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Brief vom 20. August 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1045.


[210]
St Clou den 20 Augusti 1719, umb 6 morgendts (N. 13).
Hertzallerlieb[e] Louisse, Ihr werdt finden, daß ich früh ahnfange, zu schreiben; aber ich kan heütte woll früh auffstehen, den gestern bin ich umb halb 10 nach bett. Ich führe gestern abendts, nachdem ich die audientz des desputtes de Languedoc gehabt mitt einer großen haranguen vom bischof d’Alay[1], fuhr ich a Madrit im bois de Boulogne zu Chausseray[2]. Die schenckte mir gar eine magnifique goltene schachtel. Ich fuhr umb halb 8 wider her; es war daß schönste wetter von der welt, weder war[m] noch kalt, undt kein staub. Ich schrieb nur ein par wort ahn einer dame zu Paris, schluckt mein ey, zog meine uhren auff, undt den zu bett, sagt jenne braut, wie daß sprichwort lautt. Nun sitz ich in meiner cammer geratt vor der thür von meinem balcon, so ich auffmachen laßen. Es geht nicht der geringste windt, der himmel ist gantz mitt wolcken überzogen, man sicht die sonne nicht, es ist gar ein samfft wetter jetzt, weder kalt noch warm; ich hoffe, es wirdt noch rechnen[3]. Ich will jetzt auff Ewer liebes schreiben vom 1 dießes monts beantwortten; den daß vom 5ten bekame ich vergangen donnerstag so zu gutter zeit, daß ich es vollig beantwortten konte, hab aber dießes vom 1 noch vor heütte gespart. Ich gestehe, daß mir der todt der duchesse de Berry sehr zu hertzen gangen; es war woll ein recht erbarmblich spectacle, es graust mir noch, wen ich dran gedencke. Mein sohn befindt sich, gott sey danck, noch woll, außer daß er nicht gehen kan, weillen er (wie ich glaube, daß ich Eüch, liebe Louise, schon gesagt habe) einen fuß vertretten in seinen nächtlichen promenaden. Ich hatt[e] ihn umb gottes willen gebetten, nachts nicht so zu spatziren; er hatte es mir auch [versprochen,] aber die böße rahtgeber undt ertzschelmen, so ihn umbringen undt von seiner gütte mißbrauchen, haben ihm ein anders persuadirt. Gott verzey mirs! nun er keine schmertzen mehr ahm fuß hatt, ist es [211] mir schir nicht leydt, das er nicht gehen kan; den daß wirdt die nachtliche spatzirgänge, welche mich so sehr ängsten, verhindern. Freyllich ist gottes weißheit undt vorsehung in alles [zu] preißen, zu loben undt zu dancken; er weiß beßer, war[4] unß gutt ist, alß wir selber; kan die nicht begreiffen, so ihr vertrawen nicht auff gott setzen wollen. Es ist gewiß, daß die duchesse de Berry gar ein tröstliches endt genohmen hatt. Vor alle Ewere gutte wünsche dancke ich Eüch sehr, so Ihr thut sowoll vor meinem sohn, alß vor mich. Er hatt hoch von nohten, daß fromme seelen vor ihn bitten; den er hatt boße undt viel schlimme feinde. In dießer welt, liebe Louisse, findt man mehr betrübtnuß, alß lust, insonderheit wen man alt wirdt, wie ich nun leyder bin; da entpfindt man gar selten freüden, man ist mehr zur trawerigkeit geneigt. Große ambition, gar alt zu werden, habe ich gar nicht; ich wünsch noch scheüe den todt nicht, aber ein großes alter, da man andern undt sich selber zur last wirdt, da graust mir vor, daß muß ich gestehen. Ohne sünde lebst[5] kein mensch, doch eines mehr, alß daß andere. Da ist ja nichts übels ahn, liebe Louisse, daß der todt von madame de Berry in den teütschen zeydungen gestanden. Daß wusten wir ja schon nur gar zu woll, wie die arme duchesse de Berry just freytag morgendts zwischen 2 undt 3 verschieden, undt [da] es eben postag war, hatt es über hin konnen geschrieben werden. Boße zeittungen gehen geschwinder, alß die gutten. Ist es nicht all eins, liebe Louise, in seinem seßel oder auff seinen kackstuhl zu sterben?