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Brief vom 3. September 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1049.


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St Clou, den 3 September 1719 (N. 17).
Hertzallerliebe Louise, ich habe Eüch schon vergangenen donnerstag gesagt, wie daß ich Ewer liebes schreiben vom 19 Aug., no 66, zu recht entpfangen habe. Von meiner gesundtheit werde ich nichts mehr sagen; den sie ist nun, gott seye danck, gar volkommen. Ich müste in den letzten zügen sein, liebe Louise, wen ich Eüch nicht meinen zustandt berichten solte, weillen Ihr Eüch so sehr davor interessirt. In meinem alter, so nahe bey den 70, ist keine groß starck zu erwartten undt muß man auff nichts, alß abnehmen, zehlen. Unßere s. churfürstin pflegte mir alß zu sagen: Man muß sich resolviren, der welt lauff zu folgen; denn unßer herrgott wirdt nichts neües vor unß machen. So gedencke ich auch, liebe Louise, undt verwundere mich gar nicht, wen ich meine starcke undt kräfften je mehr undt mehr abnehmen sehe. Vor Ewere gutte wünsche bin ich Eüch doch sehr verobligirt, liebe Louise! Madame de Chasteautier[1] kent Eüch von réputation; abbé de Thesseut[2] hatt ihr viel guts von Eüch gesagt. Lenor ist, gott lob, gantz wider gesundt; der appétit ist ihr wider kommen. Madame de Chasteautier filtzte sie gestern, daß sie ein groß stück brodt aß. Lachen ist etwaß rares bey unß worden[3]; doch lacht die Rotzenheüsserin noch eher, alß ich. Mein sohn kam vergangen freytag her undt machte mich reich, sagte, er fünde, daß ich zu wenig einkom[m]en hette; hatt es mir also von 150/m. francken vermehret[4], undt weillen ich, gott lob, keine schulden habe, kompt es [229] mir apropo, umb mich die überige zeit, so ich noch zu leben habe, a laisse[5], wie man hir sagt, setzen, können also ohne scrupel kirbe …[6] Unßere liebe printzes von Wallis ist, wie mich deücht, allezeit im gutten humor undt lustig. Gott erhalte [sie dabei]! Aber ich verspüre, daß das alter die lust sehr vertreibt. Ich ware auch vor dießem lustig von humor, aber die verlust der seinigen undt sonsten vertrießlichen sachen, meines sohns heüraht undt waß noch drauff erfolgt, hatt mir alle lust benohmen undt sehr stämich gemacht, so sich doch jetzt zu meinem alter schickt. Ewer neveu undt niepce von Degenfelt seindt noch nicht ahnkommen. Ewer schwager s. hatt[e] gutt courage, fehlte nicht von verstandt, hatte aber einen humor, so incompatible war, hatt allezeit hir vor passirt[7]. Graff Carl[8], sein bruder, machte sich mehr beliebt bey alle menschen. Der elste[9] muß vor dem vatter gestorben sein, daß der nicht duc geworden ist. Ich habe woll gedacht, daß Ewer schwagers todt Eüch zu hertzen gehen würde. Aber Ihr thut doch woll, es Eüch auß dem sin zu schlagen; man muß distraction suchen. Die Mouchi[10] war woll die unwürdigste favoritin, so man jemahlin gesehen, hatt ihre fürstin betrogen, belogen undt bestohlen. Sie war auch von gar geringer gebührt; ihr großvatter von mutter seytten war meines herrn s. feltscherer, controlleur general vom hauß, so auch keine [230] hohe charge ist, hieß Forcadel. Die mutter ist auch nicht viel nutz, hatt in ihren witwenstandt lang mitt einem geheürahten man hauß gehalten. Man kan sagen, daß dießes alles zusamen stinckende butter undt faulle eyer sein. Waß dieß Mouchie possirliches gethan, ist, daß sie ihren eygenen amant, den comte de Rion[11], bestohlen. Madame de Berry hatte dießem gar viel geben in edelgestehin undt bar gelt. Daß hatt er alles in eine kist gethan; dieße kist hatte er zu Meudon gelaßen, die hatt ihm seine liebe Mouchi gestollen undt ist mitt fortgangen; das finde ich poßirlich. Man kan hirzu sagen, waß I. G. unßer herr vatter s. alß pflecht[12] zu sagen in der gleichen fällen: Accordes vous, canaille! So kan man hir auch woll sagen. Daß die Mouchi in allen stücken ahn ihrer fürstin todt schuldig ist, daß