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Brief vom 9. November 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1068.


[302]
St Clou den 9 November 1719 (N. 36).
Hertzallerliebe Louise, ich glaube, ich habe Eüch schon vergangenen sontag gesagt, wie daß ich Ewer liebes schreiben vom 24 October, no 84, zu recht entpfange[n] habe. Es fehlt mir keines von Eweren lieben schreiben mehr außer daß eintzige, so Ihr auß dem Schlangenbaadt nach Bingen geschickt hatten[1]; daß ist noch nicht wider kommen. Ihr werdet auß meinem letzten ersehen haben, wie daß ich mich verschrieben hatt[e]; sehe, daß Ihr nun den irtum gefunden. Ich höre allezeit ungern, daß Ihr, liebe Louise, mitt dem brill lest; den nichts in der welt verdirbt mehr die augen; es wirdt Eüch gereühen[2]. Ich bin bey 9 jahren elter, alß Ihr, liebe, undt habe keinen brill von nohten weder zu leßen, noch zu schreiben, undt daß bloß allein, weillen ich nie keinen gebraucht habe. Die marechalle de Clerambeault[3], so seyder den 3 dießes monts in ihr 86 jahr getretten, lest reine schriefft undt schreibt ohne brill, weillen sie nie keine gebraucht. Es ist eine zeit zwiffel[4] 50 undt 60, daß daß gesicht abnimbt, alßden muß man sich gedulten; ins 55igste kompt es wider, wen man gedult hatt. Aber nimbt man alßden ein brill, so kompt daß gesicht nicht wider, sondern wirdt alle tag ärger undt man muß von brillen endern; die ersten kan man nicht mehr brauchen. Wen mein miltz sich zu starck mitt galle gefült[5] hatt, muß ichs wider lehren[6], oder ich werde kranck. Der grüne safft hatt mich im ahnfang sehr abgematt; aber nun spüre ich doch, daß es mir woll bekommen ist; den ich befinde mich, gott lob, sehr woll, so lang es wehren wirdt. Die Pariser lufft ist mir nicht gutt, auch nie gutt geweßen; drumb werde ich auch so spät hin, alß mir immer möglich ist. Mein tag ist doch gefast, nehmblich [303] übermorgen über 3 wochen, so den 2 December undt den sambstag vor dem advent sein wirdt. Ach, die 3 wochen werden mir wie ein blitz vorbeygehen. Ich hoffe, daß es gegen der zeit gefriehren wirdt undt sich also die Parisser lufft sich ein wenig reinigen undt purifitziren wirdt. Gott gebe es! den die kinderblattern zum 3ten mahl zu bekommen, were meine sach gar nicht. Bey itzigen zeitten keine schwere gedancken zu haben, ist schir ohnmöglich, zu sehen, wie abscheülich interessirt die Frantzoßen sein undt wie der verfluchte Alberonie ahn nichts, alß assasiniren undt vergifften, gedenckt. Zu Wien ist es außkommen, hir aber noch nicht; daß angstet mich, den es ist gewiß, daß Alberoni meinen sohn viel ärger hast, alß den keyßer. Ursachen, trawerig zu sein, hatt man genung, so sehr mans auch auß dem sin schlegt. Vor dießem hatte ich distractionen, I. M. s. unßerm könig auff der jagt zu folgen; nun aber kan daß leyder nicht mehr sein, [ich bin] also allen trawerigen gedancken gantz ergeben. Ich frag nach keinen divertissementen mehr; opera, comedien, da gehe ich nur auß bloßer complaisance vor meine enckellen hin; den ich frage nichts mehr darnach, bin sehr serieux geworden, kan nicht mehr lachen, wie ich vor dießem thaht. Aber genung von dießem langweilligen discours, liebe Louisse! Es ist ja nichts billiger, alß denen sein contrefait zu schicken, so einem nahe sein undt einem lieb haben undt nach aller aparentz einen nie sehen werden, leyder. Es ist zu sehr in der ordenung undt schuldigkeit, umb danckenswehrt zu sein, undt hirin bestehet keine demut; ohne meine particulir freündt gebe ich mein contrefait nicht in klein. Monsieur Jourdain machte prose, sans le savoir[7]; aber Ihr macht so reimen undt vers. Bin doch [304] fro, daß mein klein pressent Eüch so ahngenehm geweßen undt ich mich in dießer hoffnung nicht betrogen habe. Es ist mir lieb, daß das, so ich ahn die Colbin[8] geben hatte, in Ewern händen gefallen ist; den ich habe nicht gern, daß mein contrefait in frembten händen kommen. Wo hatt die fraw von Degenfelt Monsieur[9] undt mich mitt einander auffgefischt? Ist es vielleicht ahn ihrer vorfahrerin geweßen[10], die baß Amelie, wie wir sie alß hießen? Daß kam von der Lopes de Villanova[11], die den gantzen tag alß rieff: Baß Ameli[e]! Da ist ihr der nahmen von geblieben. Nein, ich habe gar nicht vexirt, wie ich Ewer contrefait gefordert; wolte es mitt Carllutz s. figuriren machen. Wie Ihr noch ein kindt wahret, habt