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Brief vom 15. Juli 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1035.


[175]
St Clou, sambstag, den 15 Julli 1719 (N. 3).
Hertzallerliebe Louisse, es geht morgen ein edelman nach Lotteringen. Ich muß ahn mein dochter durch dießen menschen schreiben undt auch durch die post undt sonsten habe ich morgen noch etliche brieff zu schreiben; drumb will ich heütte Ewer liebes schreiben von 1, no 52, beantworten, meinen brieff offen laßen undt morgen noch ein par wordt drein schreiben. Ehe ich aber auff Ewer andtwordt komme, muß ich Eüch, liebe Louise, vorher klagen, wie sehr ich in sorgen vor madame de Berry bin. Seyder vergangen mittwo[ch] hatt sie daß fieber bekommen undt hatt es noch. Es ist ihr eygene schuldt, sie hatt in Einem tag milch, salat, melonen undt feygen gefreßen; davon ist ihr ein abscheülich erbrechen ahnkommen undt daß fieber ist drauff gefolgt, welches woll kein wunder. Mitt allem ihrem großen verstandt ist sie mitt ihrem so gar unorden[t]lichen leben wie ein kindt von 9 oder 10 jahren. Mir ist gantz angst bey der sach; den ich finde sie jetzt zu schwach, umb daß fieber lang auszustehen können. Ich habe es schon offt gesagt, ich fürcht, ich fürcht, dieße kranckheit wirdt ein heßlich endt nehmen. Gott wolle unß beystehen! Ich werde sie heütte besuchen undt werde Eüch hernach sagen, wie ich sie gefunden. Ich sehe eine verblendung in ihrer kranckheit, so mir gantz angst macht. Gott gebe, daß ich mich in meiner meinung betriege! Nun komme ich auff Ewer liebes schreiben. Mich deücht, unßere brieffe gehen jetzt zimblich richtig; jedoch so kommen der kauffleütte schreiben 5 tag eher ahn, alß die unßere, wie Ihr in eines von den meinen werdet ersehen haben, liebe Louise! Ich bin gar nicht von meinem fall erschrocken; ich bin gar nicht schreckhafft vor mir selber, aber vor andern kan ich braff erschrecken. Alle meine blawe mahler seindt geheylt, haben sich von der hüfft biß undter dem knie gezogen, [sind] hernach gelb worden undt so vergangen. Ich habe, gott lob, eine hautt, so baldt heylt. Die letzt verstorbene [176] duchesse de Never[1] war nicht so glücklich im fahlen[2], alß ich; sie fiel in ihrer cammer über einen kirschenkern undt brach sich ein bein morsch entzwey. Ich gestehe, daß mich die duchesse de Berry von hertzen jamert. Man hatt mehr, alß taußendt, exempel, daß geschwisterkindt einander geheüraht; daß hatt nichts auff [sich]. Die fraw von Rotzenhaussen kan die absolution darauff geben; ihr man undt sie wahr[e]n ja auch geschwisterkindt. Hette die fraw von Veningen kinder gehabt, hette ich ihr daß wider-heürahten nicht gerahten; aber da sie keine kinder hatt, ist sie wie ledig. Ich finde es courageux undt kan nicht begreiffen, wie man sich resolviren kan, wider zu heürahten, wen mans einmahl gewest ist undt weiß, was es ist. Es ist ein miracle, wen ein heüraht, so auß lieb geschicht, reussirt; [es ist] gar selten. Ich habe viel gar übel gerahten sehen. Aber die ursach ist gutt, einen man zu haben, umb seine proces undt affairen zu führen; daß ist eine rechte ursach, umb sich wider zu heürahten; den es ist gewiß, daß es eine zu große sach vor eine junge dame ist. Ihr habt große recht, nicht gern zu sehen, daß Ewere baß einen frembten bekommen hette; daß solte ihre mutter betrachten. Ich bilde mir ein, weill die dochter mittel hatt, daß sie es gern einem verwanten von ihrer seytten gegönt hette undt daß dießes die betrübtnuß verursacht. So geht es in der welt; man hört undt sicht nichts mehr, alß betrübtnuß. Nun werde ich eine pausse machen; dieß[en] nachmittag ein mehrers.
Sambstag, den 15 Julli, umb halb 6 abendts.
Es ist heütte eine solche unaußsprechliche hitze, liebe Louise, daß es mir ohnmöglich geweßen, zum schreiben zu gelangen; habe 3 brieff von der post entpfangen, einen von 13 bogen von der königin von Sicillien, einen von meiner dochter undt noch zwey andere, die habe ich geleßen, eines von monsieur Harling, daß andere von seigneur Ortence. Nun leütt man ins gebett undt hernach werde ich a la Meutte zu madame de Bery.
Sontag, den 16 Julli, umb 7 morgendts.
Ich war gestern abendts umb 9, wie ich wider nach hauß kam, so abgematt, daß ich ohnmoglich ein wordt schreiben konte. Madame [177] de Berry hatt umb 8 uhr ihr redoublement bekommen, hatt daß fieber sehr. Man hatt ihr gestern zum 3ten mahl seyder donnerstag zur ader gelaßen; sie jammert mich von hertzen. Wie ich ihr den pulß fühlte, wolte sie mir mitt aller gewahlt die handt küßen; daß hatt mich gantz attandrirt, bin recht betrübt. Ich komme aber wieder auff Ewer liebes schreiben, wo ich gestern geblieben war. Der duc de Schonburg muß dem todt wider entloffen sein; den were er gestorben, hette es mir die printzes von Wallis geschrieben, undt die sagt kein wort von ihm in ihren letztem schreiben. Hertzliebe Louisse, ich wolte, daß ich Ewern niepcen undt neveux, die schonburgische kinder, dienen könte; aber waß kan ich ihnen hir nutz sein? Worinen Caroline beßer; alß ich, geschrieben, war, daß ihre handt undt bu[ch]staben gar gleich wahren; die meinen aber seindt es nie, auch meine handt nicht so ferm und manlich, alß die ihre war. Ewer handt aber ist schönner undt gleicht viel ahn Ewerer fraw mutter handt[3]. Ich hoffe, Eüch baldt zu berichten können, daß St Sebastien, so der duc de Barwick[4] jetzt belagert, auch baldt über sein wirdt. Es sterben aber viel von der armée von der sonnen undt abscheülichen hitze. Ich glaube, es wirdt unß hir baldt auch so gehen; den die hitze, so man seyder 3 tagen hir außstehet, ist nicht zu begreiffen[5]; man kan nicht schlaffen undt ist immer in vollem schweiß. Mein docktor kompt mir alleweill sagen, daß er a la Meutte wider gehe, wo er dieße nacht biß umb zwey geweßen; er fürcht den transport, wirdt also madame de Berry rahten, zu beichten undt daß h. abendtmahl zu entpfangen. Ich bin recht [betrübt.] Ewer liebes schreiben ist vollig beantwortet, bleibt mir also nichts mehr überig zu sagen, alß daß ich Eüch von hertzen lieb behalten, in welchem standt ich auch sein mag.
Elisabeth Charlotte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 15. Juli 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 175–177
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1035.html
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