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Brief vom 29. Februar 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1101.


[062]
Paris den 29 Februari 1720 (N. 68).
Hertzallerliebe Louise, gestern abendts bin ich mitt 2 von Ewern [063] lieben schreiben auff einmahl erfrewet worden, nehmlich daß vom 6 dießes monts vom no 11 undt daß vom 10ten. no 12. Ich will aber heütte nur auff daß erste andtwortten undt daß andere vor biß sontag sparen; den ich bin nicht sicher, ein frisches zu bekommen. Die posten geben gar zu unrichtig; doch kan man noch woll zufrieden sein, wen nur keine brieff verlohren werden. Ich werde nichts mehr sagen [da]von, daß Ihr den 6ten keine von meinen brieffen hattet, weilten sie doch 2 auff einmahl den 10ten ahnkommen sein undt Ihr, liebe Louise, doch woll dadurch segt[1], daß ich keine post verfehlt habe. Die englische post hatt den windt zur entschuldigung, aber die teütsche muß es keine andere ursach sein, alß pure nachlaßigkeit, die brieff zwey auff einmahl zu geben. Aber weillen hirin nichts zu endern ist, muß mans machen wie unßers schreibmeister lection alß zu sagen pflegt:
Waß nicht zu endern stehet,
Laß gehen, wie es gehet[2]!
Daß die wege schlim sein, kan woll die post auffhalten, aber nicht machen, daß zwey auff einmahl kommen. Die kälte ist wieder gantz hir, es frirt alle nächte gar starck. Es ist aber beßer, daß es nun gefrirt, alß im Aprillen. Hir schneyet es wenig undt selten. Ich glaube, daß das wetter auffgehen wirdt; den es ist bey weittem nicht so kalt, alß es dieße nacht undt heütte morgen geweßen; den in dießem augenblick komme ich von der großhertzogin a la Place-Royale; ich laße allezeit eine seydt auff in meiner kutsch, sonsten solte mir übel werden; weiß also woll allezeit, waß es vor wetter ist. Liebe Louise, ich habe Eüch daß[3] opera prefferirt, wist mirs aber keinen danck! bin fro, daß ich einen pretext habe, nicht ins opera zu gehen; den ich bin den operaen recht müde undt dantzen sehen ist mir unleydtlich. Also wen ich dem opera entwißen[4] kan, bin ich hertzlich froh; aber die commedien lieb ich noch, doch bey weittem nicht, wie ich sie geliebt habe. Alle plaisir seindt sehr mitt mir brouillirt; es ist eine wüste, heßliche sach umbs alter, man wirdt alles müde, hatt keine freüde mehr undt bekompt keine ander[e] ahn den platz von denen, so man verliehrt. Aber daß ist die welt undt unßer herrgott wirdt nichts neües vor mich machen. Ich [064] habe doch damen hir im landt gekendt, die in ihrem 80 jahr dießelbe freüde hatten, in masquen zu gehen, commedien undt operaen zu sehen, alß wen sie nur 20 jahr alt were[n] geweßen. Die eine hieße la contesse de Fiesque undt die war dame d’honeur bey der großen mademoiselle, die andere lebt noch undt heist la marquise d’Alluye. Dieße letzte ist meine gutte freündin; sie ist aber nun kranck, fürchte, daß wir sie dießen sommer, wo ich selber daß leben behalte, nicht werde[n] nach St Clou führen können; den die gutte fraw ist nun über 85 alt. Man hatt Alberoni auff den krentzen vissitirt, weillen er dem könig in Spanien abgeschlagen, sein testament zu geben, so er unter handen hatte undt der könig in Spanien wider haben wolte. Die königin hatt ihm auch briff vertrawet, die hatt er auch nicht widergeben wollen. Drumb hatt man ihn so vissitirt undt doch alles, waß er geleügnet, zu haben, bey ihm gefunden. Alberoni pretendirt nicht, itzonder nach dießes papst todt papst zu werden, sonder[n] nach dem todt deßen, so nach dießem kommen solle; den er sagt, daß wirdt ihn in daß alter führen, so nöhtig, zu haben, umb papst zu werden, undt daß er intriguen genung machen könte, umb papst [zu werden]. Die in der zeit leben, werden sehen, waß drauß werden wirdt. Ich halte, daß die doppelte trawer in einen zu Heydelber[g] gehen wirdt.