ist nur gar zu gewiß[13]. Sie hatt wenig verstandt, ist sehr geitzig, interessirt undt mitt einem wort voller untugenden, leichtfertigkeit undt laster, so nur zu erdencken. Es ist nicht möglich, daß diß mensch eines gutten todts sterben kan. Die duchesse de Berry hatte sich so von dießen zweyen personnen einnehmen laßen, daß sonst nichts mehr bey ihr galt. Sie war nicht beliebt in[14] ihren leütten. Die frantzößche bedinten seindt gar jalousse leütte; sehen sie, daß man ihnen ander vorzicht, werffen sie einen haß auff ihre herrn. Keine nation ist interessirter, alß dieße; also kein wunder, daß madame de Berry leicht von ihnen ist vergeßen worden. Die duchesse de Berry war sehr hautaine undt absolutt; daß hatt auch dazu geholffen. Sie wurden auch nicht woll bezahlt in ihrem hauß, den Rion rapelte alleß vor sich[15] undt die Mouchi auch; daß attandri[r]t die andern bedinten nicht. Mein sohn hingt[16] noch ein wenig ahn seinem vertretten[en] fuß; allein seine gesundtheit geht sonsten, gott lob, woll, undt sicht mitt seinen dicken backen gar gesundt auß. Meines sohns geschafften, mühe undt arbeydt bekommen dem jungen könig woll; den wie mein sohn in die regence kom[m]en, war der könig in schulden von 2 mahl hundtert taußendt millionen undt, wilß gott, übers jahr wirdt alles liquitirt sein. Mein sohn hatt einen Englander gefunden, so monsieur Law heist undt die financen auff ein endt verstehet; der hatt ihn dazu geholffen. Vor Ewere gutte wünsche dancke ich Eüch sehr, [231] liebe Louisse! Bitte, bettet doch fleißig vor meinen sohn, [daß] ihn gott beystehen möge undt vor übel behütten! den es ist mir allezeit bang vor Alberoni undt sein parthey, so er zu Paris hatt. Ich gönne unßern graff von Hannaw die freüde woll, seine fraw dochter, die landtgraffin, schwanger zu wißen. Sie thut übel, in dem standt zu reißen; den sich vom ersten kindt zu blessiren, ist etwaß gar gefährliches; dantzen deücht nicht dazu, wie man diß jahr woll schon ahn der pfaltzgräffin von Su[l]tzbach gesehen. Daß stechen von den Schiffern ist hir auch brauchlich, der könig liebt es sehr[17]. Zu Heydelberg reißen sie der gans nur den kopff mitt den händen ab, aber hier thun sie es mitt den zähnen; daß kompt mir eckelhafft vor. Churtrier, wie ich sehe, hatt sich doch endtlich erbitten laßen, die ceremonien zu Heydelberg ahnzunehmen, so man I. L. preparirt hatte. Churpfaltz hette einen monsieur Law von nohten, so seine affairen in ordre setzen konten[18] undt die financen regliren. Mich wundert, daß Churtrier, so ein gutter haußhalter ist, seinem herrn bruder, Churpfaltz, nicht zuspricht, beßer ordre in sein hauß zu halten undt die schulden zu zahlen. Freylich ist es beßer, die leütte abzudancken, alß sie nicht zu zahlen; den man hatt noch daß glück in Teütschlandt, daß die chargen bey hoff nicht gekaufft, noch verkaufft werden. Ich habe Eüch, liebe Louise, ja schon gar offt gesagt, daß Ewere schreiben mir nie zu lang sein; Ihr segt es ja auch woll durch meine exacte andtwortten, daß ich sie nicht zu lang finde. Wir haben heütte gantz undt gar nichts neües hir; erfahre ich dießen nachmittag etwaß, werde ich es hir zusetzen. Es ist noch nicht gar spät, erst halb 10, es mögte also noch woll waß kommen; aber kompt nichts, so vergnügt[19] Eüch nur, liebe Louise, mitt der versicherung, daß ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalte!
Nach dem eßen hab ich Ewer liebes schreiben vom 23 Aug. vom Schlangenbadt entpfangen, worauff ich, wo mir gott daß leben [232] undt gesundtheit verleyet, werde ich erst andere post andtwortten. Es ist mir leydt, daß die verweillung meines briffs Eüch so in sorgen gesetzt hatt.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 3. September 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 228–232
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1049.html
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