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Brief vom 1. Oktober 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1057.


[251]
St Clou den 1 October 1719 (N. 25).
Hertzallerliebe Louisse, vergangenen donnerstag habe ich Ewer liebes schreiben vom 16 September, no 73, zu Paris entpfangen. Selbigen morgen habe ich Eüch ein gar kleines brieffgen geschrieben; umb es wider einzuhollen, will ich, ehe ich auff Ewern lieben brieff andtworte, verzehlen, waß [ich] alß zu Paris gethan. Ich fuhr umb ein viertel nach 11 uhr hir weg, kam umb halb 1 bey der duchesse du Lude ahn. Es war recht schön wetter; ich ging mitt ihren zwey niepcen, die duchesse de Sulli[1] undt der duchesse de Roquelaure, spatziren; sie hatt ein artig gärtgen; biß ein uhr spatzirten wir. Die arme duchesse du Lude kont[e] leyder nicht mitt gehen; den sie ist vom pottegram gantz lahm, kan nicht allein stehen einmahl, muß [252] allezeit sitzen. Ich blieb nach der promenade noch ein viertelstündgen allein bey dießer duchesse, hernach gingen wir ahn taffel; will Eüch sagen, wer alß mitt unß aß. Es war eine ovalle taffel, woran saß die duchesse de Brancas, marechalle de Clerembeau[2], duchesse de Sulli, madame de Chasteautier[3], duchesse du Lude, marquise d’Alluy[4], madame de Borstel, duchesse de Roquelaure, ich. Es würdt[5] 4mahl frisch auffgetragen, alles in abondance undt recht gutt. Ich aß braff; den Ihr könt woll gedencken, daß, wen 16 stunden (waß sage ich in 16? in 24 stunden solten ich sagen) nichts geßen noch gedrunken, alß ein dotter von einem ey, in waßer zu schaum geschlagen, mitt zucker undt zimmet, undt daß man eine gutte stundt in der lufft gefahren undt man frisch undt gesundt ist, daß einem der hunger ahnkompt. Aber alle, die braff zu nacht geßen hatten, aßen eher mehr, alß weniger, alß ich; den alles war gutt undt woll zugericht, außer den wilden-schweinskopff; den können sie hir im landt nicht so woll zurichten, alß in Teütschlandt. Wir wahren eine gutte stundt ahn taffel; nach dem eßen spilten wir hoca biß umb halb 4. Da fuhr ich au Palais-Royal undt stieg bey madame d’Orleans ab; die fundt ich wieder gantz lustig; den sie hatte zeittung von ihrem elsten bruder bekomen, daß er außer gefahr undt wider gantz woll seye von dem colera-morbus[6], so er gehabt. Ich dachte, aber ich sagte es nicht, wie Ihr woll gedencken kont, liebe Louisse, daß das sprichwordt war ist: Unkraut vergehet nicht. Mein sohn kam zu seiner gemahlin, ich sprach ein stündtgen; [dann] gingen wir mitt einander, wie auch sein sohn undt 3 von seinen dochtern, in die commedie, sahen ein altes undt gar neües stück, so les nopces de Vulcain[7] heist. Daß gar alte [253] wahren les Horace[8]; daß neüe ist all zimblich possirlich; unter dem schein, daß Momus die götter außlacht undt durch fablen ihre fehler beschreibt, verzehlt er alle mißbrauch, so zu Paris vorgehen; hatt mich lachen machen. Die commedie wehrte lang, kam umb 10 wieder hir ahn undt ging gleich nach bett. Ihr werd[e]t verwundert sein, daß ich Lenor nicht genent, leyder; allein sie war hir geblieben, den sie hatte die colique bekommen undt eine starcke attaque vom grieß. Zu Paris habe ich nichts neües vernohmen. Ich komme jetzt auff Ewer liebes schreiben, so ich dort entpfangen. Vorgestern bekame ich ein schreiben von monsieur le Roy; der berichtet, daß monsieur Le Fevre seine sach so woll gemacht, daß er Coubert [für] ein million verkauffen wirdt, welches Ewern niepcen beßer bekommen [würde], alß wen sie dieß gutt behilten. Ich kan nicht wißen, wie es kompt, daß Eüch meine brieffe fehlen; den ich habe Eüch fleißig [geschrieben]. Waß mich noch dran verdrist, ist, daß ich fürcht, daß man Eüch, liebe Louise, mein