umb ihre abtißin nicht abdancken zu sehen, so ihre rechnung jetzt mitt ihren nonen macht. Mein [sohn] schafft dießer abtißin eine pension von 12/m francken, biß eine andere abtey vor ihr ledig sein wirdt, und mein enckel wirdt abtißin in Chelle bleibe[n][3]. Ich glaube nicht, daß man jemahlen so eine junge abtißen, alß dieße ist, wirdt gesehen haben; den sie wirdt im Augusti erst 21 jahr alt werden. Wen ich in dießem closter werde gebett haben, werde ich wieder her, eßen undt nach dem eßen unßern Carmelitten adieu sagen; den ich kan morgen nicht zu ihnen, weillen mich madame la duchesse d’Orléan[s] zu gast in ihr landthauß gebetten, wo ich den gantzen tag bleiben [werde]. Es ist eine stundt von hir. Montag kan ich auch nicht hin; den ich bin wider zu gast gebetten bey der großen printzes de Conti zu Chosie[4]; daß schönne hauß bey 2 stundt von hir ist, so die große mademoiselle s. gebaut hatt undt monseigneur le Dauphin hinterlaßen. Der konig s. fundt aber, daß es zu weit [095] von Versaille war, macht also, daß monseigneur le Dauphin es mitt Meudon verteüschte, so madame Louvois zugehörte. Von deren erben hatt es die printzes de Conti gekaufft; ist gar ein schonner ort undt gartten lengst der Seine undt so nahe dem waß[er], daß man fischen kan; der gartten ist groß undt schon. Dinstag ist mein großer schreibtag, da gehe ich [nicht] auß. Mittwog gehe ich zum könig, abschiedt zu nehmen, nachmittags in die comedie, undt donnerstag will ich Eüch morgendts ein par wordt schreiben, hernach in kirch, von dar umb 12 in kutsch undt nach dem gutten, ehrlichen St Clou, umb den gantzen sommer dort zu bleiben, so gott will. Da wist Ihr nun meinen gantzen march[e]. Komme nun auff Ewer schreiben vom 4 April, wo ich letzmahl geblieben. Mylord Stair gespräch hatt mich mißfahlen, aber nicht erschreckt; den ich wuste woll, daß mein sohn, gott lob, gesundt war. Der arme mylord Stair, ob er zwar überall herumbgeht, solle doch gar kranck sein undt von den frantzößschen damen zu viel frantzosch gelern[t] haben. Seine tugendtsame fraw jammert mich; den so[5] könte auch woll waß davon erdapt haben. Daß mein sohn taglich in der gefahr ist, assasinirt zu werden, ist nur gar zu war. Bißher ist unß unßer herr gott noch sonderlich beygestanden; er wolle ihn ferner gnädig erhalten! Dancke Eüch vor Ewere gutte wünsche. Mich deücht, daß monsieur Lenfant zu meiner zeit schon in der frantzoschen kirch in der statt Manheim war. Bosobre ist aber nicht zu mein[e]r zeit geweßen[6]. Mein gott, liebe Louise, Ihr sagt: Man wirdt nicht müde, die zwey pfarrer zu hören. Aber ich muß es zu meiner schande gestehen, ich finde nichts langweilligers, alß predigen hören, schlaff gleich drüber; kein opium were so sicher, mich schlaffen zu machen, alß eine predig, insonderheit nachmittags[7]. Ich gienge auch [096] nicht gern in die frantzösche kirch zum h. abendtmahl; den es ist ja gantz anderst, alß bey den Teütschen undt gefehlt mir nicht. Erstlich so haben sie keine vorbereytung; zum andern so seindt die psalmen, so man singt, zu alt frantzosch, ist, alß wen man les Amadis[8] list; zum 3ten kam mir daß geblär von den kleinen buben, die die gesetz daher sagen: Tu ne mentira point, tuera point etc. alber vor undt ich konte auch nicht leyden, daß man den kelch in gläßer gab undt sie hernach spült, wie ich zu Manheim gesehen; daß fundt ich nicht erbar genung vor eine so heyliche sach, kam eher wie ein wirdtshauß herauß, alß eine kirch undt christliche gemein. Nichts wirdt mich nie hindern, meine teütsche