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Brief vom 22. Februar 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1099.


[056]

A mad. Louise, raugräffin zu Pfaltz, a Franckforth.

Paris den 22 Februari 1720 (N. 66).
Hertzallerliebe Louisse, vergangen sontag abendts habe ich Ewer liebes schreiben vom 3 Februari, no 10, zu recht entpfangen. Ich habe es Eüch selbigen tag schon gesagt, habe die andtwort aber biß auff heütte versparen müßen. Ehe ich aber auff die antwort komme, so muß ich Eüch sagen, liebe Louise, in welchen großen sorgen undt ängsten ich nun bin. Vergangen montag abendts hatt unßere neüe princessin von Modene die röttlen bekommen, die sie bey ihrer schwester gesucht, undt selbige nacht hatt ihr herr bruder, der duc de Chartre, ein abscheülich fieber bekommen undt auch die rottlen, welche, gott lob, woll undt von haubt biß zu füßen woll außgeschlagen sein; allein er ist erschrecklich kranck dran[1]. Daß seindt die früchte von den schönnen bal en masque. Hette man mir geglaubt, were beydes nicht geschehen. Ich habe meinem sohn meine meinung drüber gesagt; er ist gantz bedutelt drüber, aber daß macht seine arme kinder nicht wider gesundt. Insonderheit bin ich in erschrecklichen ängsten wegen deß duc de Chartres; den [057] daß kindt ist so delicat, daß ich fürchte, daß er daß starcke fieber, wo es noch lenger dawert, nicht wirdt außstehen können. Gott wolle unß gnadig beystehen! Wegen meines sohns, so noch sein leben die blattern nicht gehabt hatt, darff ich nicht zu dem kindt undt daß ängstet mich noch mehr. Er solle so voller rottlen sein, daß man von haubt zu füßen eine[2] spellenspitz[3] stecken konte, wo es nicht ist. Ich bin nun zwar in gar volkomener gesundtheit; aber wofern meine angsten noch lang dawern, wirdt meine gesundtheit auch woll keinen bestandt haben. Biß sontag werde ich Eüch berichten, wie es weitter geht. Aber Ihr könt woll gedencken, daß ich, biß daß kindt wider gesundt, eine betrübte zeit in meinen angsten zubringen werde. Ihr secht nun woll, liebe Louise, daß ich große ursach gehabt habe, über sein bal-renen gritlich zu sein; den ich habe woll gesehen, waß drauß werden würde. Gott bewahre, daß nicht alles geschicht, waß ich fürchte! St Clou reiniget sich allgemach wider von der bößen lufft, wirdt also woll wider gutt werden, wen ich hin werde. Wen man alt ist, wie ich nun bin, kan man woll noch lenger, aber nicht ohne kranckheit undt ungemach [leben]; also kan ich woll mitt warheit sagen, daß ich kein hohes alter ambitionire. Man wirdt daß leben zu satt, nichts alß verdrießliche undt schlimme sachen zu hören undt zu sehen; daß matt mehr ab, alß wen man tag undt nacht reißen solte. Ich bin gar nicht ceremonieus, eben so wenig alß mein bruder s., sehe nur auff die intention, undt sobaldt ich persuadirt wirdt[4], daß man keine intention hatt, mich zu offendiren, verdrist mich nichts, waß man auch thun mag. Aber dinten auff das papir zu fahlen laßen, ist die groste bagatelle von der welt, undt will lieber einen verkleckten brieff haben, alß daß Ihr die post fehlt undt ich keine schreiben von Eüch wegen der schönnen ceremonie bekome. Auch habe ich lieber klecken, alß zu wißen, daß Ihr Eüch die mühe geben habt, Ewern brieff abzuschreiben; den wen ichs bey mir abmeßen will, weiß ich woll, wie mühsam es ist; wolte er[5] 10 brieff schreiben, alß einen abcopiren. Ewere vielle fehler in Ewern brieffen, worüber Ihr klagt, liebe