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Brief vom 20. Juli 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1036.


[177]
St Clou den 20 Julli 1719, umb 7 morgendt (N. 4).
Hertzallerliebe Louise, madame de Berry ist noch nicht todt, ich fürchte aber, es wirdt baldt mitt ihr auß sein; den es fengt [178] ahn, zu donnern, undt daß ist eine gefahrliche sache vor leütte, so todtlich kranck sein. Ich führ jetzt ein gar betrübtes leben, alle nachmittag fahr ich a la Meutte, so mehr, alß eine gutte stundt, von hir ist, bin bey unßerer krancken, wo es eine greüliche hitze ist, bin von halb 4 biß halb 8 in ihrer kammer mitt gar betrübten hertzen, wie Ihr leicht gedencken könt; den ich sehe meinen sohn hertzlich betrübt, daß es mich durch die seelen[1] … Die mutter jammert mich auch. Ich erhalte doch meine threnen umb die krancke[2], welche aber gar zu sterben resolvirt [ist]; sagte gestern, sie sterbe gern, weill sie sich ja doch mitt gott versöhnt hette undt daß, wofern sie lenger leben solte, sie vielleicht sich wider gegen ihrem gott versündigen könte, wolte lieber sterben. Daß hatt unß alle so touchirt, daß ich es nicht außsprechen kan. Sie ist in der that ein gutt mensch; hette die mutter mehr sorg vor sie gehabt undt sie beßer erzogen, were nichts, alß lautter guts, auß ihr geworden. Ich gestehe, daß mich ihr verlust recht zu hertzen geht undt in der seelen betrübt. Jedoch, liebe Louise, will ich auff Ewer liebes schreiben vom 4 Julli, no 53, [antworten.] Es ist mir lieb, das Ihr meine schreiben so richtig entpfangt. Von meinem fall hab ich gar nichts verspürt; es war keine große sach. Man weiß hir nicht, was irländisch schifferstein[3] ist; man brauchts hir nicht undt in gantz Paris konte man keines finden. Aber ich hatte, gott lob, nichts von nöhten. Alle blaue mähler seindt gelb worden undt verschwunden undt ich habe nichts gefühlt. Waß ich nun von meiner betrübtnuß fühle, ist woll schmertzlicher; den daß hertz klopfft mir immer, wen ich sie[4] nicht sehe, undt wen ich sie sehe, betrübt mich undt jammert mich ihr standt von hertzen; führe allso ein gar trawerliches leben, insonderheit seyder 8 tagen. Unßer herrgott wolle unß beystehen! Wir habens hoch von nöhten, insonderheit mein sohn, welcher mich zittern macht. Aber last unß von waß anderst reden! Dießes ist gar zu betrübt. Waß Ihr rohtes in meinem briff gesehen, wahr himbern, so ich geßen hatte, undt die farb war mir ahn den fingern geblieben, womitt ich mein papir halte. Der papagayen-dreck stinkt nicht sehr, undt die hundt, daß laß ich gleich wegtragen. Ich sehe woll, daß Ihr die hunde nicht liebt; den wen [179] Ihr sie so lieb hettet, wie ich, würdet Ihr gedult mitt ihren schwachheitten haben, insonderheit, wen Ihr ein hündtgen hettet, wie die Reine incognue, daß alles verstehet, wie ein mensch, undt kein augenblick von mir sein kan, ohne bitterlich zu weinen undt zu heüllen. Auch kompt sie nie von mir, alß in der zeit, daß ich bey madame de Berry bin; da laß ich sie in der kutsch; die betrübtnuß ist groß, aber die freüde auch, wen sie mich wider sicht. Sorgen geben die hundt, aber sie machen sich sehr beliebt, wen sie trew sein. Ihr habt woll ursach, zu erschrecken in dem abscheülichen brandt von Franckfort; nichts ist schreckhafter; es hatt mich recht gejamert, aber vor Eüch war ich in großen sorgen. Ich solte meinen, daß der schaden über viel millionen geben solte, wo 600 heüßer verbrandt undt eingeäschert sein. Diebstahl undt brandt seindt allezeit beysamen. Den soldatten solte man woll hart abstraffen, so den armen man mitt dem gebrochenen arm bestohlen hatt. Die fraw von Frießensee, wie woll unbekandt, ist doch zu betawern, umb alle daß ihrige gekommen zu sein. Daß man pulversack gelegt gefunden, solte glauben machen, daß man die statt mitt fleiß gebrendt hatt. Wer kan aber eine solche boßheit unterfangen haben? Ich dancke vor die vers undt lieder; leße gern solche sachen. Nun die blatter chiffrirt sein, ist nichts dran gelegen, den alßden kan man sich nicht betriegen undt alles geschwindt wider finden. War der trumeschläger[5] kein Schweitzer? Den ordinari dieße nation so exact in ihrer ordre sein. Wie ich erst in Franckreich kam, wolte ich nachts im gartten zu Versaille spatzir[e]n; der Schweitzer, so die wacht hatte, wolte mich nicht durchlaßen. Ich sagte zu ihm: Gutter Schweitzer, last mich spatziren! Ich bin deß könig bruders fraw. Hatt der könig den ein bruder? sagt der Schweitzer. Ich sagt: Wist Ihr das nicht? Wie lang dint Ihr den dem könig? Er sagte: 30 jahr. Ich sagte: Wie? Wist Ihr den nicht, daß der könig ein bruder hatt? Man macht Eüch ja daß gewehr nehmen, wen er vorbeyfährt. Ja, sagt der Schweitzer, wen man die trumel schlegt, nimb ich daß gewehr. Waß gehts mich ahn, vor wem es ist? Ich habe nie gefragt, ob der könig weib, kinder oder bruder hatt; da frag ich nichts nach. Ich habe den könig hertzlich mitt dießem dialogue lachen machen. Ich habe [180] gestern die fraw graffin Wißerin gesehen; die rümbt sich sehr, daß Ihr ihr alles guts gethan, wie sie noch ledig war. Aber nun muß ich eine pausse machen.
