Seitenbanner

Brief vom 18. Juni 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1028.


[148]
St Clou, sontag, den 18 Juni, umb 6 uhr morgendts, 1719 (N. 95).
Hertzallerliebe Louise, ich kan heütte woll umb 6 uhr ahnfangen, zu schreiben; den ich bin gestern umb halb 10 undt noch etliche minutten vorher zu bett. Den wie ich nicht mehr zu nacht eße, gehe ich gar früh schlaffen, wen ich nichts zu thun habe, undt sambstag ist der tag von der gantzen [woche], wo ich ahm wenigsten zu thun [habe], ist ein rechter sabat undt ruhetag vor mich. Ich habe noch ein schreiben von Eüch zu beantworten; den letzt verwichenen donnerstag habe ich auff Ewer letztes schreiben, liebe Louise, [vom] 3ten, no 44, geantwortet. Ich weiß noch nicht, ob ich dießen nachmittag eines von Eüch bekommen werde; kompt es aber, so werde ich es vor die andere post sparen, wo wir[1] gott leben undt gesundtheit biß da verleyhet; ich werde aber noch hir zusetzen, daß ich es entpfangen habe. Mich deücht, liebe Louisse, daß unßere brieffe nun gar richtig gehen. Gott gebe, daß es dauern mag! den es ist eine lust, frische brieffe von den seinigen zu haben. Ich muß Eüch doch fragen, weillen es mir einfelt (den ich habe es schon 3 oder 4 mahl vergeßen), ob es war ist, daß die fraw von Veningen, Ewer baß, wider verheüraht ist undt ihren vettern, deß herrn Christofel von Degenfelts sohn, geheüraht hatt, so auch oberster sein solle, wie man unß hir gesagt. Ich komme aber wieder auff Ewer liebes schreiben. Ich bin nun, gott lob, wieder zu kräfften kommen; aber so matt ich auch were, konte ich doch woll vissitten thun; den ich steyge keine stiege mehr, laß mich durch meine portechaisse tragen in einer chaisse. Unmöglich ist es mir nicht, aber gar ungemächlich, den ich erschnauff mich leicht undt habe offt kniewehe undt den krampff in den schenckeln. Drumb laß ich [149] mich alle steygen hinaufftragen; aber ich steyge sie allezeit herunder, daß kan ich woll, ohne die geringste incommoditet zu verspüren, thue es auch allezeit. Vor alle Ewere gutte wünsche, liebe Louise, dancke ich Eüch gar sehr. Ich erschrick, wen ich gedencke, daß auß[er] unßere liebe churfürstin s. undt ma tante von Maub[u]isson ich schon alter bin, alß herr vatter, fraw mutter, bruder, oncle undt tanten. Mich deücht, ich bin so zu wenig nutz in der welt, daß es woll so gutt geweßen were, wen ich mitt [den] meinigen fortgewandert werde[2]; aber es ist gottes will noch nicht geweßen, mich abzuhollen, muß also hirauff sagen, wie daß lutterisch liedt, so ich etlichmahl singe:
Ich habe mein sach gott heimgestelt,
Er mache mitt mir, wie es ihm gefelt!
Soll ich alhir noch lenger leben,
Nicht wiederstreben,
Sein willen thue ich mich ergeben[3].