Louise, verspüre ich gantz undt gar nicht. Mein sohn ist beßer, alß ich, aber, unter unß gerett, [058] er ist warlich gar zu gutt. Gott gebe, daß der almächtige ihm seine schulden vergeben mag, wie er denen vergibt, [die] ahn ihm sündigen! Ich muß gestehen, daß es mich offt ungedultig macht. Alles wirdt von hir nach Hollandt geschrieben, waß gesagt wirdt, es mag war oder nicht wahr sein. Commedien in original sicht[6] man genung hir. Gott bewahre vor tragedien! Ich habe Eüch ja selber geschrieben, wie daß der verfluchte Alberonie meinen sohn umb verzeyung gebetten undt Spanien hatt verrahten wollen[7]. Keinen großern ertzschelm tregt der ertbotten[8]. Ein rechtes zeichen, daß dießer verrähter undt die Des Ursin[s] den könig in Spanien gegen meinen sohn auffgestifft hatten, ist, daß sobaldt dieße zwey böße teüffel auß Spanien sein geweßen, hatt der könig sein vertrawen wider zu meinem sohn gewandt undt ihn gebetten, sich seiner ahnzunehmen undt den frieden zu machen. Mich deücht, daß dießes meinem sohn eine große gloire ist. In allen stücken ist Alberonie ein verrähter undt es all sein leben geweßen. Seinen herrn, den hertzog von Parme, hatt er ahn monsieur de Vandosme[9] verrahten, dießen ahn die printzes Des Ursin[s], auch so, daß viel meinen, daß er ihn vergifft hatt; die printzes Des Ursin[s] hatt er der königin auffgeopffert[10], die königin undt den könig in Spanien hatt er meinem sohn auffopffern wollen. Auß dießem allem ist leicht zu judiciren, welch ein fein bürschgen dießer Alberonie ist. Ich fürchte alß, daß wen er zu Genua bey der printzes Des Ursin[s] stecken wirdt (den er solle, wie man sagt, in demselben palais zu Genua logiren, wie[11] sie in steckt), fürchte ich, daß die 2 teüffel waß gar schlimmes stifften werden. Gott bewahre meinen sohn vor ihre stück! Seydt nicht in sorgen, liebe Louisse! ich werde Euch gar keine handel ahnmachen mitt Ewern geschribenen zeittungen. Eine beylige zu machen, kost über 100/m thaller; daß gelt kan der keyßer nohtwendiger ahnwenden. Hirmitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwortet. Dießen abendts werde ich Eüch noch wieder schreiben undt auff Ewer liebes schreiben vom 23 Januari, no 7, andtwortten; den ich bin heütte gar zu betrübt undt in sorgen, umb ins opera zu gehen, finde mehr trost, ahn denen zu schreiben, so ich lieb [059] habe. Aber ist[12] ist nun zeit, daß ich meine pausse mache. Es wirdt dießen nachmittag spat werden, wen ich wider von der vissitte von der großhertzogin kommen; den es ist heütte donnerstag undt alle donnerstag besuche ich I. L.
Den 22 Februari umb 6 abendts.
Es ist schon 3/4 stundt, daß ich wider von der Place-Royale gekommen bin. Madame la duchesse d’Orléans ist seyder dem zu mir kommen, drumb fang ich so spät ahn, zu schreiben. Die rödtlen schlagen nun braff bey madame la princesse de Moden[13] [und dem duc de Chartres] auß. Aber ob die docktor zwar sagen, daß es noch keine gefahr hatt, so gefehlt mir doch nicht, daß er einen durchlauff hatt; in 24 stunden ist er 7mahl gangen. Ich habe all mein tag gehört, daß nichts schlimmers in ahnsteckenden kranckheit[en] undt wo gifft ist, wie bey den kinderblattern, rödtlen oder fleckfieber, nichts gefehrlicher ist, alß durchleüffe. Ach, wie ist man doch allezeit in sorgen! Es ist auch woll einmahl zeit, daß ich auff Ewer liebes schreiben vom 23 Januari, no 7, komme. Aber da kompt mein sohn herein.
Donnerstag umb halb 8 abendts.