Donnerstag, den 20 Julli, umb ein 1/4 auff 4 nachmittags.
Wie ich von taffel, ist so ein starck wetter komen, daß es nicht hell genung in meinem cabinet war, umb zu schreiben. Seyderdem hatt mir der graff von Königseeck[6] sagen laßen, er werde biß sontag von hir weg; den er habe ordre, die ertzhertzogin nach Saxsen zu führ[e]n. Es ist mir hertzlich leydt, daß er hir weg wirdt; den es ist ein rechter ehrlicher man, welchen mein sohn undt ich sehr estimiren. So baldt ich ihn werde gesehen haben, werde ich a la Meutte, wo es bißher woll gangen; ich fürchte aber, diß donnerwetter wirdt alles verderben. Dießen abendt umb 9 werde ich Eüch sagen, wie ich alles gefunden. Aber ich gestehe, es ist mir wegen deß donn[e]rwetter bang dabey. Gott stehe unß bey! wir habens hoch von nohten. Die graffin Wießerin versicherte mich noch gestern, daß alles woll vor die Reformirten stündt undt der churfürst ihnen zu Heydelberg in nichts in ihren kirchen troublirte undt alle freyheit … Ich soutenirte, daß ich daß contrarie wüste undt sie sehr geplagt wehren undt keine freyheit hetten[7]. Noch muß ich ein wenig in die kirch, betten, ehe der ambassadeur kompt; hernach werde ich a la Meutte, wie schon gesagt, liebe! Gott gebe, daß ich nichts betrübters dort finde, alß ich schon weiß! Daß übrige von Ewern briff spare ich biß dißen abendt in meiner zurückkunfft.
Umb ein viertel auff 5 abendts.
Der abgesante ist noch nicht kommen; ich erwartte ihn mitt großem verlangen. Biß er aber kompt, will ich Eüch, liebe Louise, entreteniren. Ich entpfange in dießem augenblick Ewer liebes schreiben vom 8 Julli, no 54. [Es] ist mir von hertzen leydt, darauß zu ersehen, daß Ihr Eüch abermahl so übel von dem abricossen-eßen befunden. Ihr soltet ein solch obst nicht eßen, so Ihr wist, daß Ewerm magen so schadtlich ist, so schon [durch] den abscheülichen schrecken, so Ihr außgestanden, geschwecht kan sein. Gott [181] woll Eüch wider eine volkommene gesundtheit verleyen! Da kompt der ambassadeur, muß also auffhören undt biß, wie ich schon gesagt, biß nach der Meutte.
Donnerstag, den 20 Julli, umb 9 abendts.
Da komme ich von la Meutte, woll von hertzen betrübt. Ich habe die arme duchesse de Berry in einem redoublement gelaßen, so ich vor eine agonie halte; den sie kendt nicht mehr[8], ist bleich worden, welches noch nicht geschehen, seyder sie kranck, hatt einen bößen pulß undt einen starcken schlucken; zweyffel nicht, daß sie dieße nacht drauff gehen wirdt, welches mir woll hertzlich undt in der seelen leydt ist. Händt undt bein zittern mir noch; ich kan mich noch nicht wider erhollen. Gott wolle unß undt insonderheit meinem sohn beystehen undt vor kranckheit behütten! sonsten müste ich verzagen. Sagt der fürstin von Ussingen, daß ich endtlich ihren brieff gefunden, so ahm paquet geklebt war, undt meinem sohn durch einen pagen geschickt! Sie solle nun weytter in keinen sorgen [sein]. Ich schwitz, daß mir die hellen tropffen vom gesicht fallen, hab vapeurs undt bin saisirt[9], muß also vor dießmahls nichts mehr sagen, alß daß, in welchem standt ich auch sein mag, so werde ich doch allein bleiben, biß die rey ahn mich [kommt], mitt derselben lieb undt affection, alß ich Eüch, liebe Louisse, allezeit versprochen habe.
Denckt ahn Ewer gesundtheit, liebe Louise! Wen Ihr gutten vin d’Alicant[10] hettet, würdet Ihr baldt couriren; nicht[s] ist beßer von[11] indigestion von obst.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 20. Juli 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 177–181
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1036.html
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