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Paris den 31 December 1719 (N. 51).
Hertzallerliebe Louise, ich komme jetzt auß der capel, wo ich
zum h. abendtmahl gangen; jetzt will ich auff Ewer liebes schreiben
andtworten von 16, no 100. Mich deücht, die Franckforter post
geht nun beßer, alß sie gangen ist. Aber ich weiß nicht, wie es
kompt, daß man Eüch 2 von Ewern schreiben, von meinen, wolt
ich sagen, auff einmahl gibt; daß fangen sie nun ahn, den wie Ihr
auß meinen letzten werdet ersehen haben, so hab ich auch zwey
von den Ewerigen auff einmahl entpfangen. Paris schlegt mir
weniger woll zu, alß nie. Ich bin seyder 3 wochen so mager
geworden undt abgenohmen, daß es zu verwundern ist. Mein leibstück,
daß ich vor 3 wochen getragen, ist mir vier finger breydt zu weitt
geworden; daß ist aber kein wunder, den ich habe auff alle weiß
außgestanden, seyder ich wider hir bin. Aber daß sein
[1] keine
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discoursen vor die post; aber die rechte gründtliche wahrheit zu
sagen, so bin ich so gritlich wie eine wandtlauß undt habe es rechte
ursach. Ein theil will ich Eüch doch woll sagen. Man hart
[2] mein
sohn persuadirt, den duc undt die duchesse du Maine wieder
herkommen zu laßen undt auff freyen fuß zu stellen. Daß ängstet
mich recht; den er lest sie loß, nachdem die duchesse du Maine
ihm geschrieben undt alles gestanden; kan also nicht gar ruich
[3] sein,
wie Ihr, liebe Louise, leicht errahten könnt. Last unß von waß
anderst reden! Die lufft ist schlimmer, alß nie, zu Paris. Alle
augenblick hört man von leütte, so sterben; ein[e]r von meinen
aumonier, der mir noch den tag vorher gedint undt über 40 jahr bey
mir ist, ist auff einen stutz gestorben, hieß l’abbé Berthet. Einer
von meinen haußhoffmeistern, der sein gutter freündt war, wolte
ihn besuchen; wie er in sein[e] cammer drit
[4], findt er ihn todt auff
dem stroh liegen. Er ist gantz erschrocken kommen, mir es sagen,
bleich wie der todt; aber er forderte doch gleich seine charge, sie
zu verkauffen. Daß hette mich schir lachen gemacht. Madame du
Maine ihr elster sohn hatt die kinderblattern auch; man hort von
nichts, alß kinderblattern, rohte ruhr undt stickflüße. Aber da
rufft man mich zur taffel. Nach dem eßen werde ich zu den
Carmelitten betten gehen. Gott weiß, wen ich wider werde zum
schreiben gelangen können.
Sontag abendts.
Ich habe woll gedacht, daß ich mühe haben würde, wider zum
schreiben zu gelangen. Ich bin umb 6 wider auß dem
Carmelittencloster kommen, hab mich hergesetzt, umb zu schreiben, bin aber
so offt interompirt [worden], daß es nun schon 9 geschlagen. Der
teüffel schickt mir die qual, umb mich ungedultig zu machen,
weillen ich heutte zum h. abendtmahl bin gangen. Man hatt mir, seyder
ich wieder auß dem closter kommen, habe ich ein paquet von Eüch
entpfangen von 19 December, 102. Es muß mir also noch ein
paquet fehlen; den Ewer letztes war von no 100. Bedenckt Eüch
ein wenig, ob Ihr Eüch nicht wider verschrieben habt! Ich dancke
Eüch sehr vor die callendergen. Ich finde sie gar artig, werde sie
fleißig im sack dragen. Aber nun muß ich ahn mein dochter
schreiben, werde also mehr, alß eine stundt, spätter nach bett gehen,
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alß ordinarie. Ich hoffe, auffs neüe jahr weniger gehudelt zu
werden. Gott gebe [es] undt daß ich Eüch biß donnerstag einen langen
brieff schreiben möge! Adieu, hertzallerliebe Louisse! Ich muß
wider willen schließe[n]. Ich weiß nicht, wie ich daß neüe jahr
ahnfangen werde; aber daß alte ende ich mitt recht verdrießlich undt
gridtlich. Gutte nacht, hertzallerliebe Louise! Gott gebe Eüch
morgen ein glückseeliges neües jahr! undt ich werde Eüch von
hertzen lieb behalten.