Unßere duchesse de Berry, so ich gestern besucht, ist beßer, gott lob, kan aber doch noch auff keinen fuß tretten. Es seindt ihr ahn den fusollen undt zähen ahn den füßen [blasen] auffgeloffen voller waß[er]; die thun ihr so wehe, brenen, alß wens lautter geschwer wehren. Ist woll eine wunderliche kranckheit; den sonsten befindt sie sich woll, sicht auch gar nicht übel auß. Waß macht, daß sie beßer ist, ist, daß man ihr 2 mahl die woch medecinen gibt undt umb den andern tag ein clistir. Hirauß scheindt woll, daß ihre kranckheit von dem abscheülichen freßen kompt, so sie vergangen jahr gethan. Sie kam her, setzte sich in die Seine, blieb 3–4 stundt im waßer, fraß patettetten[4], kuchen, salat, schincken, würscht, allerhandt so zeüch, fuhr wider a la Meutte, spatzirte biß gegen mitternacht; den setzten sie sich wider ahn taffel undt fraßen auffs neü biß umb 3 uhr morgendts undt drauff gleich [zu bette]; wurde auch so fett wie eine gemäste ganß. Daß kan ja ohnmöglich auff die lange gutt thun; ich habe I. L. manchmahl gewahrnt, sie hatt mir aber nicht glauben wollen. Nun sagt sie, daß es ihr gereüet, mir nicht geglaubt zu haben; aber nun ist es zu spät; mitt schaden wirdt man weiß. Es ist kein aparentz, daß eine waßersucht drauß werden wirdt, aber viel eher eine potegram oder sunst gliedersucht. [150] Ihr favoritin, madame de Mouchi[5], so daßelbe leben mitt ihr geführt, ist wider umbgeschlagen undt schreyt auch ahn händt undt füßen; ihr man hatt daß pottegram gar starck. Daß hauß ist voller docktorn undt balbirer; also gleicht der artige ort la Meutte mehr einen spitahl, alß ein lusthauß. Das macht einen fiel reflectionen machen auff die eytelkeit deß menschlichen leben. In meinem alter moralisirt man leicht, liebe Louise! Pomade divine, glaube ich, were gutt vor Ewer cammermaedgen geweßen. Wen es rechte rhumatisme sein, thut es gar woll; aber, wie Ihr segt durch waß ich schon gesagt, so ist madame de Berry zustandt waß anderst. Es ist gewiß, daß caffé-drincken gliederschmertzen macht; wie ich es wider meinen willen genohmen, habe ich mehr gliderschmertzen [gehabt,] alß nun. Chocolatte soll gutte[6] vor die waßersucht. I. G. der churfürst s., mein herr [vater], hatt einmahl zu Manheim die oberste Wilderin mitt courirt. Uninteressirte domestiquen zu finden, ist etwaß gar rares in jetzigen zeitten. Ich habe Eüch ja, liebe Louise, meines sohns fieber bericht; ich meine alzeit, daß ich es gethan hette, den es war mein intention. Er ist zwar wider in gutter gesundtheit; aber ich fürchte sehr, daß es keinen bestandt haben wirdt, den er ist auffs wenigst so freßig, alß seine dochter, undt lest sich nichts wehren[7]. Ich habe Eüch schon gesagt, daß es nicht wahr ist, daß er sich über deß officier des mousquetaire todt so alterirt hatt; so tendre ist er nicht undt erschrickt nur zu wenig, wagt alleß auff galgen undt raht[8], wie die fraw von Rotzenhaussen alß pflegt zu sagen; macht mich offt recht ungedultig. Auff der gräffin von Wießer proces mitt der fürstin von Homburg habe ich letzte post auch geantwortet, drumb sage ich nichts mehr hirauff. Mich wundert, daß dießer protzes noch dawern; den die fürstin vom Humburg hatt schon einmahl gewunen. Die sach ist wegen Oberbrun. Ich habe noch nicht mitt madame la princesse wegen den freüllen von Zoettern sprechen können, kan also dießmahl noch nichts davon sagen. Churpfaltz muß mich vor entschuldigt halten; allein in affairen kan ich mich nicht mischen, will meinen sohn bitten, dem churfürsten in seiner gerechten sach favorabel zu sein; aber mich mitt den ministern herumbzubeißen, davor wolle man mich vor entschuldigt halten! Daß werde ich den herrn vitzecantzler [151] Franck überlaßen. Apropo von dießen nahmen, einer, der madame de Montespan ihr cammerdinner geweßen undt auch so heist, hab ich vergangen mitwo[ch] zu Paris gefunden; sagt, er kom[me] von Franckforth undt von Heydelberg, hette Eüch zu Franckforth gesehn undt in gutter gesundtheit gelaßen. Der vitzekantzler war gestern mitt seiner frawen hir. Die fraw von Rotzenhaussen sagte, sie hettte in den teütschen gedruckten zeittung[en] geleßen, daß man die Reformirten in der Pfaltz ahnfang zu plagen undt ihnen die h.