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Brief vom 27. August 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1047.


[216]
St Clou den 27 Augusti 1719 (N. 15).
Hertzallerliebe Louise, ich habe Eüch schon vergangenen [217] donnerstag gesagt, wie daß ich Ewer liebes schreiben vom 12, no 64, zu recht entpfangen habe; werde hiemitt drauff andtwortten. Von meinen husten werde ich nichts mehr sagen; den ich bin, gott sey danck, nun schon lengst wider in volkommener gesundtheit, wie Ihr, liebe Louisse, auß meinen schreiben werdt ersehen haben. Wir haben hir recht unbeschreibliche hitz außgestandten undt es kan undt will nicht regnen. Seyder 3 tagen, daß wir auß den hundtstagen sein, ist es abendts undt morgendts doch leydtlicher. Vergangen freytag war noch eine erschrecklich hitze; ich hatt mein balcon offen biß umb 9 abendts, habe also daß feüerwerck des Thuilleries, so man alle jahr macht, den St Louis zu feyern, weillen es deß königs nahmentag ist, [gesehen,] alß wen ich dabey were. Es ist aber übel abgeloffen, wie man mir freytag gesagt; den 7 personnen seindt im zulauff vom pöpel erstickt worden, undter andern eine schwangere fraw undt ein abbé[1]. 8 schelmen undt filoux haben die presse gemacht, umb zu stellen[2], haben einem armen metgen die coiffure vom kopff gerißen, weillen es hübsche spitzen wahren. Daß schwitzen hatt mich nicht courirt, sondern der grüne safft, so mich in 2 tag 14 mahl purgirt hatt undt alle die galle vertrieben, so mir allein den abscheülichen husten verursachet. Lenor trendelt[3] noch ein wenig mitt ihrer gesundheit, ist doch wider beßer undt wider lustig. Ewer gutter wunsch vor mich hatt auch gar woll reussirt; dancke Eüch sehr davor, liebe Louisse! Aller ortten hört man zwey sachen klagen, die hitze undt die verfluchte wandtleüße; die haben mich noch die gantze nacht gedrilt[4]. Die printzes von Wallis schreibt mir, daß man in gantz Londen drüber klagt, undt die königin von Sicill[i]en schreibt, daß man ihr gantz bett voller wandtleüß gefunden hatt. Paris ist voller krancken undt es sterben so unerhört viel leütte ahn den hitzigen kranckheytten, alß kinderblattern, röttlen, fleckfieber undt dergleichen, daß man nicht genung begraben kan. [218] Mein enckel, der duc de Chartre, war gestern abendts hir, gott sey [dank], in perfecter gesundtheit, waxst starck, wirdt gewiß großer, alß sein herr vatter[5], werden. Er hatt gar ein gutt gemüht, der bub, ist noch in gutten händen, aber wen er unter die böße junge leütte wirdt kommen sein, muß man sehen, ob er sich nicht verderben wirdt, wovor ich leyder nicht schwehren wolte. Madame de Berry hatte daß gantz apanage von ihrem herrn s.; daß hatt der könig nun wider sambt der pension von 660/m. francken deß jahres[6]. Die schulden fallen meinem sohn alß erben heim; über alle besoldung, so sie allen ihren leütten seyder zwey oder 3 jahr schuldig ist, muß mein sohn noch 4 mahl hundert taußendt francken zahlen, so sie schulden gemacht hatt; ist abscheülich bestohlen worden. Alle ihre bedinten scheinen sehr getrost von ihrer verlust. Ja, liebe Louise, ich bin auch getröst auß viel ursachen, so ich nach ihrem todt erfahren undt welche sich nicht schreiben laßen. Wen mir gott der allmachtige nur meinen sohn undt seinen sohn erhelt, kan ich nichts in der gantzen famillen verliehren, so mich in die eüßerste betrübtnuß stecken könte. Ich bin noch bang vor hertzog Ernst August; den sein cammerdiner hatt ahn oberstalmeister Harling gesagt, daß, ob er zwar außgeht, fühle er doch noch zu zeitten stich in der seytten fühlt[7]; daß macht mich fürchten, daß sich ein geschwer dort formirt. Daß obst ist sehr ungesundt diß jahr; melonen undt cider[8] schicken sich nicht zusammen. Melonen werden mich nicht kranck machen; ich liebe sie nicht sehr, eßen[9] nicht 3 mahl davon in einem sommer; sie steygen einem so sehr auff, daß kan ich nicht leyden, eckelt mir. Ich habe all mein leben hertzog Ernst August lieber, alß den könig in Englandt; hatt mir, wie er hir war, mehr freündtschafft erwießen. Ich glaube, ich habe Mustapha hir gesehen, daß daß pruckerhandtwerck hir gelernt hatt; schin[10] gar ein gutter mensch zu sein. Der brunen zu Seltz muß nicht scharff sein, weillen er den husten courirt. Die Tartarn seindt boßhafftige leütte, aber die rechten Turcken seindt ordinari gutt. Ich glaube, daß die englische lufft mir gar ungesundt sein würde; den wie ich [nach] Dunkercken[11] kam in die seelufft, wurde mir [219] undt noch viel andern daß maul gantz grindich, alß wen wir daß fieber gehabt hetten. Ich kene, glaube ich, den Schullenburg, hatt ein hübsch gesucht[12]; ich habe ihn hir mitt einen printzen von Holstein gesehen, hatte ein hübsch gesicht undt gar lebhaffte farben. Der elste bruder ist von Venedig nach Corfu gereist, gewiß den krieg dort fortzuführen. Er ist