Ihr einander sehr geglichen. Ahn Carll[utz] kan ich nicht ohne seüfftzen gedencken, hatte ihn woll hertzlich lieb. Daß contrefait, so ich von ihm habe, gleicht ihm wie zwey tropffen waßer, wie er außsahe, wie er hir wahr. Nein, er war nicht heßlich undt woll geschaffen, war viel hübscher, alß Carl Edewardt. Ist es nicht möglich, daß man erfahren könte, wie die conspiration vom Alberoni undt graff Nimbts ist endeckt worden undt heraußkommen? Alles, waß interessirt ist, ist allezeit zu förchten; die seindt zu allen bößen stücken capable[12]. Aber da kompt monsieur de Foucault[13], der conseiller d’estat, welchen mir der leyder verstorbene könig zum chef du conseil geben, undt monsieur de Baudry, mein secretaire de commandement, haben mitt mir zu sprechen wegen affairen vom hauß, muß also eine pausse machen wider willen. Den vor nachmittags werde ich nicht wieder zum schreiben gelangen können; den wen unßer kleiner raht zum endt wirdt sein, muß ich mich ahnziehen, hernach in kirch, gleich nach der kirch zur taffel. Von dar werde ich spatziren fahren undt abendt, wen ich widerkommen werde sein, abendts umb 3/4 auff 5 [305] ins abendtsgebett; hernach werde ich wieder ahnfangen, zu schreiben.
Donnerstag, den 9 November, umb 7 abendts.
Wie ich schier ahngezogen war, ist die kleine duchesse d’Oursch[14] zu mir kommen. Habe alles gethan, waß ich Eüch heütte morgen gesagt, so ich thun würde. Warumb ich aber so spät ahnfange, zu schreiben, ist die ursach, daß nachdem ich auß dem gebett gekommen, hatt mir die duchesse Dursch, so ich noch hir gefunden, hatt mich gebetten, sie ahnzuhören, hatt eine klocke-stundt[15] mitt mir gesprochen; habe auch viel brieff bekommen, deren ich ein theil geleßen, unter andern einen von Eüch, liebe Louise, vom 28 October, no 85. Dancke Eüch gar sehr von[16] alle gedruckte sachen, so Ihr mir mittgeschickt; aber, so mir gott daß leben lest, werde ich biß sontag drauff andtwortten, dießen abendt aber nur daß fortfahren, so ich heütte morgen ahngefangen hatte. Ich gönne es dem Alberonie woll von grundt der seelen, die 100/m. spanische pistollen verlohren [zu haben]; daß hatt mir daß geblüdt mehr erfrischt, alß mein grüner safft. Wie ich sehr interessirt bin, liebe Louise, so will ich mein recht von der meß von Franckfort nicht verliehren; also, sofern ich noch im leben bin, wen die ander meß wirdt kommen, so müst Ihr mir ein par karttenspiel schicken, liebe Louise! Nein, die ich habe, begehre ich nicht, sondern neüe. Ich habe die festen auff ein ander manir, habe sie also doch noch geleßen undt mich mitt amussirt; dancke Eüch nochmahlen sehr davor, liebe Louisse, wie auch vor die medaillen. Ob sie zwar nicht gar spirituel sein, zeichenen sie doch die zeitten undt schicken sich in mein cabinet. Die Poln seindt offt schlimme gäste, haben vielleicht den lobsprüch auß muthwillen gesetzt, ihren könig außzulachen; daß könte gar woll sein. Paris ist noch voller bößer lufft undt kinderblattern, wie ich Eüch heütte morgen schon gesagt habe, liebe Louise! Monsieur de Foucault hatt mir heütte morgen gesagt, daß, seyder er wieder von seinen landtgutt kommen, gehe kein tag vorbey, daß er nicht 3 undt viel[17] begräbnuß in seiner paroisse de St Paul finde. Die gräffin von Warttenberg ist ja auch eine ertzspillerin. Mich deücht, der nahm von Flor lautt nicht gar [306] adellich, noch noble; die dame ist es auch nicht, also nichts dran verlohren; macht den schönnen pfanenkuchen von stinckende butter undt faulle eyer. Ewer wünsch ist vollig volzogen; den der grüne safft ist mir gar woll bekommen. Wir haben hir gantz undt gar nichts neües, alß daß mademoiselle de Valois sich vergangen montag schir umbs leben gebracht hette. Es ist ihr eine kindtheit[18] ahnkommen, in vollem randt[19] zu pferdt durch eine kleine thür zu renen; sie hatt sich nicht genung gebückt undt den kopff so hart ahngeschlagen, daß sie biß auff die grub[20] vom pferdt gefahlen. Man hatt ihr nachts gleich zur ader gelaßen undt man hofft, daß es keine gefahr haben wirdt[21]. Adieu, hertzliebe Louisse! Ich ambrassire Euch von hertzen undt behalte Eüch von hertzen lieb.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 9. November 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 302–306
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1068.html
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