-geist-kirch gantz nehmen wolte. Er andtwortete, daß alles falsch were, daß man sie sehr in ruhen ließe, daß woll ein geringer streyt geweßen were über einen article vom alten heydelbergischen cathegismuß[9], daß aber der streit schon beygelegt seye undt der churfürst gar gewiß den Jessuwittern kein gehör hirüber geben würde undt daß er die pfaffen gar nicht liebe. Gott gebe es! Aber wen daß ist, muß er den soldatten, der den armen captein Krug so übel zugericht, hart abstraffen laßen. Man sagt hir, er wirdt händer[10] mitt dem könig in Preüssen bekommen, daß dießer könig gar starck wirbt. Daß wer mir leydt, den daß geht doch wider über die arme Pfaltz auß. Seydt versichert, liebe Louisse, daß der churfürst durch mich nicht erfahren wirdt, daß die armen Pfaltzer Eüch ihr leydt geklagt haben! Den Wießer habe ich nicht zu sehen bekommen undt ist nicht wider zu mir kommen seyder daß mahl, da ichs Eüch bericht. Ahn den Francken, so offt [ich ihn sehe,] werde ich kein wort davon mercken laßen. Monsieur Harling hatt mir schon geschrieben, wie der könig in Englandt zu Hannover undt Hernhaussen glücklich ahngelangt ist. Ich habe Eüch auch schon der Kielmansege avanture mit ihrem dochtergen verzehlt. Daß mylord Mar[11] zu Geneve arestirt, wißen wir hir[12]. Er ist abscheülich verhast von allen Engländern, gönnen es ihm alle. Die englische nation ist eine böße, falsche, undanckbahre nation. Die meisten leütte von qualitet, so zu St Germain undt welche die königin, so dort [152] gestorben[13], alle erhalten undt es offt ahn ihnen[14] mundt undt kleyder erspart, ihnen guts zu thun, undt gar eine frome, tugendtsame königin war, gegen deren deschainiren sich alle Engländer zu St Germain, sagen taußendt lügen von ihr; daß macht mich recht ungedultig. Ich habe mylord Stair[15] lang nicht gesehen. Mylady Mardy Mar, so hoffmeisterin bey der polnische princessin sein, solle sich ihr herr auff der spanischen flotten ambarquirt haben[16]. Wie man sagt, wirdt er nicht leicht zu finden sein, undt seiner gemahlin reiße wirdt nicht ohne gefahr geschehen. Die keißerin, deß keyßers fraw mutter, undt der papst haben dießen heüraht gemacht. Der keyßer solle aber sehr böß sein, daß seine fraw mutter [ihn] in verdacht gebracht hatt, alß wen er durch die finger gesehen hette, auff waß in Inspruck vorgangen[17]. Die zeit wirdt lehren, waß dran ist. Seydt in keinen sorgen, liebe Louisse, mir zu lange brieffe zu schreiben! den waß ich nicht in einem andtwortte, geschicht in zweyen, wie Ihr [153] secht. Churpfaltz hette seine reiß nach Coblentz zu seinem herrn bruder auff den herb[s]t verschieben sollen, umb zu Bacherach gutten most, allerhandt wein undt insonderheit den gutten, gefeyerten wein[18] zu drincken; den ich habe gehört, daß der gutte herr einen gutten drunk nicht hast. Wir haben nichts neües hir. Die printzes von Wallis hatt mir eine zeittung geschrieben; so sie sich war befindt, ist es gutt vor unß, nehmblich daß zwey englisch schiff 4 spanische kriegsschiffe bekommen haben, so Fontarabie zu hülffen kommen solten, so, wie Ihr woll werdt gehört haben, die unßerige belägert haben. Ich will auch baldt gedencken, mich ahnzuziehen; den die fürstin von Holstein undt die duchesse Doursch[19] werden heütte kommen, mitt mir zu mittag eßen, undt ich habe nicht gern, daß frembte gesichter von weibsleütten mich ahn meiner toillette finden. Die erste ist weder hübsch noch heßlich, die zweytte aber monstreux. Aber wardt Ihr nicht mitt unßerer churfürstin s., ma tante, wie sie den fall zu Clef that? Sie war damahls zu Clef, würdet sie also dort gesehen [haben]. Die fürstin von Holstein hatt einen abscheülichen proces gegen ihrem herrn gewohnen dießen winter. Sie ist raisonabel, er aber der abgeschmackste, widerlichster[20] [mensch], so man sehen undt hören kan. Vor dießem kam er offt zu mir, wolte, ich solte mich aller seiner sachen ahnnehmen. Alß er gesehen, daß es nicht ahngehen konte, undt ich ihm blat herauß gesagt, daß ich mich nie ahngehen konte[21], hatt er mich mitt friden gelaßen undt ist nicht mehr zu mir kommen, worüber ich hertzlich fro bin. Weitter kan ich nun nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch all mein leben von hertzen lieb behalte.
Sontag, umb 6 abendts, 18.
Es ist eine halbe stundt, daß ich Ewer liebes schreiben vom 6 Juni entpfangen, kan aber heütte ohnmoglich drauff andtwortten.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 18. Juni 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 148–153
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1028.html
Änderungsstand:
Tintenfass