aüff ein englisch schiff mitt 40 bedinten hingereist, hatt doch sein hauß noch voller bedinten gelaßen, er lest sich dort nicht lumpen[13], wie Ihr secht. Seine schwester ist unter Ewer[e]m befehl geweßen; alßo woll billig, daß sie Eüch besucht. Ich weiß[14] ihrer tante neüen nahmen, ist mir aber auch entfahlen. Ich glaube, daß wenig leütte in der welt sein, wonach der könig in Englandt fragt. Wen man in einer lufft steckt, so einem ungesundt ist, sicht man allezeit übel auß. Wen ich zu Paris wohne, sehe ich auch übeller auß, alß hir undt zu Versaille undt Marly undt Fontainebleau. Ich bin fro, liebe Louise, daß Ihr woll außsegt; den daß ist ein zeichen, daß Ihr nun, gott lob, in gutter gesundtheit seydt. Der allmachtige wolle Eüch lange jahren dabey erhalten! Daß freüllen von Schulenburg wirdt weniger endern, alß die, so sich schminken; daß macht die leütte zuletzt abscheülich, wie wir hir ahn der Grançay[15] gesehen haben, so unkenbar geworden war. Es geschicht so leicht, daß man sich im schreiben [irrt und] einen bu[ch]staben vor den andern [setzt]. Ihr seydt nicht die eintzige, liebe Louisse, so sich in den frantzöschen wörttem ihret[16]; schir alle weibsleütte, frantzösche damen selber, wißen die orttegraff gar schlecht. Ich glaube, daß ich jetzunder schir die frantzösche ortograffe beßer weiß, alß die teütsche; den ich leße schir nicht mehr [Deutsch], habe der zeit nicht. Undt unßere liebe printzes von Wallis ortografirt. bitter übel[17], hatt schreiben nur von [220] sich selber gelernt, also gar kein wunder, daß es in dießem stück schlegt[18]; ich bins aber lengst gewohnt undt leße es nun gar woll; aber im ahnfang habe ich ein wenig mühe gehabt. Sie schreibt gar artig undt [an]genehm, waß den verstandt ahnlangt. Ich mögte von hertzen wünschen, liebe Louise, einige gelegenheit zu finden, Eüch undt die Ewerigen zu dinnen undt gefahlen zu erweißen; bißher hab ich diß glück noch nicht finden können. Ich habe noch einen brieff von herrn graffen von Degenfelt zu beantwortten undt von seiner gemahlin, habe aber noch nicht dazu gelangen können; werde es thun, so baldt ich ein augenblick zeit finden werde. Man muß die leütte in Englandt woll balsamiren, daß man sie so lang unbegraben behalten kan. Es ist etwaß sehr rares, eine theillung ohne streydt zu sehen. Ich bin fro, daß Ihr nicht dabey sein werdet; den man erwirbt ordinarie in solchen sachen nicht[s,] alß undanck; die raisonablesten wißen offt in solchen fällen, wißen offt selber nicht, waß sie thun. Daß sprichwort sagt: Große herrn undt große gewäßer zu nachbarschafft zu haben, da befindt man sich nie woll bey. Aber nun muß ich meine pausse machen. Dießen nachmittag werde ich dießen brieff vollig außschreiben.
Den 27 Aug., umb 3/4 auff 5 abendts.
Wir kommen jetzt auß der kirch. Gleich nach dem eßen bin ich entschlaffen; den die hexsen-wandtleüß haben mich dieße nacht [221] so geplagt, daß ich keine 2 stundt habe nach einander schlaffen können, habe also woll ein wenig nach dem eßen schlaffen müßen. Zuvor, ehe ich entschlaffen, hatt man mir meine briffe von der post bracht, unter andern einen von Eüch vom 15, no 65. Auff dießem aber werde ich heütte nicht andtwortten, sondern nur auff waß ich vom ersten zu sagen habe undt wo ich heütte morgen geblieben war, nehmblich ahn daß die schonbergische gütter so viel große herrn zu nachbarn haben. Die pfaffen müßen sehr ahm pfaltzischen hoff regiren, daß es so doll ahm pfaltzischen hoff hergeht; den wo die die oberhandt bekommen, da muß ungerechtigkeit die oberhandt haben undt lautter partialitetten. Ich habe etliche Teütschen gefragt, obs war wer, daß der fürst von Siegen todt ist, aber kein mensch weiß nichts davon, glaube also nicht, daß es war ist. Die meisten leütte, so in den sauerbrunen reißen, gehen nur hin, sich zu divertiren. Wie habt Ihr Ewer lossement, so Eüch gemachlich ist, im Schlangenbadt nicht auffhalten laßen, damitt mans Eüch nicht nehmen mag? Es ist mir leydt, daß Ihr kniewehe habt; den davon courirt man gar selten; ich weiß es leyder auß experientz[19]. Mein enckel, der duc de Chartre, hatt mir dießen abendt seinen escuyer geschickt undt mir sagen laßen, daß sein herr vatter ihm ein gouvernement vom duc de la Feuilliade gekaufft hatt, nehmblich daß vom Dauphine[20]. Mein sohn hatt hirin sehr woll gethan. Nun habe ich ordendtlich auff Ewer liebes schreiben geantwortet undt alles gesagt, waß ich weiß, undt ich muß noch einen großen brieff ahn mein dochter schreiben, kan also vor dießmahl nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch, liebe Louisse, allezeit von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 27. August 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 216–221
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1047.html
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