contrefiait wirdt gestohlen haben; den nach meiner rechnung ist es just daß paquet, so Eüch fehlt. Aber thut mir der postmeister von Franckfort den possen, werde ichs nicht dabey laßen, sondern so baldt der herr Benteritter hir wirdt sein[9], werde ich ihn … undt bitten, daß man ihn obligiren mag, es wider zu schaffen. Freylich fehlen mir auch noch 3 von Ewern lieben schreiben. Es muß nur eine impertinentz von dem postmeister zu Franckfort sein, so Eüch zergen[10] [will], weillen er die schonburgische lehen nicht bekomen hatt; undt waß mich dießes noch mehr persuadirt, ist, [daß] ich zwey von Ewern lieben schreiben auß dem Schlangenbaadt sehr woll entpfangen; konten also woll überkommen, muß also gewiß eine impertinance pleniere, wie die hertzogin von Mecklenburg s. alß pflegt zu sagen, geweßen sein. Ich hoffe doch noch, daß der postmeister nicht gar zu unbesonnen sein wirdt, mein contrefait gar gestohlen zu haben. Es ist [254] erst halb 9 nun; ich werde dießen nachmittag erst meine brieffe von Paris bekommen; hoffe, daß man mir etwaß von Eüch, liebe Louise, bringen wirdt. Es ist sehr apropo kommen, daß mein sohn mir meine pension vermehrt; den man war übel mitt mir umbgangen nach meines herrn todt. Es war meines sohn schuldt nicht, sondern der alten zott[11], so gegen [mich] war undt meines sohns leütten ahngeben, es so gar übel zu machen, mitt versicherung, daß es deß königs wille were, welches doch pure lügen wahre, welches hirauß woll erwießen, daß, so baldt ich dem könig zu wißen gethan, daß ich daß jahr nicht außkommen könte, hatt er meine pension mitt 40/m. livre vermehrt[12]. Daß hatt die zott schir vor zorn bärsten machen; sie ließ ahn meinen leütten sagen, sie solten sich woll hütten, mehr zu fordern. Etwaß aber, daß mich damahlen von hertzen lachen machte, war, daß der duc undt die duchesse du Maine meinen intendanten vom hauß hollen ließen undt ihn fragten, wie es doch komme, daß ich mitt dem wenigen, so ich hette, ohne schulden nach meinem standt leben konte. Lagarde, so hieß mein damahliger intendant, andtwortete: Cest que Madame ce modere et ne fait jamais de folle despense. Damitt war daß schönne par woll bezahlt; den alle ihre große schulden kammen von ihren nachtlichen festen zu Seaux[13], da sie von abendt biß in hellen tag zubrachten, alß umb den andern tag mitt fewerwerck, commedien, masqueraden, kleine neüe operas undt festins; daß hieß mans[14] les nuit blanches[15]. Lagarde hatt sie alle beyde also woll bezahlt. Hette mein sohn nicht seine dochter verlohren undt der könig über die maßen viel von ihr geerbt, hette ich dieße pension nicht [255] ahngenohmen; den ich ich will nicht, daß man sagen kan, daß mein sohn seine famille auffs königs despend[16] reich gemacht hatt, da er deß königs vormundt geweßen. Mein sohn kendt mich woll undt weiß, daß ichs vor madame de Ber[r]y todt nicht ahngenohmen hette auß obgedachter ursach, welche ich glaube Ihr nicht desaprobiren werdet, liebe Louise! Bin Eüch woll verobligirt vor alle Ewere gutte wünsche undt zweyffle nicht, daß Ewer guttes undt frommes gebett zu gott mir glück bringt undt woll eher erhört wirdt werden, alß daß meine selber. Mein sohn ist nur gar zu gutt; weillen ihm der kleine duc de Richelieu versichert, daß sein wille geweßen, ihm alles zu endtecken, glaubt er es gleich undt lest ihn loß, wozu seine metres, ich sage deß duc de Richelieu seine, mademoiselle de Charolois, meinen sohn keine rast noch ruhe gelaßen. Es ist doch etwaß abscheüliches, daß eine princesse du sang vor der gantzen welt erkläret, daß sie verliebt ist, wie eine katz, von einen kerl, der ihres gleichen nicht ist, den sie nicht heürahten kan undt der ihr gar nicht trew ist, sondern ein