[5] Die fürstin von Sultzbach war kleine niepce[6] von madame de d’Angeau[7], dochter von ihrer leiblichen niepce. Mein gott, es ist woll ein groß glück, wen man einen närischen vatter hatt, nicht narisch zu werden. Landtgraff Carl war es auch abscheülich, hatt mich hir leyden machen, den alle tag kam ein neü alber historgen von ihm herauß, machte mich gantz ungedultig. Ich fürcht[e], sein herr sohn wirdt mitt der zeit auch haßiren; er gefelt mir gar nicht. Es war noch ein kleiner sohn bey ihm, der war gar ein schon kindt, aber erzogen wie ein platter bawernbub, wolte niemandts ahnsehen, versteckt den kopff in die tapetten undt schlug die füß auß wie ein pferdtgen[8]. Die fürstin von Hattmar[9] muß eine feine dame sein, so sie ihres herrn vattern humor gehabt. Noch eine andere schwester, nehmblich deß fürst Ragotzy[10] seine gemahlin, die ist auch die [065] gescheydtste nicht, insonderheit wie sie dem czaar nachgezogen ist. Waß den abbé d’Entrague[s] ahnbelangt, so hatt er gar gewiß so viel verstandt, alß man haben kan; aber er war der favorit von allen seiner mutter kinder, die, weillen sie eine dochter wünschte undt keine hatte, hatt sie dießen abbé alß ein medgen erzogen; drumb ist er wie eine franche coquette geworden undt dem gemeinen laster, so hir regirt, nachgangen. Wen ich hören werde, daß er sich von dießem laster hinfüro abhelt, werde ich ihn vor recht bekehrt halten; aber führt er sein alt [leben] forth, wirdt er nicht bekehrt sein undt wirdt den Reformirten keine ehre ahnthun[11]. Aber gott ist alles möglich undt gibt seine gnaden, wem er will. Der gutte Ruvigny, den man nun mylord Galway[12] heist undt hir ein ancien in der reformirten kirchen zu Charanton war, war in allen stücken ein gar ehrlicher man, außer daß er auch daß laster hatte, mitt den manßleütten desbauchirt zu sein. Die fraw von Ratzsamshaussen heist daß ein buben-schelm sein. Abbé d’Antrague ist über die sechtzig jahr alt, bin gewiß, daß er nicht viel jünger ist, alß ich; ich habe ihn jung, aber mein leben kein kindt gesehen undt es wirdt dießen herbst 49 jahr sein, daß ich in Franckreich bin. Da sagt man mir, daß der abbé d’Antrague ein par jahr älter sey, alß ich. Daß ist gewiß, daß wenig leütte, welche[r] religion sie auch sein mögen, wahre Christen sein. Ich finde, daß fürstin[13] übeller, alß andere, thun, nicht christlich zu leben; den er thut übel vor sich undt sein böß exempel verwirdt noch manche arme seel. Hirbey kompt ein neües porte-lettre, daß wieder zu ersetzen, so Ihr dem graffen von Nassaw-Weillburg, so Ihr Ewern bruder Carl heist, geben. Man kan von der cammer zu Heydelberg sagen, wie der duc de Crequi[14] alß pflegt zu sagen, wen er jemandts fandt, so nicht gern zahlte: Il ressemble l’arbalestre de Coignac, il est dur a la dessere[15]. Gott gebe, daß Ihr nun waß bekommen mogt! Adieu, liebe Louisse! Ewer liebes schreiben ist vollig beantwort, bleibt mir nichts mehr zu sagen, alß daß ich Eüch all mein leben lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 29. Februar 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 62–65
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1101.html
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