[6] Auff dießes letzte ist es sauberer, da lest man nichts ins bett gehen. Der duc de Schonburg, wie ich sehe, ist im selben mont undt auff den tag gestorben, alß er geborn ist[7]. Geschicht es mir, so muß ich im Mayen undt auff einen montag sterben[8]. Er konte nicht viel alter, alß 78 jahr alt, sein; den wir haben ja seinen herrn vatter[9] so lang gesehen undt er war nicht der elste sohn. Ehe ich [212] graff von Degenfelts brieff entpfangen, hatte ich schon Coubert vor die schonbergische kinder außgebetten. So baldt mans ihnen geben, könt Ihr woll [denken,] daß sie es genießen werden, wie ihr herr vatter es genoßen hatt. Wen sie es verkauffen wollen, weiß ich ihnen zwey kauffleütte vor einen. Schreibt mir nur, bey wem sie sich ahnmelden müßen (sie haben mich drumb gebetten), undt schreibt mir, waß es kost! Daß ist etwaß rares, daß schwäger einig sein, ist aber löblich undt ein zeichen, daß sie beyde ehrliche leütte sein. Es soulagirt mich recht, wen ich gedencke, daß Ihr, liebe Louise, nicht mehr so sehr mitt den affairen von den schonburgischen güttern werde[t] geplagt sein. Ich kan leicht begreiffen, daß Ewer schwager Eüch doch threnen gekost. Es war noch nicht lang, daß Ihr den armen menschen gesehen hatt, undt zu dem so habt Ihr auch Ewere niepcen lieb genung, umb ihre betrübtnuß zu entpfinden. Ich finde auch, daß es woll schadt ist, wen ein gutt alt teütsch geschlegt außstirbt. Ich meint aber, es wehren noch schonburgische in keyßerlichen dinsten. Waß soll aber nun graff Degenfelt hindern, wen er seine sachen wirdt außgemacht haben, nach Teütschlandt wider zu gehen? Ich bitte, sagt mir doch, liebe Louisse! wirdt mylord Holdernesse[10] duc werden ahn seines schwigervatters platz? Die landtgräffin von Homburg undt ihre schwester haben ihren protzes nun schon zum 4ten mahl tout d’une voye[11] gewohnen. Ich weiß nicht mehr, wie man diß auff Teütsch sagt; ich glaube aber, daß es mitt einhelliger stimme ist. Unter unß gerett, so gefehlt mir der graff von Leiningen gantz undt [gar] nicht; ist hardy undt nicht gerecht. Es ist nicht genung, wen man regirender herr ist, wie Churpfaltz, daß man seinen unterthanen selber nichts zu leydt thut; man solle sie auch gegen böße pfaffen beschützen undt ihnen nichts leydts geschehen laßen. So meine ichs allzeit, insonderheit waß kirchen-gefahle[12] undt gerechtigkeitten ahnbelangt. Weillen die Badenische auch theil ahn Creütznach haben, müßen dort mehr pfaffen undt monchen sein, alß anderwerts, undt von dießem zeüg kompt sein leben nichts gutts, undt wie daß teütsche sprichwort sagt: Wer will haben zu schaffen,
Der nimb[13] ein weib
[213] Undt kauff eine uhr
Undt schlag einen pfaffen!
For[ch]t[14] nie, liebe Louisse, daß Ihr es [mit] Ewern brieffen zu lang machen könt! Den ob Ihr mir zwar 21 seytten geschrieben, so seindt sie ja doch alle nur in 7 beantwortet, habe doch kein article überhüpfft. Also segt[15] Ihr woll, daß Ewer schreiben nicht so groß sein, als Ihr woll selber meint. Alle die so große respect, so Ihr last[16], nehmen viel papir ein. Ich hoffe, dießen nachmittag noch ein liebes schreiben von Eüch zu bekommen. Wir haben nun gantz undt gar nichts neües hir. Ich glaube, ich habe Eüch schon gesagt, wie 2 stättger hir in Franckreich gantz verbrendt sein. Von Ste Menehou ist nichts über blieben, alß 2 clöster undt 6 heüßer undt a la Charité seindt 1300 heüßer eingeäschert worden[17]. Man hört undt sicht nichts, alß unglückliche sachen überall. Gott stehe unß bey! wir habens hoch von nöhten. In deßen schutz befehle ich Eüch undt unß alle undt seydt versichert, liebe Louise, daß ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalte!
Sontag, den 20 Aug., umb 4 uhr nachmittags.
Hertzliebe Louisse, ich habe Ewer liebes schreiben vom 8, no 63, zu recht endtpfangen, werde aber, wie ich schon gesagt, heütte nicht andtwortten; den ich muß gleich in die kirch undt hernach noch ein par brieff schreiben. So mir gott daß leben undt gesundtheit biß donnerstag erhelt, werde ich drauff andtwortten.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 20. August 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 210–213
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1045.html
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