halb dutzendt andere maistressen hatt. Wen man ihr daß vorhelt, andtwortet sie: Bon, il n’a ces maistresse[s], que pour me les sacrifier et pour me conter tout ce qui ce passe entre eux. Daß ist woll abscheülich. Man hatt ihn, umb [ihn] von lufft zu endern machen, nach St Germain [geschickt]; da ist dieß ehrvergeßen mensch gleich zu ihm. Wen ich ahn hexerey glauben könte, solte ich glauben, daß dießer mensch waß mehrers könt, alß ordinarie; den er halt nicht ein mensch gefunden, so ihm den geringsten widerstandt thut, lauffen ihn alle nach, daß es ein schandt undt spott ist. Er ist nicht schönner, alß ein ander mensch, ist indiscret, sagt alles nach mitt umbständen undt hatt declarirt, daß, wen eine keyßerin, schön wie ein engel, in ihm verliebt were undt bey ihm liegen wolte auff die condition, daß er es nicht nachsagen solte, wolte er lieber nicht bey ihr liegen undt sie sein leben nicht sehen. Er ist ein großer poltron, hoffartig, impertinent undt daß ist die oriflame[17] von den meisten damen, so ehre, glück, alles vor ihm verschertzen; es macht mich offt recht ungedultig. Er hatt weder hertz, noch gemüht; ich bin gewiß, daß er meinen sohn mitt undanckbarkeit belohnen wirdt; [256] den er ist gar zu nichtsnutzig. Ich will weitter nichts von ihm sagen, es macht mich zu ungedultig. Ich weiß nicht, ob Ihr, liebe Louise, ein buch geleßen, so mir unßere s. liebe churfürstin geschickt hatte, von einem poltergeist, so man Hintzelman heist. Der duc de Richelieu gleicht ihm so sehr, daß ich ihn nie anderst geheißen[18]; den er hatt holle augen wie ein todtenköpffgen, undt kindische maniren undt ist leicht, geht geschwindt, recht wie Hintzelman; ich heiße ihn nicht anderst. Die übel von monsieur Laws undt seine banque sprechen, thun es nur auß bloßem neydt; den man kan nichts beßer sehen, den er bezahlt deß königs abscheüliche schulden undt macht die impots[19] vermindern, also den pöpel erleichtern von ihrer last. Daß holtz kost nur die helfft, daß es gekost hatt; alles, entréen[20] auff wein, fleisch undt waß in Paris gebracht wirdt, hatt alles abgenohmen. Daß macht eine große freüde bey dem pöpel, wie Ihr, liebe Louise, leicht gedencken könt. Alles wirdt wollfeyller werden, waß die entréen betrifft. Ist daß nicht etwaß schönnes undt gutts? Monsieur Laws ist gar ein polier[21], gutter man; ich halte viel von ihm; er thut mir auch gefahlen, wo er kan. Er stiehlt nicht, in[22] alle andere gethan, so die financen reglirt; waß er prophitirt, ist mitt ehren undt offendtlich. Daß er ein palais von der duchesse de Berry gekaufft, ist eine pure lügen; sie hatt keines gehabt, so sie hette verkauffen [können]. Alle heüßer, so sie gehabt, alß Meudon, Chaville undt La Meutte, seindt alle dem könig wieder heim gefallen. Der könig macht seine menagerie von La Meutte, wirdt kühe, schaffe, hüner, ziegen undt dauben dort halten. Die wüste kranckheiten, alß kinderblatter, röttlen, hitzige lieber, rohte ruhr undt dergleichen, regieren abscheülich zu Paris; aber von allen ortten in gantz Europa hört man nichts anderst. Wie die pest zu Manheim war, drugen wir alle ahm arm bücksger[23] mitt rautten, in eßig getungt[24]; daß ist gar gutt vor die böße lufft, habe es gern gerochen, den ich liebe beydes, eßig undt rautten. Viel[e] finden, daß rautten stincken, ich aber liebe den geruch von rautten. Ihr werdet, liebe Louise, eines von meinen schreiben durch die fürstin von Nassau Ussingen entpfangen; [257] den wie ich 3 gantzer posten geweßen, ohne zeittung von Eüch zu haben, undt gedacht, daß Ihr endtlich wißen würdet, wo Ihr hinkommen wahret[25]. Aber ich muß meine ordinarie pausse machen; dießen abendt werde ich außschreiben.
Sontag umb 3/4 auff 6 abendts.