Bibel zu leßen. Ich habe 3 recht schönne Bibeln, die von Merian, so mir ma tante, die fraw abtißin von Maubuis[s]on, hinterlaßen, eine luneburgische, so gar schön ist[9], und eine, so mir die fürstin von Oldenburg, der printzes von Tarante dochter, vergangen jahr geschickt. Die ist von meiner taille, kurtz, dick undt rundt. Der druck, noch die kupfferstuck seindt nicht so schön, alß von den andern beyden großen, sehr confüs. Wie ich in Franckreich kam, war es jederman verbotten, außer mir[10], die Bibel zu leßen; hernach über ein par jahr wurde es jederman erlaubt. Die constitution[11], so so groß lehrmen macht, hatt es wider verbiehten wollen; [097] daß ist aber nicht ahngangen. Ich lachte, sagte: Ich werde die consti[tu]tion folgen undt kan woll versprechen, die Bibel nicht auff frantzösch zu leßen; den ich leße sie allezeit in teütsch. Die Wießerin muß von den einfeltigen teütschen Catholischen sein, so nur die heylligen, aber unßern herr gott nicht kenen. Die margraffin von Baden, printz Louis gemahlin, muß auch von denen sein; ahnstatt ihren herrn sohn seine exercitzien zu lehrnen laßen undt und zu reißen, führt sie ihn in pelerinage nach Nostre dame de Lorette. Alber[12] kan mans nicht erdencken; alle menschen lachen sie hir mitt auß. Die Bibel ist eine gutte, nohtwendige undt dabey ahngenehme lecture. Ich habe Ewern kindern beydt[13] daß leydt geklagt, gestern vor 8 tagen. Mein gott, wie haben sie so groß unrecht, so betrübt über ein medgen zu sein! Mein gott, welche ein glück were es vor meinen sohn, wen er seine 3 erste döchter in dem alter verlohren hette! Mehr sage ich nichts[14]. Adieu biß nach [098] dem eßen undt der ittaliensch commedie!
Sontag, umb 9 abendts, 23 April.
Gestern war mirs unmöglich, wider zum schreiben zu gelangen, liebe Louise! Den mein sohn kam nach der comedie undt ich bekame viel [briefe], die ich leßen muste; die hilten mich auff, biß ich nach bett ging. Heütte morgen habe ich ahn mein dochter geschrieben, hernach in kirch undt von dar in kutsch mitt meinen damen undt seindt nach Pagnolet, wo wir umb halb 1 ahnkommen; hab ein wenig zu fuß spatzirt, den es war daß schönste wetter von der welt. Hernach haben wir geßen, wir wahr[e]n 11 ahn taffel; hernach hatt sie unß lottery-zettel gegeben, ein jedes hatt einen schwartzen zettel funden von allerhandt bijoux. Die fraw von Rotzenhaussen hatt ein schon goltenes estuy bekommen mitt ket undt hacken, ahn die seydt zu hencken, ich ein klein kistgen mitt ein[e]r rasp[15] und tire-bouchon[16] von golt; suma, ein jedes hatt waß bekommen. Hernach seindt wir in einen salon, so gar artig in holtz gebauet ist; da haben wir biß umb halb secks biribi[17] gespilt. Ich habe nur eine halbe pistol verspilt, hernach seindt madame d’Orleans undt ich in kutsch gestiegen undt seindt spatziren gefahren biß umb 7 uhr. Da bin ich wieder in mein kutsch undt hergefahren, umb 8 uhr ahnkommen. Ich habe in den gassen eimmer tragen sehen undt erfahren, daß monsieur de Bignons hauß gebrendt. Morgen fahre ich nach Choisie[18] zur großen printzes de Conti, so ein wenig weitter, alß Bangolet[19]. Aber da schlegt es 10 uhr; ich muß nach bett, will nur noch sagen, daß ich hir Ewer liebes schreiben gefunden von 18 dießes monts, no 29; kan nicht drauff andtwortten, nur noch sagen, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 22. April 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 93–98
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1012.html
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