Da geht mein sohn wieder nauß. Nun will ich Eüch weyder entreteniren, liebe Louise! Ich werde nichts von der post sagen, weillen ich weiß, daß Ihr meine schreiben endtlich entpfangen habt. Bißher ist, gott lob, noch kein brieff verlohren gangen. Von der fürstin von Ussingen werde ich nichts sagen, weillen ich schon weiß, wie daß ihr herr bruder gestorben, ehe sie hinkommen ist. Ihr müst noch nichts von deß fürsten von Murbachs testament wißen, weillen Ihr in Ewe[r]n letzten schreiben nichts davon gedacht habt. Dießer fürst hatt beyde schwestern weiß gemacht, daß er sie wolle gantz zu erben einsetzen wolle. Verlangt mich doch, zu hören, wie es auß einander gehen wirdt. Ordinari ist die closter-aufferzucht eine böße sach. Ich weiß nicht, ob sie die kinder in Teütschlandt beßer erziehen, alß hir in Franckreich; aber hir ist es etwaß abscheüliches. Von den 2 brüdern fürsten von Nassau habe ich in ewiger zeit nichts gehört, gott lob! Der jüngste stinckt, daß es [060] abscheülich ist, auß dem maul. Er fragte mich, ob ich nicht wißen konte oder errahten könte, warumb seine gemahlin ihn nie küßen wolte. Ich dacht in meinem sin: Daß ist leicht zu rahten. Ich sagte: Es muß ihr etwaß ahn Sie eckellen. Hette er mich weitter pressirt, hette ich ihm gesagt, er solte die zahn sauberer halten. Die printzes, seine dochter, habe ich nie gesehen. Der cardinal undt ertzbißschoff von Paris heist nicht Noyalle, wie Ihr es schreibt, sonder[n] Noaille, liebe Louise! habe lachen müßen, daß Ihr seinen nahmen so verschrieben habt[14]. Noch der zeit ist der duc du Maine durch kein patent unschultig erkläret worden, auch ist er noch der zeit nicht wider zu seines brudern rang[15] gelangt. Von dem armen abbé d’Entrague[s] höre ich gar nichts; nur weiß ich, daß er noch a Lisle ist. Mich deücht, Ewer generalmajor de Francheville kent viel leütte, so ihn wenig kennen[16]. Es ist kein wordt war, daß er favorit vom duc de Bourgogne geweßen. So lang der duc de Bourgogne gelebt, war der abbé d’Entrague[s] exillirt[17] vom hoff; hatt sich viel jahr in Normandie auffgehalten. Weill er aber in einer bößen lufft war, hatte ihm der könig erlaubt, nach Paris zu kommen, aber nicht nach hoff, undt sein commers mütt dem duc de Bourgogne hatt also gar nicht sein können. Die Frantzoßen, wen sie in frembten orten sein, wollen allezeit alles bey hoff kenen undt wißen undt wißen meistenteils kein wordt. So geht es, wie ich sehe, dem Francheville auch. Wen Ihr den armen abbé d’Antrague kentet, wie ich, solte es Eüch nicht wunder nehmen, wie er sich hatt fangen laßen; mitt allem seinem verstandt [061] ist er wie ein kindt von 6 oder 7 jahren undt spilt mitt pupen[18]. Mitt dem übelen reden hatt er sich gantz unschuldig befunden. Mylord Stair[s] wirdt sich in der sach nicht mischen; er selber wirdt baldt weg. Morgen wirdt es 8 tag sein, daß ich madame Stair[s] gesehen. Sie kompt mir fein vor, hatt kein schon noch jung gesicht, aber gar eine schonne taille. In die Bastille solle abbé d’Antrague nicht kommen. Meint Ihr, daß ich nicht mehr weiß, waß geschoßen ist? Ich weiß noch, gott lob, alle teütsche maniren von reden; fehle ich ahn etwaß, werdet Ihr mir ein großen gefallen thun, mirs zu berichten undt mich zu wahrnen, werde es Eüch auch recht danck wißen. Von Englandt werde ich dießen abendts nichts sagen, sondern ein ander mahl, wen mir gott daß leben lest, wollen mir[19] davon sprechen. Es hatt 10 geschlagen; ich muß nach bett. Gutte nacht, liebe Louise! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt verbleibe allezeit die person von der welt, so Eüch ahm liebsten hatt.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 22. Februar 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 56–61
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1099.html
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