Gleich nach dem eßen bin ich spatziren gefahren. Der regen hatt mich wider herrein geführt. Es ist so kalt heütte, daß wir daß erste mahl haben überall feüer gemacht. Seyder ich heütte morgen auffgehort, zu schreiben, habe ich noch zwey von Ewern lieben schreiben entpfangen, eines vom 15 September, no 72, durch den Neufville[26], so mir gar ein feiner junger mensch dünckt zu sein; den zweytten brieff habe ich durch die post entpfangen vom 19 September, no 74; aber auff dieß letzte will ich Eüch nur sagen, daß just daß paquet, so Eüch fehlt, vom 7 September, no 18, daß ist, wo mein contrefait bey ist. Also last fleysig darnach auff der post fragen! Daß kan ja niemandts, alß Eüch, waß nutzen, ist auch vor niemandts, alß Eüch, gemacht worden; verdriest mich recht, den es ist woll gemahlt undt alle menschen finden es sehr gleich; habe mir also eine freüde gemacht, es Eüch zu schicken, liebe Louise! Warumb ich ahnfange, so spät wider zu schreiben, ist, daß ich nach der promenade schulden gezahlt; hernach bin ich in die kirch betten gangen. Umb halb 5 bin [ich] auß der kirch, habe ein hauffen brieff geleßen, so ich heütte bekommen hab, so mich bißher geführt. Nun hoffe ich doch noch auff Ewer liebes schreiben, so ich heütte morgen ahngefangen, vollig zu antwortten; aber die andere zwey werde ich vor die andere post sparen; komme wider ahn Ewer liebes schreiben, muß mich eyllen, den ich habe heütte noch ahn mein dochter einen großen brieff zu beantwortten. Es war doch, wie ich sehe, gar große undt gutte geselschafft bey der fürstin von Ussingen. Sie wirdt nun gewiß über ihrer schwester[27] unglück touchirt sein; die jammert mich woll von grundt meiner seehlen, sie kan sich ihres sohns todt nicht getrösten. Es ist auch etwaß abscheüliches, einen eintzigen sohn so durch die heßlichen kinderblattern zu verliehren. Freyllich habe ich meinen oncle a la mode [258] de Bretagne[28], den närischen landtgraff Carl von Hessen Rheinfels, gekendt. Man konte nicht dollere poßen vorbringen, alß er that, sprach immer von seinem kutscher, daß er von so gutter geselschafft wehre, daß er ihn deßwegen bey sich schlaffen ließe und sein jüngsten sohngen von ihm erziehen laßen. Ich batt ihn gantz ernstlich, er solte doch umb gottes willen solche albere possen nicht vorbringen, womitt ihm alle menschen mitt außlachten. Er fuhr mir übers maul undt sagte, er sehe woll, waß es were; ich hette gern, daß er wider weg wehre, den ich schämbte mich meiner verwantten. Ich wurde böß, sagte bladt herauß: Ja, wen sie so sprechen, habe ich woll ursach, mich vor sie zu schämmen. Wir schieden gar uneins von einander. Er hatt einen dürlibbigsten sohn bey sich mitt krepirten händen; der schiene auch nicht sonderlich viel verstandt zu haben. Daß kleine printz[chen] war ein schön, woll geschaffen kint, aber erzogen wie ein blatter bawernbub in Odenwalt. Ich habe den gutten fürst Ragotzi braff mitt seinem schwiger herr vatter geplagt, fragte ihm, ob er nicht gevatter geweßen bey dem sohn, so sein schwiger herr vatter auff die welt gebracht undt ins kindtbett kommen were; er wolte nicht lachen, konte es doch nicht laßen. Der gutte herr hatt mir schon zweymahl brieff von mehr, alß 20 bogen, auß der Turquey geschrieben. Ich bitte Eüch, liebe Louise, danckt doch I. L. dem printzen von Darmstat gar dinstlich von meinetwegen undt sagt, ich wünsche der printzes einen schönnen jungen printzen undt glückliche niederkumfft! Es were meine schuldt, wen ich dießen heüraht nicht aprobirt hette; den ja nichts dagegen zu sagen ist. Mich deücht, die schwangere weiben bekommen erst gezogene gesichter, wen sie in dem 8ten mont sein. Ich kan leicht begreiffen, wie Ihr vissitten zu thun undt zu entpfangen müde seydt. Ich bin auch gern zu hauß undt bey niemandts [lieber], alß meinen leütten. Die armen reformirte Pfältzer jammern mich erschrecklich; niemandts, alß monchen undt pfaffengeschmeiß, kan eine solche sach aprobiren. Ich hoffe, man wirdt vor sie bey Churpfaltz sprechen mitt nachdruck. Von die[29] heydelbergischen pfaffen konte Churpfaltz sagen, wie le pere de la Rüe[30] von deß s. [königs] beichtvatter, le pere le Tellier[31], sagte: Le [259] pere le Tellier nous mene si viste, que j’ay peur, qu’il ne nous verse. So mogte es in der Pfaltz auch gehen. Ich sage von hertzen amen zu dem wunsch, so Ihr thut, liebe Louisse, daß baldt beßerung kommen mag in der Pfaltz. Adieu, hertzliebe Louise! Mich deücht, meine espistel ist lang genung, umb sie zu enden undt vor dießmahl nichts mehr zu sagen, alß daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 1. Oktober 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 251–259
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1057.html
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Tintenfass